"Nein" ist tabu auf Orango:Der Mann ihrer Wahl

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Auf der Insel vor Westafrikas Küste sollten sich Männer den Biss in ein liebevoll serviertes Fischgericht gut überlegen. Sonst sind sie plötzlich verlobt.

Er war 14, als das Mädchen seine mit Gras bedeckte Hütte betrat und einen Teller mit Fisch vor ihn stellte. Carvadju Jose Nananghe wusste genau, was das bedeutete und was er zu tun hatte: Mit klopfendem Herzen führte er den Fisch zum Mund, biss hinein und stimmte so der Heirat mit dem Mädchen zu.

Es ist Damenwahl - nicht nur beim Tanz... (Foto: Foto: AP)

Er hätte nicht ablehnen können, erklärt der inzwischen 65-Jährige. Damit hätte er seine Familie entehrt.

Aber warum hätte er sich auch der Tradition auf seiner Insel Orango vor Guinea-Bissau an der Küste Westafrikas widersetzen sollen? Warum hätte er sich der Mühe unterziehen sollen, sich selbst eine Frau auszusuchen?

"Die Liebe zieht zuerst in das Herz der Frau ein", sagt Nananghe. "Erst wenn sie in der Frau ist, kann sie auf den Mann überspringen." Als er den traditionellen Antrag bekam, war es ebenso. "Ich habe nichts für sie empfunden", sagt Nananghe über seine spätere Frau.

"Aber als ich das Gericht aß, war es wie ein Blitzschlag. Ich wollte nur noch sie." Hier auf Orango haben die Frauen die Wahl.

Sie bekunden ihre Absicht mit einem ganz besonders zubereiteten Fischgericht. Wenn sie ihrem Zukünftigen den Teller mit dem in Palmöl marinierten Fisch überreichen, ist das so, als ob in Europa ein traditionell geprägter Mann vor seiner Liebsten auf die Knie fällt und einen Ring aus der Tasche zieht.

Und auf Orango können die Auserwählten den Antrag kaum zurückweisen. Immer öfter verlassen jedoch junge Leute die Insel, um auf dem Festland von Guinea-Bissau oder auf Urlaubsinseln vor der Küste in Hotels zu arbeiten oder ihr Palmöl zu verkaufen. Sie bringen völlig andere Ideen von Hochzeit und Werben um den künftigen Partner mit.

Fernsehen und Radio tun ein übriges. Für die ältere Generation ist das zutiefst befremdlich. "Die Welt steht auf dem Kopf", sagt Cesar Okrane. "Die Männer laufen den Frauen nach, statt zu warten, bis diese zu ihnen kommen." In den letzten Jahren wurden die Männer immer mutiger. Einige wagten es sogar, von sich aus einen Heiratsantrag zu machen.

Die Traditionalisten finden das sehr gefährlich: "Die Wahl einer Frau ist viel stabiler", erklärt Okrane. "Bislang hatten wir kaum Scheidungen. Jetzt, wenn Männer die Wahl treffen, breiten sich Scheidungen aus."

Aufzeichnungen, die dies belegen könnten, sind nicht zu bekommen. Aber die Inselbewohner stimmen überein, dass die Zahl der Trennungen spürbar zugenommen hat, seit die Männer nicht mehr geduldig auf einen Antrag warten.

Augenfällige Veränderungen zeigen sich auch auf anderer Ebene.

Traditionell muss die Frau nach der Liebesbekundung erst die gemeinsame Hütte bauen, bevor das Paar zusammenziehen und Hochzeit feiern kann. Inzwischen übernehmen das Bauarbeiter, Zement löst die Naturmaterialien ab.

Sie wolle in einem weißen Brautkleid heiraten, fordert die 19-jährige Marissa. In ihrer Kirche werde außerdem gelehrt, dass die Frau nicht den ersten Schritt machen solle, sagt sie. Deshalb werde sie auch warten, bis ein Mann ihr einen Antrag mache.

Ihre Tante Edelia besucht die gleiche Kirche und trägt ebenso moderne Kleider wie die Nichte. Doch sie denkt nicht, dass die Einflüsse von außen das Heiratssystem von Orango verändern sollten.

Vor zwei Jahrzehnten habe sie ihrem späteren Mann ein einfaches Muschelgericht vorgesetzt, sie sei zu arm gewesen, um den traditionellen Fisch zuzubereiten. "Er hat nicht gezögert", sagt Edelia Noro. "Ich sah die Liebe in seinen Augen." Auch viele Vertreter der jüngeren Generation sind nach wie vor von den Vorteilen des althergebrachten Werbens überzeugt.

Der 23-jährige Laurindo Carvalho scheiterte kläglich mit dem Versuch, sich darüber hinwegzusetzen. Er habe in einem Touristenhotel gearbeitet, Jeans getragen, ein Handy besessen und sich als ein moderner junger Mann gesehen. Daher habe er auch nicht gezögert, seine Auserwählte anzusprechen und sie um ihre Hand zu bitten.

Das Mädchen sagte Nein.

Einige Jahre später klopfte es an Laurindos Tür. Vor ihm stand die junge Dame mit einem Teller voll Fisch und einem schüchternen Lächeln.

"Ich habe es auf die harte Tour gelernt", sagt Laurindo Carvalho. "Hier macht der Mann nicht den ersten Schritt."

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