Individuell statt pauschal:Die Reisebranche hofft auf Regen

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Schlechtes Wetter beflügelt zwar das Geschäft - dennoch werden immer weniger Pauschalreisen gebucht.

Meite Thiede

Regentage sind gute Tage für die Reisebranche. Wenn es draußen trist ist, weckt das bei den Deutschen die Lust auf Urlaub, und sie buchen sich im Internet eine Reise in die Sonne.

Liegt Deutschland aber selbst unter Hochdruckeinfluss, herrscht Flaute auf den touristischen Websites - wie auch in den Reisebüros. Diese Wetterabhängigkeit hat die Branche in diesem Jahr ganz besonders gefühlt. Die Zeiten, in denen der Sommerurlaub als "das Großereignis des Jahres" Monate im Voraus geplant und reserviert wurde, sind vorbei.

Von Woche zu Woche schwankt das Geschäft. Im ungewöhnlich sommerlichen April wurde nur zurückhaltend gebucht, obwohl dieser Monat normalerweise als einer der umsatzstärksten gilt. Auch im Mai schien die Sonne, und die Deutschen verbrachten ihre Abende lieber im Freien als im Reisebüro oder im Internet. Erst der verregnete Juni heizte die Nachfrage an.

Inzwischen hat die Saison ihren Höhepunkt erreicht, und an Angeboten herrscht kein Mangel. "Die Auswahl war noch nie so groß, es sind reichlich Kapazitäten vorhanden", sagte Markus Faller, Geschäftsführer der L'Tur Tourismus AG. "Wir steuern auf einen neuen Last-minute-Rekord zu."

L'Tur ist in Deutschland der Marktführer für Last-minute-Reisen und rechnet für diese Saison mit einem zweistelligen Buchungsplus - nachdem es schon 2006 einen Rekord gegeben hat.

So billig wie noch nie

Gleichzeitig ist das Reisen im Moment so billig wie noch nie, sagt Faller. Zum Teil lägen die Preise um zehn bis 20 Prozent unter dem Vorjahr. Die Urlauber haben festgestellt, dass es sich lohnt, über die "schönsten Wochen des Jahres" ganz spontan zu entscheiden.

Bei den traditionellen Zielen mit Sonnengarantie kennt die Branche schon seit Jahren keine Knappheit mehr. Dafür hat der Bauboom rund ums Mittelmeer gesorgt.

Der Trend zum Spontan-Buchen hat die großen Reiseveranstalter wie TUI oder Thomas Cook, die die typisch deutsche Pauschalreise erfunden und perfektioniert haben, erheblich unter Druck gebracht. "Pauschal" bedeutet für den Urlauber, dass er Flug, Hotel, Verpflegung und die Unterhaltung vor Ort als Gesamtpaket zum Festpreis kauft. Für den Reiseveranstalter bedeutete "pauschal" bisher vor allem Planungssicherheit - jedenfalls galt das, solange die Reisen noch Monate vor Antritt gekauft wurden.

Da wussten TUI & Co. ziemlich genau, ob und wie sie ihre Hotel- und Flugkapazitäten in der Hochsaison auslasten würden. Schon im Frühjahr war klar, was die Sommersaison ungefähr in die Kasse bringen würde. Doch mit dem Vormarsch der Billigflieger und der Internet-Reiseanbieter wie Expedia, Opodo oder lastminute.com haben sich die dicken Reisekataloge mit den unverrückbar festen Preisen überholt. Heute buchen die Kunden immer lieber "Bausteine", suchen sich hier ein Hotel und dort einen Flug. "Der Kunde hat das Kommando übernommen", beschreibt es Faller. Der Kunde bestimme, wann er was wünsche.

Mit unterschiedlichen Konzepten versuchen die Veranstalter, sich auf das neue Buchungsverhalten einzustellen. Der Wettbewerb wird besonders angeheizt, weil jeder überall mitmischen will: So bietet TUI auch Bausteinreisen an, und bei lastminute.com sind natürlich auch Pauschalreisen zu bekommen. Die Branche ist im Umbruch, und so lässt sich auch von der laufenden Sommersaison kein einheitliches Bild zeichnen.

Plus beim Marktführer

Bei Marktführer Tui läuft es offenbar gut; die Buchungen sind bisher um 13 Prozent und der Umsatz um sechs Prozent gestiegen. Bei Thomas Cook, dem Branchenzweiten, will man sich derzeit mit Hinweis auf die Börsennotierung nicht äußern. Die Branchenzeitschrift FVW schätzt aber, dass das Unternehmen mit der Hauptmarke Neckermann knapp zweistellig im Minus liegt.

Alltours spricht von einem insgesamt enttäuschenden Sommer, aber seit Anfang Juli, als das Wetter schlechter wurde, gebe es einen Ansturm; die nächsten Wochen seien nahezu ausgebucht. Der auf Bausteinreisen spezialisierte Veranstalter Dertour hat im laufenden Tourismusjahr, das bis Ende Oktober geht, ein Umsatzplus von 6,8 Prozent verbucht.

Es bleibt also spannend, ob die Branche es in diesem Jahr schafft, den Anschluss an 2001 zu finden, jenem Jahr, das wegen der Terroranschläge den Beginn der Branchenkrise markiert. 2001 hatten die Veranstalter einen Umsatz von 20 Milliarden Euro.

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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