E-Mail aus Brasilien, 8. Brief:Leben mit dem Karneval

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Christine Wollowski

Itamaracá, 29. Oktober 2001

(Foto: N/A)

Die fünfte Jahreszeit jagt ihre Rhythmen durch die Kokospalmen: Bald ist Karneval. In Rio de Janeiro, Salvador und jedem noch so winzigen Strandort Brasiliens. Ab Januar überschwemmen brasilianische Touristen Itamaracá. Schleppen Ventilatoren, Campingkocher und Stereoanlagen mit sich und stimmen sich auf die Feiertage ein.

Die Insulaner freuen sich auf dicke Verdienste. Hängen Schilder an die Haustüren und versuchen ihre Hütten an Karnevals-Urlauber zu vermieten. Fátima wohnt jetzt mit ihren beiden Töchtern in einem Einzimmer-Rohbau im Garten. Da ist es eng, aber es hat auch Vorteile: Man bleibt unter sich. Wer noch Platz hat, muss mit dem Besuch selbst der entferntesten Verwandten rechnen. Bete hat mich gefragt, ob ihre Freundin Dany mich am Wochenende besuchen kann. Ich habe Dany einmal von Weitem gesehen. Aber ich wohne am Strand.

Werde mich gegen Danys Besuch entscheiden. Im Karneval leide ich schon genug, etwa unter den etwa 20.000 restlichen Insel-Invasoren: Mein Wasserhahn keucht kläglich, stottert und stammelt, gibt aber kein Wasser mehr von sich. Aus dem Gartenschlauch tropft es noch zögerlich. Ob die Wasserversorger bestechlich sind? Neben den schicken Pools der Wochenendvillen rauschen jedenfalls ganztägig Wasserfälle aus den Duschen.

Ich nutze nachts meinen Gartenschlauch. Stehe im Mondschein im Bikini unter der Palme und lasse die lauen Tropfen auf mich rieseln. Danach sitze ich auf der Terrasse, bestaune den Sternenhimmel und lausche der Musik.

Meine Stereoanlage hat im Karneval Urlaub. Weil drei der Nachbarn ebenfalls eine besitzen und diese kräftig zum Feiern einsetzen. Das Wort Lärmbelästigung existiert im Brasilianischen nicht. Hausbesitzer stellen ihre Boxen auf die Straße, Autobesitzer bauen sich riesige Lautsprecher in den Kofferraum und lassen ihre Mitmenschen an ihrem Musikgeschmack teilhaben.

Die Besucher meiner Nachbarn öffnen morgens um zehn das erste Bier und drehen in regelmäßigen Intervallen die Anlage lauter. Die Karnevalshits sind so simpel getextet, dass ich sie im Nu auswendig kann. Wenn von den Nachbarn rechts, links und hinten synchron das gleiche Lied herüberschallt, ertappe ich mich immer öfter beim Mitsingen.

Der Dorfplatz mutiert zur Freilichtbühne, wo jeden Abend Livebands spielen, Einheimische emsig Pommes Frites schnitzen und an Cocktailständen Drinks für Urlauberteenies mixen, die an ihren Freundinnen Halt suchen. Karneval auf der Insel ist bester Ballermann.

Habe eines Abends versucht, den Platz zu umrunden. Dauert normalerweise keine fünf Minuten. Im Karneval bin ich eine Stunde unterwegs, schlängele mich zwischen trinkenden und tanzenden Menschen durch - bis ich eine Entdeckung mache: Die Dachterrasse des neu eröffneten italienischen Restaurants ist ein leerer und luftiger Logenplatz. Unverstellter Blick auf die Showbühne, kühle Getränke und gratis dazu eine nette Brise vom Meer. So ist der Karnevalstrubel richtig schön.

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