Las Vegas (SZ):Drei Schweinchen für ein Halleluja

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Der Sieger nimmt alles: Er braucht nur die richtige Lektüre und einen wachen Blick auf den stetig schwindenden Kassenstand.

Stefan Nink

(SZ vom 10.07.2001) - "Cocktail?" säuselt es leise, "care for a cocktail?". Das nenne ich einen angenehmen Traum! Hawaiianische Hula-Musik, Wellenrauschen, Sonne, und jetzt auch noch ... "Cocktail, Sir?" Ich reiße die Augen auf: Da steht sie. Ist gar kein Traum - ist Realität. Ist Las Vegas um zehn nach acht an einem Jetlag-Morgen, ist der Pool des Mandalay Hotels. Ich suche verzweifelt nach dem englischen Wort für Kaffee. "Ähhh ... Coffee, please ..." Na also. Die Bedienung strahlt und verschwindet. Im gleichen Moment wird die Wellenanlage des Pools angeworfen, in dem man problemlos olympische Surfwettbewerbe ausrichten könnte. Ich schiebe meine Liege vorsichtshalber drei Meter zurück.

(Foto: Foto: Uemit Dalgali, visipix)

Eigentlich wollte ich hier nachdenken. Über mich und Las Vegas. Über meinen Plan, mein Vorhaben, meine Mission: Mit tausend Dollar Einsatz Fortuna ködern und sie am Schlafittchen packen. Reich werden. Las Vegas hat im Jahr 2000 rund 49,5 Millionen Besucher angezogen, unter ihnen auch 200.000 Deutsche. Die Touristen ließen umgerechnet rund 43 Milliarden Mark da, allein die Casinos machten nur durch den Spielbetrieb einen Reingewinn von 13,1 Milliarden Mark. Jeder Besucher spielte durchschnittlich 3,9 Stunden pro Tag - und verlor während seines Aufenthaltes im Schnitt rund 1300 Mark. Einer anderen Statistik zufolge verlassen 85 Prozent der Besucher Las Vegas mit nur minimalen Verlusten. Heißt: Die restlichen 15 Prozent werden dann wohl wohlhabend.

Im Moment laufen die logistischen Vorbereitungen: Neben der Liege thront ein Stapel Bücher mit Titeln wie "Blackjack - Mathematik und Zufall" und Dostojewskis "Der Spieler". Mein Favorit aber ist "Las Vegas for Dummies". Ich halte das für ein ausgesprochen gutes Buch, das seinen Preis unbedingt wert ist. Für 15,95 Dollar bekommt man Regeln und Risiken sämtlicher Glücksspiele erklärt. Ich habe es mit einem neongelben Textmarker durchgearbeitet.

Auf dem Weg vom "Mandalay"-Pool zum Zimmer muss man durch ein Casino, das ist in Vegas immer so. Seine Architekten verwenden gewiss viel Zeit und Geld, um das Thema eines Großhotels mit Pomp und Gloria umzusetzen (in diesem Fall haben sie Kiplings kolonialistisches Burma nachgeahmt) - noch aufwendiger aber muss es sein, alles so zu bauen, dass der Gast auf Schritt und Tritt durch blinkende, klimpernde Spalierreihen von Slot-Machines geleitet wird, sobald er sich innerhalb des Hotels bewegen möchte. Weil ich dank Jetlag und Kaffee sehr aufgedreht bin, werfe ich zwei 25-Cent-Münzen in einen Einarmigen Banditen und drücke die "Play"-Taste. Die Einarmigen Banditen haben zwar immer noch ihren namensgebenden Hebel, aber das ist vielen an Arthritis leidenden älteren Spielern bestimmt zu anstrengend. Deshalb setzen sie ihre Rollen auch auf Tastendruck in Bewegung.

Sekunden später liegen drei lachende Schweinchen Dick im Sichtfeld nebeneinander. Eine rubinrote Leuchtanzeige fängt an zu knattern und bleibt bei 400 stehen. Wer sagt's denn? Das sind 100 Dollar! Sofort setze ich mich vor die Glücksschweinchen-Maschine: Mein Buch weiß nämlich, dass diese Geräte per Computerprogramm gesteuert werden, das große Gewinne gern unmittelbar nacheinander ausspuckt. Da soll man nicht aufhören!

Bei der nächsten Runde erscheinen zwei Schweinchen und ein kryptisches Symbol. Die rubinrote Anzeige tickert auf 600. Ich widerstehe der Versuchung, meinen Dummy-Führer auf den Einband zu küssen - ich drücke die "Play"-Taste. Zwei Ferkel und eine Sieben! Die Anzeige knattert bis 850. Es ist 14.10 Uhr und das Tagwerk ist vollbracht, wenn auch unfreiwillig: Im Zimmer schlafe ich dank Jetlag (und trotz des Kaffees) augenblicklich ein.

Kassenstand: 1212,50 Dollar.

Wer ist eigentlich dieser Danny Gans? Grinst überall am Strip von riesigen Plakatwänden hinunter, wo ich doch Siegfried und Roy und die weißen Tiger sehen möchte. Danny Gans! Das muss ich später recherchieren.

Jetzt wird erst über den Strip spaziert. Sightseeing. Las Vegas ist ja die einzige Stadt der Welt, in der Gebäude aus den 80ern heute schon unter Denkmalschutz gestellt werden müssen, sonst sind sie morgen weg. Die bauen hier! Da vorn haben sie halb Manhattan hingestellt und das Resultat passenderweise "New York-New York" benannt. Das doppelte "New York"-Hotel sieht sehr nett aus. Auch das "MGM Grand" und das "Tropicana" sind hübsch. Das "Excalibur" gegenüber allerdings macht den Eindruck, als hätte sein Architekt es mit überdimensionierten Lego-Steinen errichten lassen.

Auch das Burgen- und Ritter-Brimborium drinnen lädt nicht gerade zum Verweilen ein: Am Eingang schmettert ein mittelalterlich gewandeter Knappe Neuankömmlingen eine Trompeten-Fanfare derart ins Ohr, dass akute Hörsturz-Gefahr besteht. Und keine fünf Schritte weiter gurrt ein Burgfräulein, dass ich doch zu König Arturs "Round Table Buffet" eilen solle. Auf mein in bestem Shakespeare-English vorgetragenes "Shall we hurry there together, thou pretty young maiden?" bekomme ich nur einen bösen Blick zur Antwort. Wahrscheinlich ist das Burgfräulein aus Los Angeles. Da wird man für sowas verklagt und muss dann drei Millionen Dollar Strafe wegen sexueller Belästigung bezahlen.

Da liegt mir das "Venetian" doch eher! Das ist altes, kultiviertes Europa, bella Italia, marmorne Säulenpracht mit einem überdachten Venedig im zweiten Stock. 1,5 Milliarden Dollar hat sich der Hotel-Mogul Sheldon Adelson das alles kosten lassen, und die Zimmerpreise liegen nur unwesentlich darunter. Da kann man schon erwarten, dass die Gondolieri im Plastik-Venedig schön laut "O sole mio!" schmettern, finde ich. Tun sie auch. Wenn die Gondolieri nicht Schmalz schmettern, singen stimmgewaltige Damen ihre Koloraturen und Herren im Medici-Outfit Tragisches aus "Tosca". Und die Japaner fotografieren das alles und behaupten beim Dia-Abend zu Hause dann bestimmt frech, sie seien auch eben nochmal kurz in Italien gewesen während ihres fünftägigen Jahresurlaubs.

Die nächsten fünf Stunden verbringe ich an einem Roulette-Tisch. Ich trinke etwa sieben feinste Malt-Whiskeys auf Kosten von Mr. Adelson und versuche, den Lauf der Kugel mittels eines immer stärker vernebelten Blicks zu manipulieren. Roulette ist ein feines Glückspiel: Schwarz oder Rot, Gerade oder Ungerade, Zahlenkombinationen oder die Null, da weiß man doch, was man hat. Ich habe am Ende ein Plus von 270 Dollar und kann gerade noch der Versuchung wiederstehen, vor dem Nachhausegehen in den Canal Grande zu springen. Das sähen die hier bestimmt nicht gern.

Kassenstand: 1482,50 Dollar

Heute bin ich ins "Luxor" umgezogen. Im "Mandalay" kostete das Zimmer, dass ich für 39 Dollar gebucht hatte, in einer Verlängerungsnacht plötzlich 249 Dollar. Das soll mal jemand verstehen! Das Luxor hat 4377 Zimmer und lässt mich in eines für 59 Dollar einziehen. An der Rezeption wissen sie auch, wer dieser Danny Gans ist: Der bestbezahlte Entertainer der Stadt mit einem Vertrag über hundert Millionen Dollar - da möchte man nicht drüber nachdenken. Und über die beiden Stoff-Kamele im Eingangsbereich besser auch nicht: Die bewegen den Kopf und brabbeln vor sich hin, als habe man Dean Martin und Jerry Lewis mit dem Stimm-Modul von Darth Vader ausgestattet.

Ansonsten ist hier alles wirklich sehr ägyptisch: Man wohnt in einer gläsernen Pyramide und kann eine Ausgrabungs-Ausstellung besuchen. Leider hat sich das Nationalmuseum in Kairo nicht dazu durchringen können, dem Hotel die gewünschten Original-Mumien zu Verfügung zu stellen. Das finde ich sehr schade. Die hätten sich bestimmt gut gemacht am Buffet.

Jetzt ist es Zeit für Blackjack! Das hört sich nach Robert De Niro an oder mindestens nach Al Pacino, ist aber nichts anderes als eine aufgepeppte Version von "17 und 4". Man spielt gegen das Haus, in diesem Fall also gegen die Pyramide. Deren Abgesandte heißt Frankie. Die Frage, warum sie nicht als Nofretete verkleidet ist, irritiert sie. Mich irritiert, dass sie nicht wenigstens ein bisschen wie Liz Kleopatra Taylor aussieht. Nun gut. Man darf sich ja in diesen Casinos nicht daneben benehmen, sonst werfen sie einen raus. Die sehen nämlich alles. Überall sind Kameras in der Decke installiert, da ist man besser vorsichtig.

Frankie ist sehr nett zu mir: Die ersten Runden gewinne ich, weil sie mit ihren Karten immer über 21 kommt. Die Chips auf meiner Tischseite türmen sich wie kleine Obelisken. Ich erhöhe den Einsatz auf 50 Dollar - Frankie gibt mir 21. Ich spiele um 100 Dollar - Frankie zieht bei 14 nochmals und erwischt eine Acht. Bei 350 Dollar im Plus höre ich auf. Ich würde mich gern mit einem Kuss verabschieden, aber da ist der Blackjack-Tisch davor. Und überhaupt ist es Zeit fürs Bett.

Kassenstand: 1812,50 Dollar

Heute Morgen beim Aufwachen war diese Stimme wieder da. Wer je gespielt hat, kennt dieses Flüstern aus dem Unterbewusstsein: Es säuselt ständig Sätze wie "Hätten wir gestern beim Blackjack bei jedem Spiel 100 Dollar gesetzt, hätten wir jetzt fast 10.000". Oder: "Warum haben wir nicht noch weiter gemacht am Roulette?". Offen gesagt: Ich mag diese Stimme nicht. Vor allem, weil sie immer den Plural verwendet. Als ob sie mit abkassieren wollte. Nix da! Es ist wirklich nicht verwunderlich, dass es hier so viele Psychiater gibt - man kann schon verrückt werden mit so einem kleinen eingebauten Mephistopheles. "Kennst Du Bonetti's Gesetz?", raunt die Stimme nun, "je weniger Du setzt, umso mehr verlierst Du, wenn Du gewinnst". Hm. Das erscheint mir logisch. Da muss ich mal drüber nachdenken.

Über die restlichen Stunden dieses debakulösen Tages möchte man am liebsten das Mäntelchen des Schweigens hängen, aber das verbietet die Chronistenpflicht natürlich. Mittags bin ich weitere 680 Dollar im Plus, weil ich Bonettis Gesetz stoisch befolgt und beim Roulette im "Caesars" hohe Summen gesetzt habe. Anschließend bin ich dann zum Bakkarat ins "Circus Circus". Da ist mein Portfolio dann etwa so schnell gefallen wie der Nemax: Plötzlich ergaben die Hochrechnungen einen Kassenstand von nur noch 1150 Dollar. Spätestens jetzt hätte man aufhören könnensollenmüssen, aber nein: Das war ja nur eine kurzfristige Baisse, beschwor mich die Stimme (dieses Mal klang sie wie der Herr, der vor der "Tagesschau" immer vom Frankfurter Parkett berichtet). Also weiter, viva Bonetti! Jetzt ist es sieben Uhr abends, und ich bin ziemlich schlimm im Minus. Ich bin auch sehr müde. Morgen fliege ich nach Hause. Und vorher muss ich meine Verluste ausgleichen.

Kassenstand: 690 Dollar.

Ich bin schon um halb sieben auf den Beinen. Um Zeit zu sparen, bleibe ich gleich im "Luxor"-Casino und setze mich vor eine Poker-Maschine. Video-Poker funktioniert wie richtiges Poker. Es hat aber den Vorteil, dass man keine Sonnenbrille zu tragen braucht und auch keine Gesichtlähmung vortäuschen muss, um zu bluffen - der Gegner sieht ja nichts. Es läuft - und ich sage das nicht ohne Stolz - wie geschmiert: Der Computer teilt mir Full Houses und Große Straßen in nachgerade inflationärer Anzahl aus. Nach einer Stunde hab ich knapp 300 Dollar gewonnen, eine Stunde später weitere 150 Dollar.

Nein, ich habe mich nicht hinreißen lassen. Als die Verluste einsetzten, hab ich aufgehört. Mein innerer Taschenrechner sagte, dass von meinen Tausend Dollar Startkapital noch 935 Dollar übrig waren. In Sekundenschnelle addierte er dazu eine kleine Bar kostenloser Drinks - und schon war er weit im Plus. Wer sagt's denn? Auf der Fahrt zum Flughafen sang Sheryl Crow "Leaving Las Vegas" im Radio. Es klang, als hätten die Leute beim Sender das exakt für mich ausgesucht. Für einen weiteren Teil der überwältigenden Statistik-Mehrheit, die mit geringen Verlusten nach Hause fährt.

Informationen:

Anreise:United Airlines, Tel. 069/66985400, täglich von Frankfurt a. M. über Chicago, San Francisco oder Washington nach Las Vegas, Tickets bei FTI-Touristik, Tel. 089/25250 - je nach Reisezeit ab 1239 Mark, sieben Übernachtungen im Doppelzimmer im Hotel "golden Nugget" in Las Vegas für 688 Mark.

Weitere Auskünfte:Las Vegas Convention&Visitors Bureau, Herzogspitalstraße5 in 80331 München, Tel.089/23662162, Fax: -/2604009

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