E-Mail aus Brasilien - 2. Brief:Alltag unter Palmen

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Christine Wollowski

Itamaracá, 9. Oktober 2001

Pferde im Zaum, Ruhe kehrt ein. (Foto: N/A)

Mein Fußboden ist trocken. Ich beginne den Tag nicht mehr mit einem ängstlichen Blick zum Himmel. Das Meer ist nicht mehr schlammbraun, sondern türkisgrün, wie sich das gehört.

Und ich sitze nicht in einem Münchner Büro, sondern in meinem Haus. Das man bösartig als winzige Hütte bezeichnen könnte. Weil es knapp 40 Quadratmeter groß und von einem lächerlichen Dach aus Wellpappe bedeckt ist. Im Vergleich zu Deutschland bin ich arm. Habe weder Waschmaschine noch Staubsauger, weder Videorekorder noch schicke Möbel.

So hatte ich mir das vorgestellt: Wollte nicht mehr von hektischem Weckerpiepsen aus dem Schlaf gerissen werden. Meine Zeit frei einteilen. Strandwandern, Baden, Reiten, Gärtnern. Die Sonne brennt so eifrig, dass ich jeden Morgen früher aufstehe, weil mir sonst das Hirn wegschmilzt. Mixe mir morgens um fünf ein Bananenshake, verfüttere die Schalen an meine Pferde, nehme den Hengst und reite mit ihm zum Strand.

Normalerweise. Heute baumelt nur ein Stück blaues Seil an dem Laternenpfahl, wo ich ihn gestern angebunden hatte. Das Pferd ist verschwunden. Ist eben ein Macho: Läuft lieber Mädels hinterher, als zu Hause zu fressen. Ob ich es je schaffe, ihn wieder einzufangen?

Auf zur Schnitzeljagd: Mit dem Seilrest, der ihm noch vom Hals hängt, hat der Ausreißer eine saubere Spur in den Sand gezogen. Und führt mich schlau in die Irre. Umkreist jeden Häuserblock, dreht Schleifen, lässt die sorgsam gelegte Spur in einem saftiggrünen Rasenstück enden. Meine Stute findet die Suche sinnlos. Trottet immer langsamer und lustloser.

Ha! Der alte Gigolo hat sich im Gebüsch versteckt und flirtet. Mit sechs neuen Freundinnen! Wütend wiehert die Stute. Keine Reaktion. Erst als das Wiehern weicher lockt, lässt ihr Süßer seine Neueroberungen stehen. Er trabt schnaubend heran und ist so schnell auf der Stute, dass ich gerade noch vorher abspringen kann.

Während er sich mit ihr vergnügt, werfe ich dem Hengst unauffällig ein Seil um den Hals. Kurz darauf fliegen wir alle drei über den Sand. Die Sonne strahlt. Der Strand gehört uns allein.

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