Lifestyle:"Schlechtes Licht macht unglücklich!"

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Der Münchner Lampen-Designer Ingo Maurer über richtige Wohnzimmer-Beleuchtung, erotisches Glimmen im Schlafzimmer und die wunderbare Poesie der Glühbirne

Rudolf Schröck

Deutsche Wohnzimmer lassen Ingo Maurer in Depressionen verfallen, machen ihn wütend. Dabei ist der mit allen internationalen Design-Preisen geehrte Lampen- Konstrukteur aus Schwabing privat ein ruhiger Mensch, dem das münchnerische Prinzip "leben und leben lassen" ein Grundbedürfnis ist.

(Foto: Fotos: Ingo Maurer GmbH)

Was stört Sie, Herr Maurer? "Ich rege mich weniger über die Möbel auf als vielmehr über das Licht. Es gibt den verbreiteten Hang, ein Zimmer total auszuleuchten. Noch bevor die Couch und der Schrank platziert sind, prangt schon die zentrale Lampe an der Decke. Gleichförmiges Licht von oben ist nicht nur langweilig. Es ist auch nicht schön, vor allem macht es die Menschen nicht schön. Schlechtes Licht macht unglücklich."

Maurers Credo ist das Licht der Natur. Vom grellen Sonnenlicht bis zum Dunkel der Nacht, vom Weichzeichner des Herbstlichtes bis zu den Spielarten des Schattens. Licht ist differenziert. Und: Licht differenziert. Zurück zum deutschen Wohnzimmer: Wie beleuchten Sie, Herr Maurer?

"Ich arbeite mit verschiedenen Lichtquellen: Hängelampe, Stehlampe, Tischlampe, Klemmlampe. Und besonders wichtig für die Wohnatmosphäre: Lichtquellen unterhalb der Augenhöhe, manchmal auch in Bodennähe. Entscheidend für den Wohlfühlfaktor in den eigenen vier Wänden ist ein differenziertes Licht. Hell, Dunkel, Halbdunkel - so ist die Natur, so tickt der Mensch. Und so sollte man seine Wohnung beleuchten."

Von dogmatischen Designer-Regeln, dass etwa eine Hängelampe 60 Zentimeter über dem Esstisch zu platzieren sei, hält Ingo Maurer nichts. "Ich weiß nicht, ob dann die Spaghetti besser schmecken. Licht ist Gefühl. Und das Gefühl muss stimmen."

Bei Gefühl denkt man oft an Sex. Also, Herr Maurer, und das Schlafzimmer? "Auch hier gilt: Wohlfühlen ist entscheidend. Ich habe zum Beispiel nach japanischem Vorbild eine Lampe entwickelt, die im ausgeschalteten Zustand einen neutralen Papierschirm hat. Wenn man das Licht anknipst, erscheinen auf dem Schirm erotische Motive von kopulierenden Paaren. Ich habe auch Lampen-Bildschirme mit Motiven aus dem Kamasutra, der indischen Liebeskunst entwickelt.

Der Schatten nackter Körper

(Foto: N/A)

Oder Lichtquellen, die so einstellbar sind, dass sie auf den nackten Körper des Mannes oder der Frau im Schlafzimmer-Bett verschiedene Strukturen, Motive oder erotische Bildelemente projizieren. Sex hat viel mit Licht zu tun. In diesem Sinn: Machen Sie das Beste daraus!"

Der tschechische Literat und Staatspräsident Vaclav Havel war von Maurers Lichtimpressionen so begeistert, dass er sich von ihm seine Schlafzimmer-Beleuchtung einrichten ließ. Mit dem Lampen-Design "Don Quixote". "Don Quixote" ist kein Sex-Symbol, sondern eine unprätentiöse, verspielte, ironische Tischlampe mit weichem weißen Licht.

Vor buntem Licht hebt der weißhaarige Anarchist aus Schwabing den Zeigefinger. "Rotlicht im Schlafzimmer und ein Esszimmer in blau? Das geht meistens schief", sagt Maurer. "Der Mensch fühlt nicht einfarbig und die Natur ist es auch nicht." Und dann wird er wieder wütend. "Wenn ich Zeit hätte, würde ich eine Kampagne gegen die Licht-Verschmutzung führen."

Wie bitte, Herr Maurer? Was ist denn das schon wieder? "Jeder Furz wird heute angeleuchtet. Kunst im öffentlichen Raum heißt für viele Stadtverwaltungen, jede Kirche, jedes Denkmal, jede Statue mit Totallicht anzustrahlen. Das tötet jede Struktur und zerstört die Substanz. Und die Natur reagiert als erstes darauf: Die Vögel bleiben weg, die Störche kommen nicht wieder." Maurer hat viele Beispiele städtischer Ignoranz parat. Allein die weit verbreitete Einheitsbeleuchtung in Museen und Galerien (auch in der Kunststadt München) lässt ihn schaudern. "Die Farben und Impressionen des Originalbildes gehen verloren. Man kann einen Picasso oder einen Albrecht Dürer auch durch falsches Licht zerstören."

Womit wir wieder im deutschen Wohnzimmer wären. "Kombinieren Sie verschiedene Lichtquellen und Lampen in jedem Raum", sagt Maurer. "Der Mix macht's." In seiner New Yorker Dependance, wo sich Ingo Maurer seit Ende der Siebzigerjahre einen Zweitwohnsitz eingerichtet hat, lebt er unter und zwischen Lampen und Leuchten, die er gar nicht selbst konstruiert hat. "Ich habe die Lampen in ganz normalen Geschäften auf der Straße gekauft. Man muss nicht zum teuren Designer gehen, um sich erleuchten zu lassen. Auf Deutschland übertragen: Ich kann mir meine Wohnung auch mit Lampen von Karstadt oder Ikea einrichten. Aber bitte mit Schatten!"

Und wie mache ich das, Herr Maurer? "Wenn Sie ein Zimmer neu beleuchten wollen, benutzen Sie zunächst die klassische Glühbirne - angeschlossen an ein Stromkabel. Damit leuchten Sie den Raum aus. Wohin soll das Licht? Auf welche Ecke kann ich verzichten? Wie kann ich die Zimmerdecke als Reflektor benutzen? Und dann setzen Sie die Lichter!"

Das Stichwort ist gegeben. Ingo Maurer ist ein Verehrer von Thomas Alva Edison, dem amerikanischen Erfinder der Kohlefaden- Glühlampe. Ihr hat Maurer mit seiner Kreation "Bulb" (1966) ein leuchtendes Denkmal gesetzt. Für den Lampen- Macher Maurer ein Lebensentwurf: "Die Glühbirne ist eine Symbiose von Industrie und Poesie. Sie ist praktisch und schön."

Und noch etwas fällt dem genialen Lampenmacher ein, wenn er an die Dialektik von Licht und Wohlfühlen denkt: der Arbeitsplatz. "Ich empfehle jedem Arbeitgeber, seinen Angestellten für ihren Schreibtisch eine Auswahl von drei bis vier Lichtquellen zu bieten. Individuell variierbar sollten sie sein. Der Mensch ist kein Einheitstier. Und wer sich selbst sein eigenes Licht setzen kann, der arbeitet auch besser."

Und welches Licht setzt sich Ingo Maurer? Da lächelt der 73-Jährige mit den langen weißen Haaren. Und er spricht von seiner neuen Licht-Konstruktion "Snowflake", die am 28. November 2005 mitten in New York an der 5th Avenue erstrahlen soll. Eine riesige Schneeflocke aus Edelstahl mit 14.000 Kristallen und 3.000 LED-Blitzlichtern für das Kinderhilfswerk UNICEF. Umsonst macht er das. Und der Reinerlös der anschließenden Prominenten-Gala von rund 100.000 Dollar kommt bedürftigen Kindern in der Dritten Welt zugute.

Jetzt blitzen die Augen von Ingo Maurer. Fast wie sein wunderbares Licht.

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