Ende der Reise:Ein Kilo Buchstaben, bitte!

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Weg mit den E-Readern, her mit den Büchern! Urlauber können diese nun gratis als Übergepäck mitnehmen.

Von Stefan Fischer

In Zeiten sozialer Netzwerke ist es auch in der analogen Welt vorbei mit der Anonymität junger Leute: Eltern kleben seit geraumer Zeit Pickerl auf die Heckscheiben ihrer Familienautos, denen zu entnehmen ist, dass ihre Kinder Luca und Emilia oder Finn und Anne-Sophie ebenfalls mitfahren. Früher waren die Wir-haben-Kinder-Aufkleber neutral. Da hieß es: "Baby an Bord". Das war denn auch weniger Selbstdarstellung als ein Warnhinweis; die unausgesprochene Aufforderung an die anderen Verkehrsteilnehmer, sich besonders rücksichtsvoll zu verhalten. Schließlich wurde im "Baby an Bord"-Auto eine ausnehmend fragile Fracht befördert.

Um schützenswerte Güter handelt es sich auch bei Büchern, trotz Titeln wie "Wohnen für die Seele", Pamphleten von Thilo Sarrazin und Regionalkrimis. Dass die charmante sommerliche Aufkleber-Kampagne "Buch an Bord" an alte Heckscheiben-Botschaften erinnert, zeugt von der analogen Beharrlichkeit der Bücher. Und so ein Aufkleber auf dem Reisegepäck ist nicht nur ein Distinktionsmerkmal, sondern hat einen praktischen Nutzen. Es gibt die Pickerl derzeit im Buchhandel, und wer sich einen auf den Koffer klebt, der darf im Juli und August ein Kilo mehr einpacken bei der Fluglinie Condor - was eben der neue Jonas Jonasson oder Jo Nesbø wiegt.

Wer nur die Schlechtigkeit der Menschen im Sinn hat, wird argumentieren: Die Leute kaufen für zwei Euro etwas aus der Remittendenkiste und nehmen dann doch nur noch mehr Klamotten und Sonnencreme mit. Dass diejenigen sich dafür als vermeintlich alphabetisiert zu erkennen geben müssen, ist die Sache jedoch allein schon wert. Und dass ein Buch seinen Wert erst dann entfaltet, wenn es sich in der Gedankenwelt des Lesers einnistet, sein rein physisches Dasein also gar nicht ins Gewicht fällt - das ist ein noch schönerer Gedanke.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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