Nautik:Kein Lotse geht an Bord

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Eine Schifffahrt, die nicht lustig ist: Bei den Reedereien fehlt der qualifizierte Nachwuchs. Trotzdem werden in Deutschland Seefahrtschulen geschlossen.

Von Frank Behling

Die Zusage steht: Bei der 3. Nationalen Maritimen Konferenz, die im Mai 2003 in Lübeck stattfand, versprachen die deutschen Reeder Bundeskanzler Gerhard Schröder bis Ende 2004 "100 Schiffe".

Zwei Nautik-Studenten üben im modernen Schifffahrts-Simulationszentrum in Elsfleth. (Foto: Foto: dpa)

Keine Neubauten sollten das sein, sondern eine Flotte, die aus den Billigregistern Panamas, Liberias oder Zyperns wieder unter die deutsche Flagge zurückkehren sollte. Doch das Versprechen steht auf tönernen Füßen. Denn die Rückflaggung der Schiffe setzt auch die Einstellung deutscher Offiziere und Kapitäne voraus. Und eben das ist das Problem: Es fehlt der Nachwuchs.

Eine Schwierigkeit, von der auch Michael Schmenner, Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II in Kiel-Holtenau, steht. Denn den derzeit 160 Kieler Kanallotsen fehlt der Nachwuchs - wer Lotse auf dem Nord-Ostsee-Kanal werden will, muss mindestens das Kapitänspatent für die Große Fahrt besitzen; schließlich müssen 230 Meter lange Luxusliner ebenso kompetent beraten werden wie ein alter russischer Wolgatanker.

Nationalität ist wie ein Ritterschlag

Doch gerade die Kapitäne mit großem Patent sind gefragt wie nie. "Wer heute einen deutschen Kapitän hat, der lässt ihn nicht so einfach gehen", klagt Ältermann Schmenner.

Früher war es für einen Kapitän fast ein Ritterschlag, wenn er von einer der sieben deutschen Brüderschaften zum Lotsen gewählt wurde; noch vor zehn Jahren standen die Bewerber Schlange für einen dieser gut bezahlten und heimatnahen Arbeitsplätze.

Zeiten, an die sich Schmenner gerne erinnert - erstmals seit fast zehn Jahren werden dank des steigenden Schifffahrtsbooms wieder mehr als 40.000 Schiffe den Nord-Ostsee-Kanal passieren.

Aber: "Mehr Schiffe bedeuten auch mehr Beratungsbedarf", weiß der Lotsenchef. Gerade mal zehn neue Kollegen wurden Anfang 2004 eingestellt, zehn weitere werden noch immer gesucht.

Zulassung einfacher

Um wenigstens genügend Bewerber zu bekommen, wurden inzwischen sogar die eigentlich strengen Eingangsbeschränkungen gelockert. "Wir nehmen auch schon mal einen Aspiranten auf, der bereits das 40. Lebensjahr hinter sich hat", so Schmenner.

Einer der Gründe für die Sorgen an der Kieler Schleuse sind die Bemühungen der deutschen Reeder, das nautische Personal auf jeden Fall zu halten - vor allem dann, wenn es innerhalb des Unternehmens ausgebildet worden ist.

Reeder wie der Bremer Emil Hartmann setzen voll auf deutsche Offiziere und sehen es gar nicht gern, wenn sich seine Offiziere beispielsweise von den Angeboten der Lotsen locken lassen. "Ich fahre unter deutscher Flagge und mit deutschen Seeleuten", erklärt Hartmann sein Prinzip.

Doppelhüllentanker

Acht moderne Doppelhüllentanker gehören zu seiner Flotte. Also hält er sich die Kapitäne gewogen, achtet auf Ausbildung und Zuverlässigkeit. Und zahlt, wenn es sein muss, auch noch ein paar Euro Gehalt drauf.

Wie viele Kapitäne und Schiffsingenieure in Deutschland derzeit tatsächlich fehlen, ist nicht genau zu beziffern. Der Schifffahrtsverband BIMCO dagegen hat eine Studie zur internationalen Situation präsentiert - danach fehlen schon heute weltweit 16.000 Offiziere. Und bis 2010, so die Befürchtung, wird die Zahl auf 46.000 steigen.

Ende einer Tradition

Deutschland hat dieser Entwicklung wenig entgegenzusetzen. Schlimmer noch: Die Zahl der Seefahrtschulen ist noch immer rückläufig. So findet zum Beispiel am 30. September 2005 in Hamburg eine mehr als 250 Jahre alte Tradition ihr Ende: Die dortige Seefahrtschule stellt dann ihre Ausbildung von Schiffsbetriebsoffizieren ein.

Der Grund ist die schwindende Nachfrage durch Studienplatz-Bewerber. Ganze sieben Studenten, die im Wintersemester 2000/2001 ihr Studium am Institut für Schiffsbetrieb, Seeverkehr und Simulation (ISSUS) begonnen hatten, werden im nächsten September ihren Abschluss machen.

Fallen die Steuervorteile weg?

Am Ende des Sommersemesters studierten noch 43 Offiziersanwärter in Hamburg; in den siebziger Jahren waren es rund 700 Studenten. Wenn Hamburg wegfällt, bleiben nur noch sechs Schulen für den nautischen Nachwuchs in Deutschland.

Für die deutschen Reeder, die die weltweit modernste Containerschiff-Flotte betreiben, droht nun Ungemach. Denn sollte die Rückflaggung der versprochenen 100 großen deutschen Seeschiffe nicht bis zum Jahreswechsel vollzogen sein, kommt der Abbau von Steuervorteilen für Reedereien wieder auf den Tisch.

Derartige Signale wurden bereits unmissverständlich an die Küste gesandt. Bislang haben gerade mal drei deutsche Reedereien die Rückflaggung von Schiffen angekündigt.

© SZ vom 26. 11. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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