Deutschland zu Fuß:Ohne Komfort

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Sebastian Razik arbeitet gern in der Natur, hier hilft er beim Bergwaldprojekt Oberstdorf. (Foto: Matthäus Holleschovsky)

Sebastian Razik ist seit fünf Jahr­en mit Rucksack und Zelt unter­wegs, ohne Handy. In diesem Sommer wanderte er durch seine Heimat. Am lieb­sten geht er an Orte, an denen wenig Touristen sind, wo man die Natur bewusst erleben kann.

Von Lara Voelter

Tausende Kilometer ist Sebastian Razik in den vergangenen fünf Jahren quer durch Europa gewandert, zu jeder Jahreszeit. Die Schweiz, Österreich, Slowenien, Tschechien, Polen, Litauen, Weißrussland, Italien und Frankreich hat der promovierte Geowissenschaftler bereits erkundet, nur mit Rucksack und Zelt. Aufgrund von Corona bereist er seit einigen Monaten hauptsächlich Deutschland.

"Je schneller der Körper reist, desto länger brauchen Geist und Seele, um am neuen Ort anzukommen", ist der Langstreckenwanderer überzeugt. Deswegen geht er zu Fuß. Man nehme die Welt auf diese Weise völlig anders wahr, atme anders, rieche anders, schmecke anders, sagt er. Einen festen Wohnsitz hat er seit Jahren nicht mehr. Während seiner früheren Arbeit als Wissenschaftler beschäftigte er sich mit Themen der Tropen-, Polar- und Meeresforschung. Irgendwann bekam der 39-Jährige den Eindruck, in einem Elfenbeinturm zu sitzen. Er dachte: "Das, was ich momentan im Detail erforsche, erreicht die Menschen mit einer Verzögerung von etlichen Jahren - und viele Menschen erreicht es überhaupt nicht."

Irgendwann wollte Razik da raus. Wollte die Natur wieder bewusster erleben, dem Alltagstrott und der leistungsorientierten Berufswelt, die er als einschränkend empfand, entfliehen. Am liebsten sucht er nun Orte auf, wo wenig Touristen sind. "Es gibt in Deutschland so viele kleine Welten, die wir vergessen haben, weil wir gar nicht wahrnehmen, welche Schätze wir vor der eigenen Haustür haben", sagt er. So wanderte er beispielsweise an der Weser entlang. "Das Zusammenspiel von Wasser, sehr alten Buchenwäldern und dem Auf und Ab des Berglandes ist einfach märchenhaft. Die alten Fachwerkhäuser passen so stimmig zur Landschaft, dass man glauben könnte, sie seien mit ihr entstanden." Weiter ging es in den Harz, wo er auf dem Brocken winderfüllte Nächte verbrachte. Vom Thüringer Wald zog es ihn ins Vogtland, nach Oberfranken und über das Erzgebirge in die Sächsische Schweiz. An der Grenze zu Österreich wanderte er entlang dem Maximilianswegs vom Königssee bis zum Bodensee und schließlich an der Donau entlang auf die Schwäbische Alb, wo er aufgewachsen ist.

"Häufig ändert man nur seinen physischen Aufenthaltsort, wenn man reist, mit den Gedanken bleibt man aber am gewohnten Ausgangspunkt", meint Sebastian Razik. Deshalb ist er ohne Handy oder Laptop unterwegs. Auch finanziell beschränkt er sich auf ein Minimum: Mal arbeitet er für wenige Tage, mal für ein paar Wochen, als Übersetzer oder Erntehelfer, oft auf Biobauernhöfen, wo er im Gegenzug die Übernachtung und Lebensmittel bekommt. Demnächst bricht er in die Schweiz auf, um mit anderen Freiwilligen Wälder zu pflegen. Wieder ein Leben zu führen, wie er es vor seiner Reise gewohnt war - das kann er sich kaum vorstellen. "Um in der Natur bestehen zu können, zählt nur, was wirklich ist, nicht, was man vorgibt zu sein. Dort fühle ich mich lebendig, erfüllt und zu Hause - ganz egal, wo ich mich geografisch befinde."

© SZ vom 05.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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