Ende der Reise:Der Trend zum Flachland-Gebirge

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Bislang war in den Bergen der Höhenmeter das Maß aller Dinge. Das ändert sich gerade: Denn immer häufiger ist die Länge entscheidend. Natürlich kann diese Entwicklung ein ausgewachsenes Gebirge nur empören.

Von Stefan Fischer

Bislang war in den Bergen der Höhenmeter das Maß aller Dinge. Das ändert sich gerade: Denn immer häufiger ist die Länge entscheidend. Will ein Wanderweg überhaupt noch ernst genommen werden, muss er sich zum Weitwanderweg recken und dehnen. Die Zahl der Etappen, die Gesamtlänge - in dieser Währung wird inzwischen abgerechnet. Das Tolle daran ist - aus Sicht all derer, die keine Eiger-Nord- und nicht einmal eine Kampenwand in der Nähe herumstehen haben: Für das Wandern, das sich in Längen- anstatt in Höhenmetern bemisst, sind Berge verzichtbar. Ein paar Hügel sind von Vorteil, klar, der Aussicht und des alpinen Gefühls wegen - schließlich spielt Erhabenheit eine nicht geringe Rolle im Bergsport. Aber im Prinzip muss die Nase des Wanderers heutzutage kaum noch übers Meeresniveau herausragen.

Natürlich kann diese Entwicklung ein ausgewachsenes Gebirge nur empören. Und doch bleibt weder den Alpen noch den Mittelgebirgen etwas anderes übrig, als sich an diesen Trend dranzuhängen. Sofern sie denn weiterhin die Lieblinge der Freizeit-Massen sein wollen. Und sie wollen. Wer aber künftig noch Urlauber in seinen Bergen haben möchte, der wird diese Berge einebnen müssen. Und auf die natürliche Erosion kann dabei niemand hoffen, denn Zeit billigt die Freizeitindustrie keinem zu.

Die Menschen sind das ineffektive Rauf und Runter hier und heute leid beim Wandern, sie können und wollen nicht mehr 1500 Höhenmeter oder mehr bewältigen, weil sich das nach wenig anhört und doch verdammt anstrengend ist. Aber nur Gondel zu fahren, ist auch blöd. Also werden Seile gespannt, sogenannte High- oder Slacklines, über die man von Gipfel zu Gipfel balancieren kann ohne den mühsamen Umweg über die Senke dazwischen. Für Menschen mit schlechterem Gleichgewichtssinn wurde im Mai im Harz eine 450 Meter lange Hängebrücke eröffnet, die im August von einer 500 Meter langen Konstruktion im Wallis übertrumpft worden ist. Nun ist ein Projekt im Frankenwald angekündigt worden: eine 700-Meter-Brücke übers Höllental. Weiter, immer weiter. Bloß nicht hinauf. Insofern ist es der Geburtsfehler des Gotthardtunnels, dass er über keinen Fußweg neben der Bahnstrecke verfügt. Beim Brenner-Basistunnel wird hoffentlich längst schon umgeplant.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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