Den Schmerz auf Eis legen - das funktioniert wirklich und zwar in einer Kältekammer. Wie der Name schon sagt, ist es in so einem Raum eher kühl. Die Temperaturen dort entsprechen denen des Mars am frühen Morgen. Da herrscht bei Sonnenaufgang eine Temperatur von rund minus 100 Grad und in der Kältekammer geht es sogar noch etwas frischer. "Unsere Forschungen haben gezeigt, dass eine Temperatur von minus 110 Grad optimal für den Therapie-Erfolg ist", sagt Prof. Dr. Reinhard Fricke.
Der Rheumatologe gilt als Vater der Kältetherapie in Europa. "Die lokale Wirkung von Kälte gegen Entzündungen ist ja schon lange bekannt, Eis gegen Zahnschmerz oder bei Blinddarmentzündung gehört zur Standardanwendung, doch eine Ganzkörper-Kältetherapie, das war damals neu", sagt Fricke. Der Arzt, der aus der Kälte kam und der Welt erstmals seine Erfindung präsentierte, hieß Dr. Toschima Yamauchi. Er schickte seine schmerzgeplagten Patienten ins künstliche Eis und nach ein paar Minuten kamen die eben noch Gebeugten aus der Kammer gesprungen, die Beschwerden waren Dank der Kälte erstmal vergessen.
"Wir haben auch schon ein paar Wunder erlebt," sagt Wolfgang Schütte, der im Bremer Krankenhaus des Roten Kreuzes die Belegung der Kühlschränke verantwortet und die Patienten begleitet. Denn in Bremen kommt vor der großen Kälte das kontrollierte Abkühlen, damit die Therapie maximal wirkt: "Die Patienten tragen Badesachen und Schuhe, bei Bedarf auch noch Mütze und Handschuhe, dann wird die Haut kontrolliert abgekühlt, auf fünf bis zehn Grad: Dafür werden die Patienten durch drei Kammern geschleust, die erste Station hat moderate minus zehn Grad, dann kommen minus 60 Grad und zum Finale minus 110 Grad für maximal drei Minuten", sagt Schütte. Aber natürlich dürfe jeder auch früher raus, so er denn will.
Denn jeder empfindet die Kälte anders, jede Haut reagiert anders auf den extremen Reiz und wer will sich schon einen Gefrierbrand einfangen? Aber wieso unbedingt minus 110 Grad, darf es auch ein bisschen mehr sein? "Die Japaner arbeiten zum Beispiel mit minus 160 Grad, die Polen gehen runter auf minus 150 Grad, doch die meisten dokumentierten Erfolge wurden bei einer Temperatur von minus 110 Grad erzielt", sagt Dr. Winfried Papenfuss. Der Mediziner leitete lange eine Reha-Klinik auf Usedom und linderte mit der Kältetherapie das Leid vieler chronisch kranker Menschen.
"Von dem Gang in die Kälte profitieren Rheumatiker, Menschen mit Hautkrankheiten wie Schuppenflechte oder Neurodermitis, wie auch Patienten mit Kopfschmerzen oder Migräne", sagt Papenfuss, der auch ein Buch schrieb über "Die Kraft aus der Kälte". Wie sie funktioniert, erklärt Wolfgang Schütte: "Kälte reduziert die Sensibilität der Schmerz-Rezeptoren und dann registriert das Gehirn, da tut ja nichts mehr weh, dann kann man sich ja auch wieder bewegen und die Bewegung produziert neue Gelenkschmiere in den Gelenken." Der Teufelskreis von Schmerz und dadurch bedingte Immobilität wird außer Kraft gesetzt, manchmal, nach 20 Sitzungen, für ein halbes Jahr. "Dadurch sinkt auch die Einnahme von Medikamenten, was genauso bedeutend ist", sagt Fricke.
Natürlich findet auch die Lifestyle-Industrie großen Gefallen an der Idee, die Kälte als Cashcow einzuführen. So ein bisschen wie das Gegenstück zur Sonnenbank. Doch Fricke und seine Kollegen warnen vor zu großen Erwartungen und möglichen Nebenwirkungen: "Die Kälte wirkt nachweislich leistungssteigernd, von daher würde ich zum Beispiel der Fußball-Nationalmannschaft in der Halbzeit einen Gang in die Kammer empfehlen, doch ist noch fraglich, inwiefern Freizeitsportler davon profitieren." Und Wolfgang Schütte ergänzt: "Unter ärztlicher Aufsicht kann es jeder probieren. Aber nicht bei minus 80 Grad, wie es hie und da auch angeboten wird. Dabei wird das Immunsystem nicht genügend stimuliert - und übrigens, nur frei von Piercings testen: Die Dinger werden unangenehm eisig."