Mont-Saint-Michel:Das Prinzip Toilettenspülung

Lesezeit: 3 min

Eine Insel ohne Wasser: Der Mont-Saint-Michel, einer der schönsten Orte im Norden Frankreichs, ist fast verlandet - jetzt soll er geflutet werden.

Gerd Kröncke

Dies ist einer der mythischen Orte Frankreichs, ein Bauwunder des Abendlandes, einer der Orte, die unvergesslich bleiben, wenn man einmal da war: Der Mont-Saint-Michel mit seiner charakteristischen Form ist, wie es Victor Hugo beschrieben hat, "eine phantastische Pyramide, von einer Kathedrale gekrönt".

Bildstrecke
:Mont-Saint-Michel: Eine Insel ohne Wasser

Der Klosterberg vor der normannischen Küste ist fast verlandet - jetzt soll er wieder geflutet werden.

Die "Kathedrale" ist ein Kloster, das seit Jahrhunderten die Bucht überragt, und aus der Ferne betrachtet, umgeben von Wasser, ist sie einer der schönsten Bauten Frankreichs. Aber über die Jahrhunderte war die kleine Insel Saint-Michel durch immer mehr Ablagerungen ans Festland herangerückt und längst war absehbar, dass sie ganz verlandet sein würde. "Der Mont-Saint- Michel muss eine Insel bleiben, wir müssen dieses gemeinsame Werk von Kunst und Natur um jeden Preis erhalten." Auch das hat schon Victor Hugo geschrieben, vor mehr als hundert Jahren. Nun endlich soll dieser Wunsch Wirklichkeit werden: Der Klosterberg oben an der normannischen Küste mit dem Gotteshaus und seinem mittelalterlichen Dorf soll wieder eine echte Insel sein.

Eine schlanke Brücke

Premierminister Dominique de Villepin, der vorige Woche aus Paris angereist war, hat nicht viele erfreuliche Termine in diesen Tagen. Dass er den offiziellen Baubeginn für die Rettung der Insel verkünden durfte, ließ ihn seine politischen Probleme für einen Moment vergessen. Wenn in sechs Jahren die Arbeiten beendet sein werden - derzeit geschätzte Kosten 164 Millionen Euro - wird die Episode Villepin vergessen sein.

Die Insel, die seit 1879 durch einen Damm mit dem Festland verbunden ist, soll dann über eine schlanke Brücke zu erreichen sein. Auch sie wird dazu beitragen, dass das Wasser besser abfließen kann. Auf Computeranimationen ist das Projekt schon einmal zu besichtigen.

Der Druck der Gezeiten

An der Mündung des Couesnon soll in den nächsten beiden Jahren ein Gezeitendamm entstehen, der bei Flut das Meerwasser in den Fluss strömen lässt, das bei Ebbe mit großem Druck wieder abgelassen wird. Damit wird, wie bei einer Toilettenspülung, der angeschwemmte Sand aus der Bucht zurückgedrückt. In einem Jahrzehnt soll sich so der Wasserpegel in der Bucht um siebzig Zentimeter erhöhen.

Noch im letzten Regierungsjahr von François Mitterrand war das Projekt beschlossen worden, vor mehr als zehn Jahren. "Bislang bestand die Politik im wesentlichen darin, die Parkplätze zu vergrößern, um dem Druck des Tourismus nachzugeben", sagt François-Xavier de Beaulaincourt, der den Bau leiten wird.

"Historisch gesehen war der Berg gut vier Kilometer vom Festland entfernt", erläuterte er dem Premierminister, "nun sind es nur noch ein paar Dutzend Meter." Dabei haben die Verantwortlichen die Situation lange müßig hingenommen. Schon nach der Konstruktion des Damms im Jahr 1879 waren Zweifel über diese Lösung aufgekommen. Als 1914 ernsthaft über eine Änderung nachgedacht wurde, gab es wichtigere Sorgen, es war Weltkrieg.

Bastille des Meeres

Der heilige Berg im Watt hat eine bewegte Geschichte. Im Mittelalter galt die Benediktiner-Abtei als eines der intellektuellen Zentren Europas mit einer großartigen Bibliothek. Später wurden die Mönche vertrieben, das Kloster über dem Wasser wurde zur Bastille des Meeres, zum Kerker. Unter dem Terror der Revolution wurde der Mont-Saint-Michel zum Mont-Libre erklärt, zum Freiheitsberg, und die Verließe blieben für die Gefangenen mörderisch.

Erst Napoleon III. beugte sich dem Druck einer Pressekampagne und beendete den unwürdigen Zustand. Danach wurde Saint-Michel wieder zum Wallfahrtsort. Neben dem Eiffelturm ist den Franzosen keine Silhouette so sehr vertraut. In der Zeit vor dem Euro hatte sie die letzte Zehn-Franc-Münze geschmückt.

Nur eine Minderheit geht zu Fuß

Heutzutage kommen jährlich an die drei Millionen Besucher, nur ein Drittel von ihnen steigen die 450 Stufen hinauf zur Kloster-Abtei. Auch während der Bauzeit bleibt die Insel zugänglich. Die Tourismus-Manager setzen sogar darauf, dass sich nach Abschluss der Bauarbeiten die Besucherzahlen noch steigern lassen auf vier und warum nicht fünf Millionen.

Die Parkplätze werden aufs Festland zurückverlegt, und doch wird wie seit jeher nur eine Minderheit zu Fuß gehen. In ein paar Jahren soll eine Elektro-Bahn stündlich Tausende Besucher über die dann fertig gestellte Brücke transportieren.

Doch der klassische Weg führt weiterhin über das Watt. Dem scheinbar so nahen Mont-Saint-Michel, wenn er im leichten Nebel vor einem liegt, gemächlich näher zu kommen, ist eines der bescheidenen Abenteuer, die dem Touristen bleiben. An die 40 000 im Jahr vertrauen sich einem Guide an. Auch die Flut der Besucher will kanalisiert sein.

© SZ vom 20.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: