Galapagos-Kreuzfahrt:Tölpel im Visier

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Auf Fotokreuzfahrt im Galapagosarchipel helfen Profis den Passagieren, seltene Tiere möglichst lebensecht abzulichten.

Von Ingrid Brunner

Wer Yogi Berra für einen indischen Guru hält, outet sich auf einem amerikanischen Kreuzfahrtschiff gnadenlos als Europäer. Yogi Berra, eine Baseball-Legende der Yankees, die 2015 mit 91 Jahren gestorben ist, kennt in den Vereinigten Staaten jedes Kind. Seine Sprüche ebenfalls, sie gehören zum Zitatenschatz der US-Amerikaner. "Du kannst du eine Menge sehen, einfach beim Schauen" ist eine davon. So wahr. Wenn nun der Fotograf und Pulitzer-Preisträger Jay Dickman den Passagieren auf der National Geographic Endeavour II diesen Rat mit auf den Weg gibt, ist das augenzwinkernd und doch ernst gemeint. Dickman hat schon viel gesehen, auch schlimme Dinge. Für seine düsteren, eindringlichen Fotos vom Krieg in El Salvador hat er 1983 den Pulitzer-Preis erhalten.

Eine Kreuzfahrt zu den Galapagosinseln, tausend Kilometer westlich vor der Küste Ecuadors gelegen, ist nicht nur für Fotografen, sondern allgemein für naturkundlich Interessierte ein Traumziel. Die Riesenschildkröten bewegen sich hier ganz von selbst in Zeitlupe. Und Blaufußtölpel, Seelöwen, urzeitlich anmutende Echsen lassen sich von Besuchergruppen nicht in ihrem Tun stören. Beste Voraussetzungen dafür, dass auch Menschen ohne teure Fotoausrüstung brauchbare Aufnahmen zustande bringen. Besucher haben zuweilen sogar ihre liebe Not, den vorgeschriebenen Abstand von zwei Metern einzuhalten, weil die Tiere nicht fliehen, einige von ihnen suchen sogar die Nähe zum Menschen. "Biologisch naiv" seien die Tiere, wird Expeditionschef Carlos Romero Franco in einem Vortrag erklären: Sie kennen keine Furcht, weil sie im Laufe der Evolution keinen Fressfeinden begegneten.

Das hält natürlich die fototechnisch hochgerüstete Klientel auf der National Geographic Endeavour II nicht davon ab, all ihr Equipment mit an Land zu nehmen. Denn auf jeden Fall gibt es, wie Yogi Berra so treffend sagte, viel zu sehen, wenn man nur hinschaut. Das tun die Passagiere auch - mit gigantischen Objektiven vor dem Auge. Und stets einem Fotolehrer im Schlepptau. Während sich andere Reedereien mit einem oder mehreren Bordfotografen begnügen, ist es der "unique selling point", also das Alleinstellungsmerkmal der Reederei Lindblad, dass auf ihren "Photo Expeditions" stets ein preisgekrönter National-Geographic-Fotograf und ein Team von "Photo Instructors" mitfahren. Allzeit bereit, Tipps zu Belichtung, Bildausschnitt und Dramaturgie zu geben.

Die Blaufußtölpel sind die großen Instagramstars, gegen sie sind die Darwinfinken chancenlos

Für Letztere sorgt die Natur von ganz allein. Auf den Islas Encantadas, den verzauberten Inseln, wie der vulkanische Archipel ursprünglich genannt wurde, ist das Einmalige beinahe die Norm. Vierzig Prozent der Tierarten gibt es nur dort. Endemische Arten also, die dann meist das Präfix "Galapagos" im Namen tragen, etwa der Kormoran, der Falke, die Schildkröte, der Pinguin, der Leguan und natürlich die Finken, besser bekannt als Darwinfinken.

Der englische Naturforscher Charles Darwin machte 1835 im Rahmen seiner fünfjährigen Weltreise auf der Beagle auf den Galapagosinseln Station. Seinen Beobachtungen der Finken und der Spottdrosseln verdankt die Menschheit die Evolutionstheorie, die er in seinem 1859 erschienenen Buch "Vom Ursprung der Arten" postulierte. Eine wissenschaftliche Sensation und zugleich ein Skandal, stellte sie doch die Schöpfungslehre in Frage. Wie ein Übervater ist Darwin auf den Inseln allgegenwärtig: Straßen, Geschäfte, Restaurants, Schiffe, Tierarten, sogar die Forschungsstation in Puerto Ayora sind nach ihm benannt. Auch auf der National Geographic Endeavour II ist Darwin überall dabei: In der Bibliothek füllt Darwin-Literatur die Regale, in der Main Lounge gibt es Vorträge über ihn. Erfreulich in Zeiten, da an etlichen US-Schulen die Evolutionslehre nicht mehr unterrichtet werden darf.

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(Foto: Ingrid Brunner)

Empfangskomitee: Am roten Strand der Insel Rábida hält ein Seelöwe Ausschau nach der National Geographic Endeavour II.

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(Foto: Michael S. Nolan)

Friedlicher Godzilla: Die Galapagos-Meerechse ernährt sich rein vegetarisch von Seealgen.

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(Foto: Sven-Olof Lindblad)

Die Felsnadel am Strand der Insel Bartolomé ist eines der Wahrzeichen der Galapagosinseln.

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(Foto: Michael S. Nolan)

Der Galapagos-Pinguin (Spheniscus mendiculus) ist weltweit die am nördlichsten vorkommende Pinguinart.

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(Foto: Ingrid Brunner)

Zum Greifen nah: Ein Orca taucht direkt neben dem Schlauchboot auf.

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(Foto: Sven-Olof Lindblad)

Ihr verdankt der Archipel seinen Namen: die Galapagos-Riesenschildkröte.

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(Foto: Sven-Olof Lindblad)

Chillen am Lavastrand: Die Galapagos-Meerechse wärmt sich nach dem Tauchgang gerne auf vulkanischem Gestein.

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(Foto: Ingrid Brunner)

Publikumslieblinge: Blaufußtölpel beeindrucken die weiblichen Tiere durch besonders blaue Füße und einen drolligen Schreittanz.

Aber Lindblad Expeditions kooperiert mit National Geographic. Diese Organisation, gegründet 1888 zur Erforschung und Bewahrung der Erde, sowie der gleichnamige Medienkonzern haben weltweit einen vorzüglichen Ruf. Sollte diese Institution den Kreationisten Raum geben, müsste man sich tatsächlich Sorgen machen.

Sieben Tage Galapagos, da gilt es keine Zeit zu verlieren. Gleich nach der Sicherheitsübung geht es zum ersten Landgang auf die Playa Las Bachas auf Santa Cruz. Am Strand dösen tiefenentspannt Seelöwen. Wer nicht aufpasst, stolpert über sie - oder tritt auf die schwarzen Meeresleguane, die sich in perfekter Camouflage auf dem Lavagestein aufwärmen. Im stacheligen Gestrüpp warten junge Fregattvögel auf Futter, einen Strauch weiter bläht ein männliches Tier auf Partnersuche seinen riesigen roten Kehlsack auf.

Der Fregattvogel mag sich aufblasen wie er will, unangefochtener Publikumsliebling ist der Blaufußtölpel: blaue Füße, blauer Schnabel, beim Balztanz tollpatschig von einem blauen Fuß auf den anderen steigen - mehr braucht es nicht, um bei Instagram eine Weltkarriere hinzulegen. Je blauer die Füße, umso attraktiver finden die weiblichen Vögel den Bewerber. "Nicht endemisch", wie Naturführer Salvador Cazar betont. Geschenkt, allein wegen des Blaufußtölpels kommen jährlich Tausende Besucher, um ihn auf einem Bein stehend zu fotografieren. "Wir sind nun mal visuelle Wesen", sagt Foto-Guru Jay Dickman. Stimmt. Schon Darwin betrachtete, zeichnete und beschrieb die Finken, besonders deren Schnabelformen, die sich von Insel zu Insel unterscheiden. Aber Finken haben nun mal keine blauen Füße.

Der Tag an Bord beginnt früh. Das liegt an den strengen Bestimmungen der Nationalparkbehörden. Um die Besucherzahlen zu kontrollieren, gibt sie den Schiffen Slots wie auf einem Flughafen. Der Morgenslot für Kreuzfahrtschiffe liegt zwischen sechs und zehn Uhr. Zwischen zehn und 14 Uhr dürfen Tagestouristen an Land. Zwischen 14 und 18 Uhr nochmals die Kreuzfahrttouristen. An den insgesamt 80 Besuchspunkten auf den Inseln dürfen sich nie mehr als 96 Personen aufhalten.

Die National Geographic Endeavour II ist mit Platz für maximal 96 Passagieren das größte Schiff der Galapagosinseln. Sprich, wo sie ankert, dürfen keine anderen Schiffe liegen. Maximal sechs Gruppen à 16 Personen dürfen an Land gehen. Jedes Schiff muss in einem Logbuch die Landgänge der Passagiere akribisch dokumentieren. Der Nationalpark gibt überdies einen 15-tägigen Fahrplan vor, nach dem die Schiffe im Wechsel die Nord- und Südinseln befahren müssen.

Gegen sechs Uhr ertönt der Weckruf des Expeditionschefs Carlos Romero Franco aus den Lautsprechern in den Kabinen. "Schlafen könnt ihr zu Hause. Ihr seid ja wohl nicht von so weit her angereist, um euch auszuschlafen, oder?", sagt Carlos. Üblicherweise geht die Fotogruppe um halb sieben als erste an Land. Aber auch wer es etwas gemütlicher angeht, sieht viele Tiere, erfährt alles, und wirklich alles über sie. Die Naturführer sind wandelnde Enzyklopädien, die Nationalparkbehörde stellt hohe Ansprüche an sie, ihre Zulassung müssen sie alle zwei Jahre erneuern.

In manchen Momenten fühlt man sich wie in einer Fernsehdokumentation

Muse und Stille findet man im Kajak, mit ihm lassen sich in aller Ruhe Nistfelsen von Noddies oder - ja, auch die gibt es - von Rotfußtölpeln beobachten. Man sieht, wie sich Pelikane wie Kampfjets ins Wasser katapultieren, wie Fregattvögel den Blaufußtölpeln ihre Beute abjagen. "Kleptoparasitäres Verhalten" sei das, erklärt Expeditionschef Carlos. Aus menschlicher Perspektive kein tolles Verhalten, aber in der Natur, erklärt Carlos, überleben eben nur die Besten und Fittesten - ein elementarer Evolutionstreiber, den schon Darwin erkannt hatte. Erbaulicher sind da schon die malerischen Tropikvögel, deren lange weiße Schwanzfedern elegant im Wind flattern. Ja, es gibt diese Momente, da man sich selbst zwicken möchte und sich sagt: Das ist jetzt keine Doku auf Arte, das ist echt. Das sind die großartigen Momente der Reise, die im Gedächtnis bleiben.

Das Leben an Bord hingegen ist zumindest für Europäer ein wenig befremdlich. Zum Beispiel, dass jede Selbstverständlichkeit mit Applaus bedacht werden muss. Geklatscht wird, bis die Hände glühen, oder die Passagiere bei den Abendvorträgen einnicken. Auch das allgegenwärtige Fundraising ist so ein Ding. Die Passagiere können so viel Gutes tun, einfach indem sie Herzen und Börsen öffnen. Gebeten wird um Spenden für die Forschung, für Nachwuchswissenschaftler, für junge Fotografen, für den Naturschutz. Dann ist da noch die Philosophie der offenen Türen: keine Kabinenkarte, kein Schlüssel, kein Zimmersafe. Wozu, so die Idee, brauche es Schlüssel in einer Community von Freunden und Gleichgesinnten? Schöner Gedanke, aber offene Türen laden unter Umständen auch Diebe, nicht nur Freunde ein.

Doch daran wollen die Passagiere nicht denken. Sie wollen lieber schnorcheln gehen. Also raus aus den Kabinen und rein in die Zodiacs. Beim Schwimmen und Schnorcheln herrscht dann wieder ein extrem hohes Sicherheitsbewusstsein: Die Crew verteilt Neoprenanzüge und Schwimmwesten, rät zu langärmligen Shirts, um Schürfwunden an Korallen zu vermeiden. Erklärt die wichtigsten Tauchersymbole für den Notfall. In Booten wacht sie geradezu rührend über das Wohlergehen der Gäste.

Ist der Kopf dann aber unter Wasser, herrscht Stille. In den Ohren ist nur noch pazifisches Rauschen. Verspielte Seelöwen flitzen vorbei, stupsen die verdutzten Schwimmer auch mal an. Galapagos, dieser Archipel der Paradoxe, ist wohl der einzige Ort, wo man zwischen bunten tropischen Fischen Pinguine sehen kann. Wo schwimmfähige Echsen, die aussehen wie kleine Godzillas, sich vegetarisch von Meeralgen ernähren. All das kann man hier sehen. Man muss nur schauen.

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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