Ferien im KGB-Gefängnis:"Hey Süße, ich bin im Gefängnis"

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Wer sich immer schonmal so richtig schikanieren lassen wollte, ist hier goldrichtig: In Lettland können Touristen hautnah ein Ex-KGB-Gefängnis erleben. Gegen Aufpreis gibt es eine Scheinexekution und kein Essen.

Lange Strände, grüne Wälder, pittoreske Architektur, eine exzellente Küche - Lettland hat alles, was erholungsuchende Urlauber sich wünschen können.

Wem dieses beschauliche Idyll zu wenig ist, sollte nach Liepaja fahren: In der lettischen Hafenstadt an der Ostsee können sich Urlauber in einem ehemaligen KGB-Gefängnis ganz nach Geheimdienstmanier beleidigen und drangsalieren lassen - selbst Scheinexekutionen sind nicht ausgeschlossen.

An einem heißen Sommertag finden sich vor dem einstigen Gefängnis 20 Besucher ein. 15 lettische Schüler und ihre Lehrer sowie fünf amerikanische Touristen treffen sich vor den Toren der düsteren Backsteinanlage, die sich für ein paar Stunden "einkerkern" zu lassen.

"Spione, die uns aushorchen wollen!"

Im betonierten Hinterhof ein Vorgeschmack auf die nächsten Stunden. "Wer kommt in dieses Gefängnis?", brüllt Einars Meiris, einer der Betreiber der Anlage, der jetzt den KGB-Aufseher spielt.

"Kapitalistische Spione, die uns aushorchen wollen!" Die Devise während der Tour lautet: gehorchen. Auch für Kinder wird keine Ausnahme gemacht. Zwei Treppen geht es hoch, durch halbdunkle Gänge, die dumpf nach altem Schweiß und traurigen Geschichten riechen.

Dann fällt ein Schuss, ein Achtjähriger in der Besuchergruppe fängt an zu weinen. Er darf gehen. Hinter den anderen klappen die Gefängnistüren zu. Einige müssen Fußböden schrubben, andere lehnen mit Händen und Stirn an der schmierigen Gefängniswand. Alle spuren.

"Sie haben uns gesagt, wenn wir die Hände herunternehmen, müssten wir die Toiletten putzen", sagt die 27-jährige Lehrerin Arielle Fowler, eine US-Touristin, die mit ihrem Bruder zu Besuch ist.

"Haben Sie die Toiletten gesehen?". Plumpsklo wäre ein zu großes Wort: In den Zellen sind drei Löcher in den Boden eingelassen.

Fast hundert Jahre wurden in der Anlage von Liepaja Häftlinge festgehalten - die meisten politische Gefangene. Errichtet wurde der Bau im Jahr 1905, nachdem Seeleute gegen den russischen Zaren den Aufstand geprobt hatten.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden unter den Nationalsozialisten Dissidenten und Deserteure gefoltert und ermordet.

Nach dem Krieg kam der sowjetische Geheimdienst KGB, der hier Oppositionelle festhielt. Erst 1997 wurde die Anlage endgültig geschlossen. Die Organisation "KGB" - auf lettisch das Kürzel für "Marinehafen-Rettungsgesellschaft" - kümmert sich jetzt um ihren Erhalt.

Traurige Teil der Geschichte

"Wir haben das Gefängnis in einem ganz schlechten Zustand übernommen", berichtet "Aufseher" Meiris. "Wir renovieren es, um das militärische Erbe am Leben zu erhalten."

Schließlich sei die Anlage "ein trauriger Teil unserer Gschichte". "Die Kinder wissen nur noch wenig über diese Zeit. Wir zeigen ihnen, wie es war, als es noch dieses Monster Sowjetunion gab, bevor Lettland unabhängig wurde", sagt Meiris, der selbst erst 23 Jahre alt ist.

Allerdings ist das Projekt in Lettland umstritten. Einige finden es nicht richtig, einen Folterort zum Touristenziel umzufunktionieren, andere halten das für lehrreich. "Es gibt ehemalige Häftlinge der Sowjet-Ära, die hierher kommen und ihre Geschichte erzählen", berichtet Meiris.

Aber es gebe auch noch zwei Männer, die während des Zweiten Weltkriegs in Liepaja eingesperrt gewesen seien. "Die wollen nicht kommen, weil ihnen das noch immer zu nahe geht." Etwa 160 Menschen haben die Nazis in den wenigen Jahren ihrer Besatzung in Liepaja hingerichtet. Heute ist an dieser Stelle der Besucherparkplatz.

Umgerechnet fünf Euro kostet eine Tour durch das Gefängnis. Gegen Aufpreis sind auch Extra-Schikanen möglich: eine Übernachtung auf die softe Tour, eine Scheinexekution oder eine Nacht ohne Essen und Schlaf.

Manchmal übermannen selbst Meiris Zweifel: Nicht alle Besucher seien wirklich daran interessiert, etwas über den fürchterlichen Alltag politischer Häftlinge zu erfahren, sagt er.

"Die sind einfach nur auf extreme Erlebnisse aus, nicht auf eine Geschichtsstunde. Die rufen dann zu Hause an und sagen: 'Hey, Süße, stell dir vor, ich bin im Gefängnis.'"

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