Die Queen Charlotte Islands:Kanadas Galapagos

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Der Nationalpark Haida Gwaii ist ein Schatz an biologischer Vielfalt, an dem es unendlich viel zu entdecken und auch zu bewahren gibt.

Ingrid Brunner

Riesige Seesterne in Knallrot, Pink und Orange. Faustgroße Seeigel in Aubergine und Altrosa. Seeanemonen in fröhlich-bunter Vielfalt. Muscheln in allen Formen und Größen. Wer glaubt, die Meereswelt ist nur in der Südsee farbenprächtig, der sollte einmal einen Blick in nordische Gewässer riskieren: Am äußersten westlichen Rand Kanadas befinden sich die Queen Charlotte Islands.

Und die gelten nicht nur wegen ihrer entlegenen geografischen Lage als die kanadischen Galapagos: Ihre biologische Vielfalt bringt nicht allein Naturkundler zum Schwärmen.

Doch wer das Archipel erkunden will, muss schon ein wenig Pioniergeist mitbringen. Denn der Nationalpark ist nur per Boot oder Wasserflugzeug erreichbar.

Baumriesen und Buckelwale

Der Island Roamer, ein 22 Meter langer Motor-Segler, ist das ideale Fortbewegungsmittel in dieser von Buchten und tiefen Fjorden zerklüfteten Inselwelt fernab der Zivilisation. Der nördliche Pazifik ist Lebensraum für Orcas, Buckelwale, Delfine und Seelöwen. Die kalten Regenwälder sind Heimat von Jahrhunderte alten Baumriesen. Und auf den Landgängen erkunden die Passagiere verlassene Dörfer und kunstvoll geschnitzte Totems der Haida-Indianer.

Walgucker können immer wieder einen Blick auf die schwarzen Kolosse mit den weißen Flecken erhaschen, bis sie endgültig abtauchen und der Show ein Ende machen. Kitty Lloyd, die Biologin an Bord, erklärt den Gästen, dass Orcas in den Gewässern um die Queen Charlotte Islands nicht heimisch sind, dass es sich vielmehr um "Transients" handelt: Orcas auf der Durchreise, immer auf Futtersuche, versteht sich: Die Tatsache, dass sie Säugetiere - meist Robben oder Seelöwen - jagen, hat ihnen den Beinamen "Killerwale" eingebracht.

Auszug von Adler Junior

Neben den Orcas haben die Gäste bereits Buckelwale gesichtet, einen trägen und zentnerschweren Seelöwenbullen auf einem Felsen entdeckt, Weißkopfseeadler-Eltern zugesehen, wie sie ihr Junges mit sanfter Gewalt in die Freiheit des Erwachsenenlebens scheuchten. Was für den unkundigen Betrachter wie ein Territorialkampf aussah, war in Wahrheit der etwas unfreiwillige Auszug von Adler Junior aus dem komfortablen Hotel Mama bei Adlers, erläutert Kitty.

Die Meeresbiologin kennt die Queen Charlotte Islands von vielen Reisen auf dem Island Roamer, bei denen stets ein Naturwissenschaftler an Bord ist, um den Gästen die Einmaligkeit des marinen Lebens sowie des nördlichen Regenwaldes nahe zu bringen.

Unverzichtbarer Bestandteil dieser einwöchigen Trips ist auch die Kultur der Haida-Indianer, die einst, vor dem Eindringen des "weißen Mannes", zu Tausenden auf dem Archipel gelebt haben. Die Lebensweise der Haida ist das Bindeglied zwischen Natur und Kultur, Beleg dafür, dass Mensch und Umwelt harmonisch zusammen existieren können. Die Haida kannten und verstanden die Natur, sie nutzten sie, nahmen aber - wie letztlich alle Natur-"Völker" - nur so viel, wie sie brauchten, lebten von und mit ihr, bis Seuchen, Unterdrückung und Vertreibung die Haida beinahe völlig ausgelöscht hatten.

Heute besinnen sich die Nachfahren der Haida auf ihre Traditionen. Mehr noch: Sie sind jetzt die Wächter, Watchmen und Watchwomen, die in Haida Gwaii, wie der Nationalpark im südlichen Teil der Queen Charlotte Islands von den Ureinwohnern genannt wird, auf fünf verschiedenen Orten den Sommer verbringen, um sicherzustellen, dass kein weiterer Raubbau im Nationalpark getrieben wird.

Ein Glück, dass diese Inselkette so entlegen ist und der Zugang nur mit Permit, der Genehmigung durch den National Park Service, erlaubt ist. Wer aber mit einem wendigen Kajak oder mit dem Island Roamer unterwegs ist, findet eine Welt vor, die nahezu unberührt ist, hat abends eine Bucht ganz für sich allein.

Nur eine neugierige Robbe steckt ab und zu den Kopf aus dem Wasser, und am Strand ist schon mal ein Schwarzbär beim Dinner zu beobachten. Dass dieses Idyll noch existiert, ist der Einsicht der Ureinwohner und der kanadischen Regierung zu verdanken, dass sie nur gemeinsam das einmalige biologische Habitat für die Nachwelt bewahren können.

Im Jahr 1987 einigten sich Umweltschützer, Haida und Behörden darauf, den südlichen Teil von Moresby Island zum Nationalpark zu erklären. Das partnerschaftliche Modell bewährt sich. Seither hüten die "First People", wie sich die Haida selbst nennen, wieder "ihr" Land. Sie schützen nicht nur einen Schaukasten der Evolution, sondern zugleich die verlassenen Dörfer ihrer Ahnen.

Traditionen bewahren

In Cumshewa, Skedans, Tanu und Sgang Gwaay bestimmen sie, welche und wie viele Besucher kommen können, führen die Gäste durch die Dörfer, erklären die Bauweise der Langhäuser, die Symbolik der Tiere, die in die Totems geschnitzt sind: Rabe, Orca, Bär, Biber, Adler und der mystische Seewolf.

1981 ist Sgang Gwaay von den Vereinten Nationen zum Weltkulturerbe erklärt worden. Beeindruckend die Freundlichkeit der Watchmen: keine Bitterkeit, kein vorwurfsvoller Unterton, keine Machtspiele, wie man sie teils im Südwesten der USA erlebt.

Ausführlich erzählen sie von den Sitten und Gebräuchen ihrer Vorfahren. Von den Potlachs sprechen sie, wilden Festen, in deren Verlauf der Gastgeber seine ganzen Güter verschenkte und sich zwar materiell ruinierte, aber zugleich sein Ansehen und seine Machtstellung demonstrierte und mehrte.

Die Tage sind prall voll: Landgänge, Wanderungen im Regenwald, dazwischen Delfinschulen, die das Boot umringen, drollige Papageientaucher, ein heißes Bad in den Naturbecken von Hot Springs, Tide-Wanderungen, bei denen riesige farbige Seesterne zum Greifen nahe sind. Stille Erkundungen im Kajak, und Anglerglück vom Boot aus. Rauchblaue, anthrazitgraue und violettfarbene Hügelketten bei Vollmond.

Exzellentes, stets frisch zubereitetes Essen von der Bordköchin Raidun. War das nun eine abenteuerliche Bildungsreise, eine ganzheitliche Ökokreuzfahrt oder eine kulinarische Expedition in die Wildnis? Egal - die Queen Charlotte Islands oder besser Haida Gwaii ist ein Ort, an dem es unendlich viel zu entdecken und zu bewahren gibt.

Informationen: Die Queen Charlotte Islands sind auch mit der Fähre von Prince Rupert aus erreichbar: www.bcferries.com/schedules/inside/. Air Canada pendelt zweimal täglich zwischen Vancouver und Sandspit, dem Startpunkt des Island Roamer. Die Bootstouren durch die Queen Charlotte Isalnds finden von Mitte Mai bis Ende August statt. Veranstalter ist Bluewater Adventures mit Sitz in Vancouver, das sich auf naturkundliche Kreuzfahrten auf kleinen Booten spezialisiert hat. Informationen: www.bluewateradventures.ca, E-Mail: info@bluewateradventures.ca, Tel. 001-604-980-3800

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