E-Mail aus Brasilien, 9. Brief:Ein Fischernetz für mich allein

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Christine Wollowski

Itamaracá, 7. November 2001

Man muss ja nicht immer nur wegen der Fische aufs Meer hinaus... (Foto: N/A)

Es ist nicht leicht, auf der Insel Fisch zu kaufen. Die besten und größten Exemplare reservieren sich die Restaurantbesitzer schon vor dem Fang. Den Rest liefern die Fischer in der Colônia ab, einer Art Fischmarkt direkt am Strand, wo er zu Einheitspreisen verkauft wird.

Klingt übersichtlich? Wäre es auch, wenn der Fischmarkt feste Öffnungszeiten hätte. Tatsächlich ist er immer dann geöffnet, wenn die Fischer vom Meer kommen. Genau so lange, bis der Fang verkauft ist. Das kann eine halbe Stunde oder drei Stunden dauern.

Ich habe ein gestörtes Verhältnis zum Fischmarkt. Stelle mir zum Beispiel vor, wie schön es wäre, Tintenfisch zu kochen. Eile freudig zur Colônia. Und finde dort ein Schüsselchen voller Sardinen. Fischer, Fischersfrauen und Fischersnachbarn wissen genau, wann ein Gang zur Colônia lohnt. Ich lerne es vermutlich nie.

Brauche ich jetzt auch nicht mehr, weil ich Marco kenne. Der hat ein großes Fischerboot. Und seit gestern knüpft er ein neues Fischernetz. Mein Netz. Die Abmachung lautet: Ich bezahle das Material und die Arbeit, dafür bekomme ich die Hälfte von allem, was Marco mit meinem Netz fängt. Als ich Marco das Geld bringe, fragt er: Willst Du Fisch mitnehmen? Packt vier Riesenfische in eine Plastiktüte und drückt sie mir grinsend in die Hand.

Die Fische sind noch nicht ausgenommen. Meine Nachbarin freut sich. Schuppt geübt die Flossentiere, befreit sie von ihren Innereien und bekommt einen Riesenkerl für sich. In nächster Zeit kann ich dreimal täglich Fisch essen.

Heute hat mich Marco eingeladen, mit aufs Meer zu fahren. Sitze pünktlich um halb sechs Uhr morgens am einsamen Strand. Die Sonne versteckt sich schüchtern hinter ein paar Federwölkchen, die verschämt erröten. Das Wasser liegt still und bleigrau. Da hüpft ein weizenblonder Knirps durch den Sand. Winkt mir fröhlich zu und ruft: "Marco kommt gleich, komm, wir klettern schon mal aufs Boot".

Das tun wir. Der Knirps nimmt seinen Stammplatz am Bug ein und schweigt wie ein alter Seemann. Ich schweige auch. Meine Gedanken fliegen. Ich muss nach Deutschland. Nicht weil ich Senhnsucht habe. Muss meine Steuern regeln, muss mein Visum verlängern, muss mich der Bürokratie beugen. Mein letzter Tag auf der Insel naht. Kein Meer, keine Pferde, keine frischen Fruchtsäfte.

Als ich gerade melancholisch werden will, kommt Marco mit seinen Helfern; stolze 14jährige, die lange schlafen langweilig finden. Die ihre Teenie-Muskeln spannen, um das silbrige Netz aus den Fluten zu hieven. Marco mischt sich nur ein, wenn das Netz zu reißen droht. Steckt mir eine Hand voll Langusten zu. Schaut aufs Meer. Sehr weit hinaus. Irgendwo dahinter werde ich landen.

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