Neue Ideen für Tempelhof:"Ein brusthohes Meer aus Brennnesseln"

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Tempelhof war der erste Verkehrsflughafen der Welt, Ende Oktober wird er geschlossen. Was soll aus der größten innerstädtischen Brache Europas werden? Der Berliner Politik ist bisher wenig eingefallen. Anderen schon.

Protokolle von Laura Weißmüller und Philip Grassmann

"Crazy Shoppingmall" - Wolfgang Joop, 63, Modedesigner, möchte eine Alternative zum Kudamm:

"Tempelhof ist für mich Nostalgie und Utopismus in einem. Es ist ein magischer Ort. Ich finde, man sollte dort den Casablanca-Charme remaken. Ich würde den Maler Martin Kobe das ganze Gebäude stylen lassen und ihm einfach die Farbpalette in die Hand drücken. Tempelhof muss schön knallig sein, richtig radikal künstlerisch. Die Deutschen haben leider keinen utopischen Geschmack, sondern eher einen streng postmodernen. Aber das geht hier gar nicht. Tempelhof darf kein Ort der Mittelmäßigkeit werden.

Ich könnte mir dort eine exquisite, crazy Shoppingmall vorstellen und auf dem Flugfeld einen riesigen Vergnügungspark. Auf dem Dach der Haupthalle müsste eine große Eisbahn sein, nicht diese kleinen Dinger, die manchmal am Straßenrand aufgebaut werden, sondern eher wie beim Rockefeller Center in New York. Dazu Restaurants, von denen aus man den Blick über die ganze Stadt genießen kann. Der Kudamm ist ziemlich weit unten, und ich habe Zweifel, ob er je wieder hochkommen wird, dafür sind dort die Spuren der achtziger Jahre zu tief in den Asphalt gedrückt. Der Westen kann mit dem Osten überhaupt nicht mithalten. Aber Tempelhof könnte eine westliche Alternative zum Kudamm werden. Die Voraussetzungen sind da. Berlin is the place to be, sagen die Amerikaner, sagen die Engländer. Also beweisen wir es. Und zwar in Tempelhof."

Wie aus Tempelhof ein Paradies werden könnte, zeigen die Berliner Architekturstudenten Tilla Baganz und Astrid Smitham auf ihrer Collage (große Zeichnung oben): Die Ziffern weisen den Weg zu acht religiösen, mythischen und modernen Paradiesvorstellungen. Der Künstler Michael Sowa ist da weltlicher Zeichnung unten): Er funktioniert Tempelhof zu einer Autorennbahn, einem Mauermuseum und einer Geschichtsgeisterbahn um.

(Foto: Foto: oh)

"Segelflugplatz und Schafweide" - Ben Wagin, 77, Künstler:

"Fliegen ist für mich eine Friedensbotschaft, darum sollte Tempelhof künftig auch ein Ort des Friedens sein. Ich bin dafür, dass man auf dem Tempelhofer Flugfeld einen Ort schafft, wo der motorlose Flugverkehr sich rauf und runter bewegen kann. Man sollte also einen großen Stadtwald anpflanzen, damit dort Vögel nisten können. Aber das ist natürlich noch längst nicht alles, es gibt ja noch mehr Dinge, die ohne Motor fliegen.

Man könnte also auf einer verkürzten Startbahn mit Segelfliegern starten. Oder mit einem Heißluftballon in die Höhe steigen, vielleicht auch mit Gleitschirmen vom Dach des Flughafengebäudes springen. Luftschiffe könnten dort zu einem Rundflug über Berlin starten. Dort, wo keine Bäume wachsen, sollten Schafe weiden, so wie früher. Das spart Arbeit und sieht auch noch gut aus. Und wenn man die Tiere schert, kann man daraus auch noch Wolle machen. Das ganze Gelände wäre damit eine einzige Friedensbotschaft. "

"Niedlicher Flughafen" - Wladimir Kaminer, 40, Schriftsteller:

"Das Beste, was man im Tempelhof hinkriegen könnte, wäre ein kleiner niedlicher Flughafen. Das meiste dafür ist bereits vorhanden. Aber die sturen Berliner haben dagegen gestimmt. Dafür bekommen sie noch einen kreativen Einkaufstempel mit billiger Elektronik, als gäbe es zu wenig davon in Berlin."

"Sportpark und Seniorenheime" - einrich Krüger, 62, Anwohner:

"ch wohne auf der Neuköllner Seite, am Ende der Startbahn. In den 30er Jahren war hier ein großer Sportpark. Er war eine Erholung für das dichtbebaute Neukölln, in dem es kaum Grünflächen gibt. Und deshalb sollte er wieder erstehen. Außerdem könnte man dort Kitas, Jugendeinrichtungen und Seniorenheime ansiedeln, die brauchen wir hier nämlich viel dringender als Stadtvillen, die der Senat bauen will.

Am Südrand des Flugfeldes könnte man Gewerbe ansiedeln, in dem riesigen Hauptgebäude die derzeit aufgespaltene Landesbibliothek wieder unter einem Dach vereinen und außerdem noch den Themenpark Luft- und Raumfahrt unterbringen. Der größte Teil des Feldes sollte aber eine Grünfläche bleiben. Wenn der Beton von den Fliegerpisten dann abgebaut worden ist, könnte man dort Bäume anpflanzen."

"Erzbastille der Totalkunst" - Jonathan Meese, 38, Künstler:

"Tempelhof lieb in ASPIK gießen und sehr liebevollst menschenlos zeigen. Tempelhof ist tolle Raketenabschussrampe, aber bitte ohne Menschlein. Tempelhof ist ERZBASTILLE der TOTALKUNST."

"Wunderschöner Central Park" - Nina Hagen, 53, Sängerin:

"Ich wünsche mir einen wunderschönen Central Park für Berlin ... wie in New York, in London gibt es doch auch überall diese tollen Parks ... Central Park Tempelhof."

"Meer aus Brennnesseln" - Gabriele Horn, 49, Leiterin der Berliner Kunstwerke:

"Um den wahren Gauklern der Lüfte - den Schmetterlingen - den Himmel über Berlin zurückzugeben, stelle ich mir das Flughafenfeld Tempelhof alternativ zu Öko-Wohnquartieren, Skaterbahnen oder Wellness-Zentren als ein brusthohes Meer aus Brennnesseln vor.

Das rote Feuer, wie es auch genannt wird, behauptet sich leicht gegen alle anderen Pflanzen und grünt bis zu zwanzig Jahre lang. Beinahe achtzig Prozent der Schmetterlingsarten gelten heute als bedroht und so böte das Brennnesselmeer als Schmetterlingsweide mehr als fünfzig verschiedenen und friedlich koexistierenden Arten neuen Lebensraum. Admiral, Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs und Punktierter Fleckleibbär erhöben sich fortan als bunte Formationen über dem von urbaner Architektur eingerahmten monochromen Grün.

Selten fänden Ästhetik, Ökologie und Ökonomie auf so harmonische Weise zusammen wie in dieser Verbindung von Schönheit, Nachhaltigkeit und Preisbewusstsein. Und auch als Tee wirkt die Brennnessel Wunder: Sie sorgt für Entspannung und hilft gegen Verstopfung, Haarausfall und Erschöpfung - frische Kraft oder Brennstoff also für weitere Diskussionen."

"Feld von Sonnenkollektoren" - Peter Schenkow, 54, CDU-Abgeordneter und Veranstalter von Großevents:

"Der Flughafen Tempelhof würde nicht als Veranstaltungsstätte funktionieren. Er ist einfach zu groß. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Gelände ganz schnell verödet, wenn der Zaun erst einmal wegkommt und das Areal nicht mehr bewacht wird. Deswegen plädiere ich dafür, den Zaun stehen zu lassen und das gesamte Gelände zu einem Sonnenkollektorenfeld umzufunktionieren. Dann müsste die Stadt zum weltgrößten Wettstreit der Energiekonzerne aufrufen. Aufgeteilt in 20 bis 30 Parzellen könnten dann all die Vattenfalls, EAGs und EONs dieser Welt uns zeigen, wie sie Sonnenenergie gewinnen.

Dabei dürften die Energiekonzerne aber nicht einfache Kollektoren aufstellen, sondern müssten Skulpturen anfertigen lassen. Die internationalen Konzerne könnten jeweils mit einem Künstler aus ihrem Land zusammenarbeiten. Ein österreichisches Unternehmen beispielsweise mit André Heller und ein britisches mit Norman Foster. So würde man die Gewinnung von Sonnenenergie mit der Kunst verbinden. Den gewonnenen Strom würde ich übrigens dafür benützen, den Park mit Elektrizität zu versorgen."

"Museumslandschaft für Westberlin" - Lutz Rathenow, 55, Schriftsteller:

"Mit der Schließung von Tempelhof entschwebt wieder ein Stück Westberliner Identität im Himmel über Berlin. Das Ende des Flughafens der Luftbrücke reiht sich damit ein in eine Kette von Abwicklungen dessen, was die drei Besatzungszonen der Westalliierten einmal prägte und nach außen hin sichtbar zu einem Laboratorium der Freiheit machte.

Jetzt verrostet der Westteil, die Erinnerung an die DDR wirkt dagegen fort. Vielleicht bräuchten wir eine Westberlin-Erinnerungslandschaft, ob Park oder Museum, die etwas vom sehr speziellen Flair und der ganz besonderen Geschichte dieser halben ganzen Stadt vermittelt. Tempelhof könnte der richtige Ort für so einen Erlebnispark Westberlin sein. Vor allem hätte das Areal einen entscheidenden Vorteil: Rundflüge lassen sich gut durchführen, alle benötigten Start- und Landebahnen sind schon vorhanden."

"Geisterbahn der Geschichte" - Michael Sowa, 62, Künstler, hat gleich drei durchschlagende Pläne:

"Hier kommen drei Vorschläge, mir persönlich gefällt der dritte am besten. Aber erstmal der Reihe nach: Der Tempelhofer Ring! Wir könnten eine innerstädtische Autorennbahn bauen, ausgelegt für Formel 1-Rennen. Wochentags dürften auch Normalbürger Gas geben, für fünf Euro die Stunde. Damit stünde Berlin so ziemlich allein da, ähnlich wie zuvor mit dem innerstädtischen Flughafen.

Als Schirmherr könnte ich mir Manfred Stolpe vorstellen. Sollte dieses Projekt aus vorhersehbaren Gründen scheitern (Stolpe), kommen wir zum Vorschlag zwei: Eine detailgenaue Rekonstruktion der Berliner Mauer mit allem Drum und Dran. Wachtürme, Grenzpolizisten mit Selbstschusshunden, auch Reality Shows sind denkbar. Die Mauer könnte am nördlichen und westlichen Rand des Flugfeldes entlangführen. Das bringt Touristen, aber noch wichtiger: Das Neuköllner Gesocks bliebe weiter draußen.

Falls dieser Vorschlag politisch nicht durchsetzbar wäre oder die Zeit dafür noch nicht reif sein sollte, folgt mein Lieblingsvorschlag Nr. 3: ein Geschichtspark, in dem man Monumente der deutschen Geschichte hautnah nacherleben könnte. Also so eine Art Open-Air-Geisterbahn, wo statt kreuzbiederer Gerippe plötzlich Erich Mielke hinterm Busch hervorspringt. Und um nur einen der vielen denkbaren Höhepunkte vorwegzunehmen, könnte die Geschichtsgeisterbahn durch die Räume des ehemaligen Flughafengebäudes fahren, die der Öffentlichkeit bislang vorenthalten waren.

Im Grunde müsste da so gut wie nichts verändern, um den Eindruck zu erwecken, man führe durch Hitlers Arbeitszimmer in der ehemaligen Reichskanzlei. Ob man mit der Schlacht im Teutoburgerwald startet (die Geisterbahnpassage würde das aus der Perspektive der römischen Legionäre erleben - starker Einstieg) oder erst später, all das müssten Fachleute diskutieren. Zum Beispiel Guido Knopp."

© SZ vom 31.5.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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