Kurz vor der Wiedereröffnung:Im Adlon nachts um zwei

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Berlin, anno 1997: SZ-Autorin Evelyn Roll tröstet sich in dem wiedererstandenen Hotel über versunkene Eiskaffeelöffel und Mythen mit Goethe und Kohl.

Die Bibliothek ist nun wirklich der seltsamste Raum dieses Hotels. Die Decke hängt gewölbt, aber ungewöhnlich niedrig im Raum, weil das neue Adlon unbedingt zwei Stockwerke mehr haben mußte als das alte Adlon, aber doch nicht viel höher sein sollte, als das Brandenburger Tor.

Die niedrige Wölbung haben sie mit einem Decken-Fresko à la Tiepolo ausmalen lassen. Üppige Halbnackte in pastellfarbenen Tüchern stürzen da viel zu dicht über dem eingezogenen Kopf in die Bücherwände. Und die mit Tusche nachgezogenen Bleistriche, die Patina und antike Risse im Putz vortäuschen sollen, sind mit bloßem Auge als mit Tusche nachgezogene Bleistriche zu erkennen.

Aus dem Po einer der nackten Damen ragt der weiße Fühlerknopf einer Sprinkleranlage. Man kann mit der Hand hochreichen, ihn zu befühlen. Das ist nett.

Nachts um zwei in der Bibliothek der Belle etage ist es endlich ganz still. Die Bauarbeiter auf dem Pariser Platz haben das Licht angelassen und sind in ihren Wohnbuden verschwunden.

Das Brandenburger Tor draußen vor den Fenstern ist das Brandenburger Tor. Und der Teppich unter dem Tiepolo ist so verführerisch flauschig und dick, daß man die Schuhe auszieht, um in Ruhe die Bücherwände zu bestaunen.

Ja, man kann im Adlon schon jetzt, drei Wochen vor der großen Eröffnung, probewohnen. Sie machen derzeit ein "Soft-Opening", weil noch nicht alle Bauarbeiten abgeschlossen sind.

Und wenn man den Mädchennamen des Mannes nimmt und auch nicht zugibt, daß man von der Zeitung ist, wird man für die 290 (statt 360) Mark, die eine Nacht im Einzelzimmer während der Trockenwohnphase kostet, auch wirklich ganz normal behandelt.

Zum Beispiel kommt der Eiskaffee in der Lobby-Bar ohne Löffel. Das macht aber gar nichts, weil man sich aus der Zuckerdose, die auf dem Tisch steht, einen Löffel nehmen kann und weil sich, wenn man dem Eiskaffee dann wirklich auf den Grund geht, doch noch aus der Tiefe der Eissahne ein klebriger Löffel bergen läßt.

Dafür schafft der Barkellner, ohne auch nur mit einem Mundwinkel zu zucken, nachts um zwei die druckfrischen Tageszeitungen herbei. "Smile, we are on stage" haben sie dem Personal in großen Druckbuchstaben an die Tür geschrieben, die von der Küche ins Hotel führt.

Alle gehen ja jetzt ins Adlon.

Die Berliner sind kaum noch zu halten.

Bereits in den ersten Tagen sind sie zu Tausenden im Regen Schlange gestanden, um einmal einen Blick hineinzuwerfen in den überladenen Stilmix aus Repliken historischer Interieurs und Kunstkopien.

Jeder, der einmal im alten Adlon gewohnt oder gearbeitet hat und noch lebt, ist inzwischen von Reportern ins neue Hotel Adlon geschleppt worden, zum Mythen erzählen. Daß Berlin das Grundstück 28 Millionen Mark zu billig an die Fundus- Gruppe verkauft hat und Fundus nun trotzdem in einem finanziellen Engpaß stecken soll, wen interessiert das schon, wenn eine Legende aufersteht in Berlin?

Die Neugierigen werden mittlerweile in Gruppen zusammengefaßt und von führenden Hausfrauen des deutsch-amerikanischen Clubs durch das Hotel begleitet, gegen fünf Mark für einen wohltätigen Zweck. Macht fast gar nichts, wenn da schon einmal erzählt wird, es sei Hildegard Knef gewesen, die von Emil Jannings im alten Adlon für den "Blauen Engel" entdeckt wurde.

Sie waren schließlich sowieso alle im Adlon, die Dietrich, die Knef, die Garbo, Chaplin, Thomas Mann, Caruso, Billy Wilder, die Großen und die Schönen, die Berühmten und Reichen, alle, nach denen wir uns heute so doll zurücksehnen.

Weil es eine Pracht und Herrlichkeit gewesen sein muß, damals im französisch-nasal ausgesprochenen Adlon, als Wilhelm Zwo noch mittenmang durch das Brandenburger Tor geritten kam, weil er lieber bei Adlons logierte, als in seinem zugigen Schloß.

In der Bar unter der bunt-gläsernen Kuppel, wo sie heutzutage Eiskaffee servieren und späten Whisky, sitzen in dieser Nacht probewohnende Jungfilmer, leider in schlunzigen Kleidern, und sprechen ihren Film durch.

Freundlicherweise tun sie das sehr laut, so daß man wirklich mitdenken kann, ob es gut ist, die Maria schon am frühen Morgen als Totale zu nehmen, oder ob man nicht doch besser bis zum Mittag wartet, da sieht sie halt doch viel geiler aus. Nebenan reden vier schwäbische Geschäftsleute in Golf-Kleidung auf einen amerikanischen Geschäftsmann in Golf-Kleidung ein.

Ein einsames Handy wimmert. Und keiner hebt ab.

Ein Stockwerk höher, bei den Büchern über dem dicken Teppich ist es ruhig. Scheffel steht geduldig zwischen Heym und Brecht. Utta Danella schmiegt sich zutraulich an Shakespeare. Und Thomas Mann? Haben sie nicht.

Dafür steht Gustav Freytags "Soll und Haben" fünf mal in den Regalen und der "Große Brockhaus" beginnt erst mit Band neun.

Zum Trost gibt es eine Deutsche Bibliographie für den eitlen Hotelgast, der selber schreibt. Diese Bücher sind, so erzählt es Marylea van Daalen, die Gattin des Hoteldirektors, am anderen Tag, auch gar nicht zum Lesen aufgestellt, sondern "nur zur Dekoration". Der Antiquar, der sie als Meterware geliefert hat, muß trotzdem auf Goethe und Freytag spezialisiert gewesen sein.

Im Adlon könnten zehn Leute gleichzeitig in Wilhelm Meisters dekorativen Lehrjahren lesen. Und ein Titel von Werner Beumelburg "Kaiser und Herzog" paßt sehr hübsch zum Mythentausch, der sich hier am 23. August vollziehen soll, wenn der Bundespräsident das Adlon eröffnet. Der alte Kaiser ist nun einmal hin und die anderen Mythen und Gespenster auch. Jetzt muß Roman Herzog es richten.

Eine schöne Geschichte gibt es von Lorenz Adlon, dem Hotelgründer. Sie ist auch ein bißchen traurig, weil sie vom Tod handelt. Gegen Ende seines Lebens ist der alte Adlon schon ein wenig wunderlich gewesen und wollte auch gar nicht glauben, daß der Kaiser wirklich tot ist.

Da ist er vorsichtshalber beinahe jeden Tag hinausgelaufen auf die Allee Unter den Linden, um am Brandenburger Tor nachzuschauen, ob da nicht doch vielleicht der Kaiser durch die mittlere Durchfahrt geritten käme, nur noch ein einziges Mal.

Damals gab es schon einigen Verkehr auf dem Pariser Platz. Zweimal haben moderne Fahrzeuge den alten Adlon einfach umgefahren. Im April 1921 ist es ein schwerer Kohlewagen gewesen, und Lorenz Adlon hat sich von den dabei erlittenen Verletzungen nicht mehr erholt.

Die neue Prachttreppe aus weißem Carrara-Marmor haben sie aus unerfindlichen Platzgründen gegen die Wand der Hotelhalle gedreht. Da wird nie wieder etwas sein mit sehen und gesehen werden. Und schwierig ist es, morgens um drei in der Nachttisch-Schublade des wunderschönen Zimmers die vielen Bedienungsknöpfe korrekt auszuprobieren.

Sie sind für die Klimaanlage, die "Bitte nicht stören"-Lampe, den Fernseher, das Radio, den Fax-Anschluß, den PC-Anschluß, den interaktiven CD-Player, den Zimmerservice, das Hotel-Handy und das Normaltelephon.

Der französische Philosoph André Glucksmann hat nach seiner ersten Probenacht im Adlon einer Berliner Freundin gestanden, er sei möglicherweise nicht intelligent genug für dieses Hotel.

Am anderen Morgen aber ist es von außen dann doch wieder ein sehr schönes Hotel: Es gibt Bistro-Stühle zum Pariser Platz. Und das grüne Hoteldach ist keinesfalls grün angestrichen, sondern aus "vorverwittertem Kupfer".

Und vorverwittert, das klingt einerseits ein bißchen nach stone washed und andererseits auch nach verblaßten Mythen, wie alles hier. Schlendert man dann traumverloren nach einer Nacht im Adlon Unter den Linden zum Büro, geht da doch tatsächlich vor einem ein sehr großer, dicker Mann im blauen Anzug und fast ohne Bodyguards.

Der Kaiser ist es zwar nicht gerade, aber doch Helmut Kohl auf dem Weg ins Möhring am Gendarmenmarkt, wo er so gerne Kirschtörtchen ißt.

Alles wird gut.

Adlon oblige.

© SZ vom 16.7.1997 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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