Kaltern in Südtirol:Ein Ort für alle Sinne

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Staubig und trocken im Abgang? Mitnichten! In Kaltern in Südtirol verbindet sich Trinkgenuss mit der Lust an avantgardistischer Baukunst.

Katharina Matzig

"Kaltern, meine Lieben", so hat der österreichische Dichter und Aktionskünstler Franzobel in dem ehrgeizigen Büchlein "Weinlesen, Wein und Landschaft, Boden und Menschen, Geschichte und Geschichten in Kaltern" geschrieben, "Kaltern hat etwas Kurioses. Schon dass es einzig ist, unwiederholbar, macht so schnell ihm keiner nach. Aber reden wir vom Wein."

Das jedoch wäre eine kurze Rede geworden noch vor einigen Jahren. Und die Worte "Fusel" und "Aspirin" wären vermutlich mindestens ebenso oft darin aufgetaucht wie "Lagrein", "Goldmuskateller", "Gewürztraminer" und "Vernatsch".

Wenn man heute über Kaltern in Südtirol und seinen Wein spricht, dann kommt man an folgenden Begriffen nicht vorbei: Qualität und Architektur.

Verwunderlich ist das eigentlich nicht, seit jeher sind der Weinbau und die Baukunst fest miteinander verwachsen, allein schon semantisch. Viel erstaunlicher ist es so besehen, dass erst in den vergangenen Jahren ein wahrer Bauboom die Weingegenden und Weingüter überzogen hat.

Die von den Schweizer Architekten Herzog und de Meuron entworfene Dominus Winery in Napa Valley wurde 1998 noch vor allem in Architekturfachzeitschriften gefeiert. Inzwischen lockt das vom New Yorker Avantgarde-Architekten Steven Holl erbaute Loisium in Langenlois in Niederösterreich mit Hotel und Weinmuseum die Gäste aus aller Welt in Busscharen an, während das Burgenland mit seinen neuen Weingütern zum Ziel unzähliger Exkursionen geworden ist, an denen längst nicht mehr nur Architekturstudenten, sondern auch Weinkenner und solche, die es werden wollen, teilnehmen.

Und in Deutschland wurde in diesem Jahr erstmalig vom Wirtschafts- und Weinbauministerium Rheinland-Pfalz, dem Deutschen Weinbauverband und der rheinland-pfälzischen Architektenkammer der "Architekturpreis Wein" verliehen, um, so heißt es in der Auslobung, "Bauen als Facette des Marktauftritts für neue Weinqualitäten zu nutzen".

Dass das Bauen als Facette des Marktauftritts tatsächlich funktionieren kann, weiß man seit der Eröffnung des 1997 von Frank Gehry erbauten Guggenheim-Museums in Bilbao. Das Wort-Konstrukt "Bilbao-Effekt" ist seither Synonym für öffentliche Aufmerksamkeit und somit für Gewinn. Abgelöst werden könnte es höchstens vom "Rioja-Effekt".

Gerüchten zufolge soll Pritzker-Preisträger Gehry erst nach Genuss eines Glases Wein seines Jahrgangs - 1929 - zugestimmt haben, aus einer kleinen Bodega im Baskenland ein Luxushotel zu planen. 2006 wurde das Marqués de Riscal eröffnet, in Gehrys charakteristischer, immer ein wenig volltrunken wirkender Formensprache.

7000 Besucher pro Jahr hatte das Weingut im Rioja vor dem millionenschweren Umbau. Seit der Fertigstellung ist die Zahl auf 3000 Besucher pro Monat gestiegen.

Um Zahlen also ging es sicher auch, als sich 1999 einige Kalterer Winzer, Tourismusexperten und Gemeindemitglieder zusammensetzten, um sich Gedanken zu machen über das Image ihres Ortes.

Damals gründeten sie die Initiative wein.kaltern mit dem Ziel, die Qualität des Weins zu steigern. Da auch der junge heimische Architekt Walter Angonese Mitglied der Gruppe war, wurde zudem an eine andere Qualität gedacht: an die der Architektur.

Hier stellen sich 420 Weinbauern mit Anspruch vor: das "Winecenter" in Kaltern. (Foto: Foto: winecenter)

Tatsächlich findet man heute ungewöhnlich guten Wein und herausragend anspruchsvolle Architektur in dem auf 426 Meter Höhe gelegenen kleinen Ort, der sich zwischen die von Wein- und Obstkulturen durchzogenen, zum Kalterersee hin abfallenden Hügel schmiegt.

Schon am Ortseingang unterhalb von Kaltern Dorf an der Umgehungsstraße, der sogenannten Südtiroler Weinstraße, die verschiedene Weinorte der Region verbindet, empfängt das "Winecenter" die Gäste dem selbstgesetzten Anspruch gemäß.

Verdreht, verkippt und kantig steht das kleine Präsentationsgebäude der Wiener Architekten feld72 an der Straße, verkleidet mit dunkelroten Faserzementplatten. Im Inneren schraubt es sich hell und luftig auf mehreren offenen Geschossen um die unzähligen Flaschen herum.

Sie stammen von 420 Weinbauern, die sich in dieser spannungsreichen Architektur gemeinschaftlich vorstellen, um auch den kleinen Hobbywinzern - 6000 bis 7000 Quadratmeter messen die Anbauflächen im Durchschnitt nur - eine Vermarktungschance zu geben.

Manincor hingegen ist ein großes Weingut, 45 Hektar zählen zu dem Gehöft aus dem Jahr 1608. In den 1970er Jahren verkaufte die Familie ihre Erträge an die Weinindustrie. Erst 1996 entschloss sich Michael Graf Goess-Enzenberg, die Produktion wieder in eigene Hände zu nehmen und auf Qualität zu setzen. 2004 stellte Walter Angonese die Erweiterung fertig.

Und auch wenn bis auf Laderampe, Zufahrt zur Maschinenhalle, Notausgang und Degustationspavillon das dreigeschossige Volumen komplett im Erdreich verschwindet, wird hier unübersehbar ein Zeichen gesetzt für Zeitgemäßes.

Das mittelalterliche Dorf Kaltern hat 4000 Einwohner und 7000 Fremdenzimmer, es gibt einen Bus, der einmal pro Woche vom Hauptbahnhof München an den Kalterersee aufbricht und einmal ab Stuttgart. Vor 104 Jahren brachte erstmalig die von Kaiser Franz Josef erbaute Mendelbahn den europäischen Adel und die Geisteselite in die Grandhotels auf den 1363 Meter hoch gelegenen Mendelpass.

Mit der Initiative wein.kaltern versucht man klugerweise jedoch erst gar nicht, an die goldenen Zeiten anzuknüpfen, sondern setzt auf die Zukunft. Und das Konzept geht auf: Vor lauter Schauen kommt das Schmecken fast zu kurz.

Da trifft es sich gut, dass mit der von dem Künstler Manfred Alois Mayr gemeinsam mit Walter Angonese umgebauten "Bar zum lustigen Krokodil" oder dem "Weinhaus Punkt", das der Wiener Architekt Hermann Czech gestaltet hat, zwei Orte geschaffen wurden, die beides auf das Angenehmste miteinander verbinden: den Genuss am Wein und den an der Baukunst.

Das Weinhaus Punkt liegt zudem im Kreuzungspunkt einer Achterschleife, die der ebenfalls neu gestaltete Weinweg beschreibt. Gemächlich führt er zum See hinunter, vorbei an Lagen und Weinhöfen, die jeweils durch kalksteinweiße Schwellen im Boden markiert sind, auf denen die teils rätischen, teils romanischen "Riegelnamen" zu lesen sind.

Die metallischen Beschriftungen nehmen sich vornehm zurück, weithin sichtbar hingegen fällt das neue Freibad am knapp zwei Kilometer langen und einen Kilometer breiten Kalterersee ins Auge, den ansonsten zu 80 Prozent Naturufer umgeben.

"The next Enterprise" nennen sich die jungen Wiener Architekten, die vor wenigen Jahren mit der Umgestaltung des alten Lido beauftragt wurden. Selbstbewusst rammten sie eine Betonskulptur in die traditionelle Liegewiese und schafften mit dieser erhöhten Schwimmplattform nicht nur eine Alternative zum wärmsten Alpensee, sondern auch gleich noch eine kühle Ruhezone darunter, die dank der spektakulären Bullaugen im Schwimmbadboden mindestens ebenso aufregende Ansichten zulässt wie das Bergpanorama ringsum.

Und vor allem von hier aus hat man einen phantastischen Blick auf das Seehotel Ambach. Als es 1972 vom Südtiroler Architekten Othmar Barth, der gerade seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, gebaut wurde, da waren Ernst J. Fuchs und Marie-Therese Harnoncourt von next Enterprise noch in der Grundschule.

Einen "Kalterersee-Effekt" hat das 60 Betten kleine Hotel damals zwar nicht erzeugt. Doch dafür steht es heute noch so grandios elegant wie damals als weißes Schiff aus expressiv geformtem Beton am Ufer. Selbst im Innenraum, der in der Halle beinahe sakral anmutet, ist alles noch beim Alten, in genau dem wundersam ästhetisch-funktionalen Zustand, den der Architekt für das Haus erdacht hat.

"Im vorderen Orient", auch das steht in dem Buch "Weinlesen" geschrieben, "finden sich die ersten Spuren kultivierten Weinanbaus. Aus derselben Gegend stammen auch die ältesten Vorworte zu dem, was wir viel später einmal Philosophie nennen werden.

Dass diese beiden - der Weinbau und das Denken - etwas miteinander zu tun haben, lässt sich dadurch zwar nicht nachweisen, aber - ganz ausschließen lässt es sich auch nicht."

Informationen

Anreise: Mit der Bahn bis Bozen, von dort in einer halben Stunde mit dem Bus oder Mietwagen nach Kaltern

Unterkunft: z. B. Hotel Seehof Ambach, Klughammer Weg 3, 39052 Kaltern, Tel.: 0039/ 04 71/ 96 00 98, www.seehotel-ambach.com, DZ pro Person inklusive Halbpension ab 52,50 Euro.

Weitere Auskünfte: Tourismusverein Kaltern, Marktplatz 8, Tel.: 0039/ 04 71/ 96 31 69, www.kaltern.com.

Informationen über Veranstaltungen rundum den Wein: www.wein.kaltern.com,

Weinhaus Punkt, Marktplatz 3; Winecenter, Bahnhofstraße 7, www.winecenter.it

Architekturpreis: Unter www.diearchitekten.org werden die elf Preisträger des Architekturpreises Wein vorgestellt.

© SZ vom 31.10. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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