Massentourismus:Geborgen in der Masse

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Martin Lohmann, 59, ist Professor für Wirtschaftspsychologie in Lüneburg und Geschäftsführer des Kieler NIT-Instituts für Tourismus- und Bäderforschung. (Foto: privat)

Ein Gespräch mit Martin Lohmann, Professor für Wirtschaftspsychologie, über die Lust am Trubel und soziale Anerkennung im Urlaub.

Interview von Stefan Fischer

Zu zweit unter einer Kokospalme liegen an einem ansonsten menschenleeren Strand: Dieses Werbemotiv suggeriert den perfekten Urlaub. Davon lassen sich die meisten Touristen jedoch nicht beirren, sie bevorzugen die Geselligkeit. Der Wirtschaftspsychologe Martin Lohmann erklärt, warum Urlauber sich gern in den Trubel stürzen.

SZ: Die Strände sind derzeit voll, die Spaßbäder und Freizeitparks ebenso. Viele Menschen scheint das nicht zu stören - gibt es sogar eine Lust der Urlauber am Trubel?

Martin Lohmann: Ein Strand oder Pool sind schöne Orte für tolle Freizeitaktivitäten. Dahin wollen viele zur gleichen Zeit. Man geht aber nicht ans Meer oder ins Freibad, weil es dort so schön voll ist. Sondern nimmt die Fülle in Kauf, weil es dazu keine große Alternative gibt. Anders ist es, wenn man zu einem Musikfestival reist oder in die Strand-Disco geht - das wäre grauenvoll, wenn es dort leer wäre. Im Tourismus haben wir jedoch überwiegend die erste Variante. Auf Mallorca ist es besonders schön, und deshalb fahren da so viele hin.

Aber eigentlich träumt jeder Deutsche vom einsamen Strand - anders als ein Brasilianer, für den ein leerer Strand ein Albtraum ist?

Nein, denn Einsamkeit macht Angst. Auch die Deutschen orientieren sich eher an der Masse als an ihren Einsamkeitswünschen. Es zwingt einen niemand, nach Mallorca zu fahren, man könnte auch auf eine Hallig in der Nordsee. Für die gezielte Suche nach Rummel sind Restaurants ein gutes Beispiel: Wenn man durch den Urlaubsort flaniert und sieht ein leeres Lokal, setzt man sich garantiert nicht rein. Eher geht man in eine Kneipe, die bereits überfüllt ist. In der Gemeinschaft fühlen wir uns oft wohler. Sie gibt Sicherheit - im Restaurant etwa die, dass das Essen wohl ganz gut ist -, und der Unterhaltungswert ist größer, es gibt mehr zu sehen. Das gilt genauso für einen Hafenbummel. Zudem bietet der Rummel die Möglichkeit, selbst gesehen zu werden.

Ist soziale Anerkennung wichtig im Urlaub?

Reisen aus Prestigegründen ist insofern unpraktisch, weil man es nicht sieht - anders als die Rolex. Ich muss erst davon erzählen. Aber in Zeiten von sozialen Netzwerken hat das an Bedeutung gewonnen.

Besonders deutlich wird die Lust am Rummel in den Alpen: Einige Berge sind heillos überlaufen, und drei Gipfel weiter ist kaum ein Mensch.

Das scheint eher eine Frage von Erschließung oder Moden zu sein. Dass man auf einen Berg steigt, weil es besonders nett wäre, am Gipfel viele andere zu treffen, kann ich mir nicht vorstellen.

Gibt es kulturelle Unterschiede im Verhältnis des Einzelnen zur Masse?

Die gibt es, zum Teil schon innerhalb Deutschlands. Ein Badesee in Schleswig-Holstein unterscheidet sich deutlich von einem oberbayerischen, einfach weil da weniger Leute liegen. Wenn aber ein Schwede an den See in Norddeutschland kommt, würde er da nicht baden, weil ihm schon der zu voll wäre. Als grobe Regel lässt sich aufstellen: Je weiter wir in Europa in den Süden kommen, desto eher wird Nähe akzeptiert und ein Gewinn daraus gezogen.

Ist es eine Generationen- oder eine Geschlechterfrage, wie stark die Massenanziehungskraft wirkt?

Grundsätzlich wirkt die Kraft am stärksten unter einander ähnlichen Personen. Wo Leute sind, die irgendwie gleich sind wie ich, gehe ich auch hin. Wenn es speziell darum geht, zusammen Spaß zu haben und Party zu machen, ist das eher ein Phänomen junger Leute.

Verschieben sich die Erwartungen der Menschen an ihren Urlaub - weg von der Erholung, hin zum Erlebnis?

Ja, allerdings ersetzt das eine nicht das andere, sondern ergänzt es. Der Wunsch nach Erholung und Abwechslung vom Alltag bleibt bestehen. Eine Variante, wie man das erreichen kann, ist, mit anderen zusammen Spaß zu haben. Die Gemeinsamkeit sorgt oft für eine Intensivierung des Erlebnisses. Schon wenn man zu zweit einen Sonnenuntergang betrachtet und sich gegenseitig sagen kann: Oh, ist das schön!, hat man womöglich mehr davon, als wenn man alleine dasitzt.

© SZ vom 13.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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