Ende der Reise:Runter von den Bäumen

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Der Tourismus füllt oft alten Wein in neue Schläuche. Jüngst bewegt er Gäste dazu, in hohe Bäume zu steigen, dort zu schlafen und auch noch viel Geld dafür zu bezahlen. Dabei haben wir diese Stufe der Evolution doch schon überwunden. Oder?

Von Stefan Fischer

Der Streit darüber, ob die Erde nun eine Scheibe ist oder eine Kugel, er scheint entschieden zu sein. Anders sieht es aus bei der Frage, ob sich die Menschheit wenn auch im Zickzack, so im Grundsatz dennoch linear entwickelt. Oder ob wir nicht doch in so etwas wie einer eiernden Kreisbewegung gefangen sind.

Gegen die lineare Theorie spricht beispielsweise, dass die Bewohner des sogenannten Westens sich zwar zur Demokratie hin entwickelt haben - aber trotzdem Menschen wie Trump, Orbán, Erdoğan und Gauland wählen. Nun kann man einwenden, dass eine geradlinige Entwicklung nicht zwingend nach vorne führen muss, sondern genauso gut auch einer fortwährenden Hatz nach hinten gleichkommen kann. Oder ist jemand der Meinung, die Erfindung von Atombomben, Fast Food und Privatfernsehen hätte die Menschheit in einem positiven Sinn vorangebracht?

Es ist, neben der Modebranche und dem Politikbetrieb, immer wieder der Tourismus, der alten Wein in neue Schläuche füllt. Vielen ist das egal, Hauptsache, es gibt Wein. Aber wer sich die Sinne nicht vernebeln lässt, der erkennt, dass alles irgendwann wiederkehrt. Ob nun der Zuschnitt von Hemden und Hosen oder der des politischen Systems. Wobei hier wie dort die Zyklen mitunter erschreckend kurz sind.

Die Urlaubsindustrie denkt indessen in den ganz großen Schleifen. Es ist schließlich schon eine geraume Weile her, dass die Menschheit von den Bäumen gestiegen ist. Auch wenn das mancherorts später passiert ist als andernorts und man einigen Exemplaren der menschlichen Gattung heute noch unterstellt, sie hätten diesen Schritt nach wie vor nicht oder erst vergangenen Monat vollzogen, so wird dieser kollektive Abstieg gemeinhin als ein wesentlicher Fortschritt angesehen.

Das hindert die Hotelbranche jedoch nicht daran, uns nun wieder die Stämme hochzujagen. Baumhäuser sind derzeit der Renner, jedes bessere Haus bietet derlei an - und nicht selten sind diese Zimmer im Geäst die teuersten. Dabei haben die meisten Menschen die Fertigkeit des Bäumekletterns längst verlernt. Aber auch darin hat es der Tourismus zur Meisterschaft gebracht: Er lässt uns Dinge tun (und dafür oft auch viel Geld bezahlen), die wir entweder nicht können - etwa stehend auf Surfbrettern über Seen paddeln -, oder eklig finden - fermentierten Fisch essen -, oder aber partout nicht ertragen - tagelang aufs Smartphone verzichten. Doch alles kehrt wieder, irgendwann dürfen wir schließlich runter von den Bäumen und uns am Strand in ihren Schatten legen. Zurück in die Vergangenheit!

© SZ vom 18.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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