Einreisebestimmungen:Überschrittene Grenzen

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Bericht von einer Einreise in die USA: Wie es sich anfühlt, vor dem Abflug zum "fingerprinting" aufgefordert zu werden.

Von Ute Frevert

Ich lebe seit September 2003 in den USA, verdiene hier mein Geld und bezahle Steuern. Und lese jeden Morgen die New York Times. Hier las ich es schwarz auf weiß: Von Januar an würden alle ausländischen Besucher der USA bei der Einreise abgelichtet und "fingerprinted".

Ich rümpfte die Nase. Dass ich schmucklos und auf Strümpfen durch die Detektortoren der Flughäfen schreiten musste, dass mindestens fünf Nagelscheren auf Nimmerwiedersehen in den Depots verschwunden waren, dass der Pass gescannt wurde - daran hatte ich mich seit 9/11 gewöhnt.

Dem neu geschaffenen Department of Homeland Security aber reichte das offenbar nicht: Abdrücke beider Zeigefinger und Porträtfotos sollten die Vereinigten Staaten fortan noch wirkungsvoller vor Terroristen schützen.

Im Vorfeld hatte es Proteste gehagelt. Vor allem die Brasilianer hatten sich aufgeregt. Der Vorfall im Januar 2002, als der damalige brasilianische Außenminister, auf amerikanischem Boden gelandet, seine Schuhe ausziehen musste, hatte für Unruhe gesorgt.

Die neue Repressalie der USA beantwortete die linke Regierung nach dem Prinzip der "reciprocity": Alle US-Amerikaner müssen sich bei der Einreise in Brasilien der gleichen Prozedur unterziehen. Ein Bundesrichter im Mato Grosso hatte die amerikanische Politik als xenophob und entwürdigend bezeichnet und sie mit den schlimmsten Exzessen der Nazis verglichen.

Mir ging diese Analogie entschieden zu weit, und ich hoffte inständig, deutsche Politiker würden diesmal Zurückhaltung üben. Zumal Deutsche und die meisten Europäer, wie ich ebenfalls in der Times las, von den neuen Vorschriften ausgenommen seien. Das fand ich zwar unfair, weil es die Schlange stehenden Ausländer in verschiedene Klassen teilte.

Gleichwohl legte ich die Zeitung mit einem Gefühl der Beruhigung zur Seite: Unsereins befand sich also (noch) nicht im Fadenkreuz amerikanischer Terroristenfahnder, und der transatlantischen Reiserei stand nichts im Wege.

Ich packte meinen Koffer, ließ die Nagelschere zu Hause und machte mich auf den Weg nach Berlin. Auf dem Rückflug las ich den Artikel von Giorgio Agamben ( SZ vom 10. Januar 2004) - und wurde stutzig.

Irritierend fand ich nicht nur, dass auch er Auschwitz und die amerikanische Immigrationskontrolle in Beziehung setzte und damit, wie immer bei solchen Vergleichen, das eine banalisierte und das andere dämonisierte.

Was die Unterhauttätowierung eines Menschen phänomenlogisch mit der Erfassung von Fingerabdrücken gemein haben sollte, erschloss sich mir zudem nur unvollkommen.

Aber noch etwas ließ mich aufmerken: Agamben hatte seine Vorlesungen an der New York University abgesagt, weil er sich nicht "vertieren" und "biopolitisch tätowieren" lassen wollte.

Aber war er als Europäer nicht davon ausgenommen? Hatte er da etwas falsch verstanden? Oder war die Solidarität mit den Nicht-Europäern so groß, dass er deshalb zuhause blieb?

Der Tag, als der Abdruck kam

Kurze Zeit später landete das Flugzeug in New York. Vor den Einreiseschaltern stauten sich die Wartenden - länger als üblich, dank der neuen Vermessungsauflagen.

Als ich an der Reihe war und die freundliche Beamtin meine Papiere musterte, beobachtete ich mitleidig, wie Ankömmlinge aus Asien nebenan ihre Zeigefinger auflegen mussten.

Ein Gefühl großen Widerwillens und ebenso großer Erleichterung überkam mich - bis die Dame ihren Kopf hob und mich gleichmütig zum "fingerprinting" aufforderte. Ich zuckte zusammen und fragte zurück, das müsse wohl ein Missverständnis sein, denn als Europäerin sei ich von den neuen Maßnahmen doch nicht betroffen. Kopfschütteln: Mit dem Visum in meinem Pass gälten sie auch für mich.

Ich erstarrte, schaute bitterböse an der Kamera vorbei und stellte mich beim Fingerabdruck so dämlich an, dass es schon fast wieder peinlich war. Innerlich aufgewühlt, erzählte ich der gleichbleibend freundlichen Beamtin von Giorgio Agamben.

Als sie mir abschließend den obligaten "nice day" wünschte, ging ich stumm von dannen. Tränen schossen mir in die Augen - aus Zorn, Ohnmacht, Demütigung. Die Standardfrage des Zollbeamten "How are you today" beantwortete ich mit einem wütenden "Bad: I just got fingerprinted".

Im Shuttle nach New Haven hatte ich Zeit, über das Erlebnis nachzudenken. Ich verfluchte meine oberflächliche Zeitungslektüre. Denn die neuen Bestimmungen betrafen nicht alle Ausländer, sondern alle, die ein Visum im Pass hatten.

Für die meisten Menschen dieser Erde ist dieser Unterschied null und nichtig; nur Europäer sind, wenn sie als Touristen oder Geschäftsreisende in die USA kommen, von der Visumspflicht ausgenommen - ein Zeichen politisch-kulturellen Vertrauens, das sogar die Unterscheidung von altem und neuem Europa überlebt hatte. Lediglich diejenigen, die in den USA arbeiten oder studieren, brauchen ein Visum - und müssen sich jetzt bei jeder Wiedereinreise erkennungsdienstlich behandeln lassen.

An der Logik dieser Bestimmung möchte man verzweifeln. Traut in den USA die eine Behörde der anderen nicht? Um das Visum zu erhalten, musste ich persönlich im hochgesicherten amerikanischen Konsulat vorsprechen, meine Existenz durch Geburts- und Heiratsurkunden nachweisen, Bescheinigungen meiner neuen Universität einreichen und mich hinter Sicherheitsglas interviewen lassen. Warum werden die so Vorsortierten bei der Einreise erneut einer kriminalisierenden Prüfung unterzogen?

Der gläserne Mensch

Im Prinzip ist nichts dagegen einzuwenden, dass Staaten die Einreise fremder Staatsbürger kontrollieren und beschränken. Das ist ihr gutes Recht, Teil und Ausweis ihrer Souveränität.

In welcher Weise sie aber von diesem Recht Gebrauch machen, spricht Bände. Ein Staat repräsentiert sich vor allem an seinen Grenzen, in der hier demonstrierten Machtgewissheit, Selbstsicherheit und Zivilität (oder ihrem Gegenteil).

Die neuen Einreisebestimmungen der USA lassen Schlimmes ahnen. Was geht in einem Land vor, das alle Ausländer unter Generalverdacht stellt? Das sie einer Prozedur unterwirft, die gewöhnlich zur Identifizierung von Kriminellen oder zumindest Tatverdächtigen angewandt wird?

Eben das ist ja die Botschaft, die die Bush-Administration aussendet: Ausländer sind ein Sicherheitsrisiko. Dürfen die eigenen Bürger ohne Schikane wieder in ihr Land einreisen, werde ich als potenzielle Terroristin behandelt, die man bereits im Vorfeld aussondert und deren unveränderliche körperliche Merkmale der Computer dauerhaft speichert.

Die Informationen des Reisepasses: Augen blau, Größe 1.68 reichen nicht mehr aus; gefragt sind immer neue Bilder und der Fingerabdruck, demnächst wahrscheinlich noch die Speichelprobe.

Aber warum reagiere ich so empfindlich? Was unterscheidet die neuen Vorschriften von den gewohnten Sicherheitschecks? Zwei Unterschiede fallen ins Auge: Zum einen sind alle Reisenden, unabhängig von ihrer Nationalität, davon betroffen; zum anderen bleiben diese Kontrollen äußerlich.

Man durchleuchtet meinen Rucksack und meine Schuhabsätze, man tastet meine Kleidung und meinen Körper auf gefährliche Gegenstände ab, aber das Interesse gilt nicht meiner Person. Das Verfahren bleibt anonym und transitorisch, die gewonnenen Informationen werden nicht aufgehoben, sie bleiben folgenlos.

Eingereiht unter die Verdächtigen

Welche Folgen wird der gespeicherte Abdruck meiner Zeigefinger haben? Das demütigende Gefühl, unter die Verdächtigen eingereiht zu werden und in diesem Land eigentlich nicht willkommen zu sein, ist das eine, das Unbehagen über die Entwicklung der amerikanischen Politik ein anderes.

Hinzu kommt ein Drittes: die Schreckensvision des gläsernen Menschen in den Händen einer allwissenden Bürokratie. Sie scheint immer schneller Wirklichkeit zu werden. Die elektronische Datenerfassung und -verarbeitung erlaubt es, Menschen in bislang unvorstellbarer Weise zu ergründen und ihrer Gewohnheiten, Vorlieben, Interessen detailgenau habhaft zu werden.

An dieser Stelle fallen einem dann doch wieder die Nazis ein. Ihre bürokratisch organisierte und äußerst effektive Vernichtungspolitik beruhte schließlich nicht zuletzt darauf, dass sie auf verlässliche Nachrichten zurückgreifen konnten: auf Fragebögen der Gesundheitsämter, auf Bevölkerungslisten der Einwohnermeldeämter, auf Konfessionsstatistiken der Finanzbehörden.

Hätten ihnen die Informationen zur Verfügung gestanden, die heutige Staaten besitzen, hätten sich die destruktiven Energien noch gründlicher austoben können.

Also übertreibt Agamben doch nicht mit seinem Hinweis auf Auschwitz? Ja und nein: Nach wie vor ist mir der Zusammenhang von Tätowierung und Fingerabdruck uneinsichtig: Im einen Fall prägt mir jemand ein Zeichen auf und unter die Haut, brandmarkt mich sichtbar als seinen Besitz, während im anderen Fall "nur" meine Haut fotografiert wird.

Die Warnung allerdings, der Fingerabdruck könne das Einfallstor für eine immer weitergehende Durchleuchtung, Kontrolle und Bemächtigung sein, ist bedenkenswert. Der amerikanische Kommentator, der sie als "massive paranoia" abtat ( New York Times, 17. Januar 2004), sollte zur Abwechslung mal in den Spiegel schauen.

Die Autorin lehrt Neuere Geschichte an der Yale University.

© Süddeutsche Zeitung vom 27.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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