Cowboy-Urlaub in Australien:Die Hölle von Katherine

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Im Norden Australiens lassen sich Greenhorns zu Cowboys ausbilden und müssen mehr als nur reiten: Zäune bauen, durch den Fluss fahren und Frauenarzt für Kühe spielen.

Till Hein

Und dann reiten wir wieder durch die Prärie. Oder durch das Buschland, wie man hier in Nordaustralien sagt: karge Sträucher, vergilbtes Gras und hin und wieder ein Termitenhügel. Die Sonne steht hoch am Himmel. Die Hufe klappern auf dem harten, ausgedörrten Boden. Es riecht nach Pferd und Menschenschweiß. Über unseren Köpfen kreisen schwarze Kakadus.

Ich lehne mich im Sattel weit zurück, wie ich es bei Tony, unserem Lehrer, beobachtet habe. Stütze die rechte Hand lässig in die Hüfte, in der linken halte ich die Zügel. "Yippee-yi-ya, yippy-yi-yo", summe ich vor mich hin. Bis vor drei Tagen kannte ich Pferde nur aus Western-Filmen. Jetzt bin ich ein Cowboy!

Okay, eigentlich bin ich noch ein Greenhorn. In diesem Kompaktkurs will ich gemeinsam mit sechs jungen Frauen aus Europa und Australien das Cowboyhandwerk erlernen. "Ob die nicht besser nach Ibiza gefahren wären?", dachte ich. Aber schon bald reiten die Mädchen wie der Teufel voran. Ich muss alles geben.

Meine Vorkenntnisse sind bescheiden. Ich bin ein Stadtmensch. Meine Wildnis ist Berlin-Kreuzberg.

Statt mit Rindern und Pferden schlage ich mich sonst mit der Computermaus herum. Kann man in fünf Tagen ein neuer Mensch werden?

Unsere Cowboylehrer Tony und Terence, Experten vom Rural Campus der nordaustralischen Charles Darwin Universität, behaupten das. Tony ist Anfang 30 und ein drahtiger Typ. Er hat helle Haut, ein markantes Kinn und rote Haare. Terence, sein Assistent, ist Aborigine, etwa gleich alt wie Tony und ein Riese. Seine Haut ist tiefschwarz. Die beiden sehen verwegen wie Westernhelden aus.

Unsere Trainingsfarm steht ein paar Meilen nördlich des Städtchens Katherine, irgendwo im Nirgendwo des Northern Territorys: "Die Hölle von Katherine" denke ich schon nach den ersten paar Stunden Stallausmisten. Denn die Ausbildung ist knochenhart.

Gleich am ersten Tag auf der Farm lernen wir auch unsere Pferde kennen. Meines ist ein Falbe und heißt Bear. In meinen neuen Cowboystiefeln schwinge ich mich zum ersten Mal im Leben in den Sattel. Ich fühle mich wacklig wie auf Stelzen. Zum Glück bewegt Bear sich langsam, als sei er eben erst aus dem Winterschlaf erwacht.

Wenn ich nach rechts abbiegen will, muss ich mit dem Fuß in die linke Flanke des Pferds drücken und die Zügel nach rechts nehmen, erklärt Tony. Und umgekehrt. Das ist komplizierter als Skifahren. Damit der Hengst stoppt, soll ich kräftig an den Zügeln ziehen und "Bouuuhhhh!" rufen. Plötzlich beschleunigt Bear das Tempo. Wie ein Känguru hopse ich auf seinem Rücken auf und ab. "Absätze nach unten drücken!", ruft Terence.

Mein Herz rast, die Zähne klappern. "Bouuuhhhh!", brülle ich, "Bouuhh, bouhhh, bouhhhhh!" und reiße verzweifelt an den Zügeln.

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:Cowboys auf Urlaub

Es gibt sie noch in den USA: Ranger und Cowboys, die große Viehherden durchs weite Land treiben. Auch Touristen können mit von der Partie sein - natürlich nur, wenn sie auch mit anpacken.

Endlich hält der Hengst an. "Gar nicht schlecht", lobt mich Tony, als der Abend dämmert. Bear sei manchmal eben etwas "albern".

"Es ist ein heftiger Job", sagt unser Lehrer später am Lagerfeuer, "aber wir werden euch alles beibringen". Er schenkt uns eine Cowboy-Fibel. Wie man das Alter von Pferden und Rindern am Gebiss abliest, ist darin etwa beschrieben. Und weiter hinten finden sich Erste-Hilfe-Techniken bei Schock, Knochenbrüchen, Fleischwunden, Spinnenbissen. Unter anderem wird die Mund-zu-Mund-Beatmung erklärt. Wir lernen in der Tat alles in diesem Kurs.

Außer Lassowerfen. Das mit dem Lasso sei nämlich eine Marotte der nordamerikanischen Cowboys. "Die haben dort noch etwas andere Vorstellungen", sagt Tony.

Der australische Cowboy packt das Rind am Schwanz und drückt es mit dem Körper auf den Boden, so dass man ihm blitzschnell die Beine fesseln kann.

Nächste Lektion: Zäune bauen. Zuerst müssen wir Stahlpfeiler in den Boden rammen. Nicht mit einem Vorschlaghammer, sondern mit einer "Dolly". Dieses Werkzeug sieht wie eine Amphore aus und ist bleischwer. Man stülpt es über den Pfeiler, hebt es leicht an und wuchtet es nach unten. Der Vorteil: Mit einer Dolly haut man sich nie auf den Daumen.

Anschließend sollen wir Stacheldraht um die Pfeiler spannen. Und zwar "völlig symmetrisch", betont Tony: Der Zaun sei gleichsam "die Visitenkarte des Cowboys".

Für den Nachmittag ist eine romantische Kanufahrt auf dem Katherine River geplant. Aber Tony ändert das Programm spontan. Stattdessen warte nun "ein unvergessliches Erlebnis" auf uns, sagt er: "Schwangerschaftstest".

Wie bitte? "Schwangerschaftstest bei Kühen", präzisiert der Cowboylehrer. Mehr als Tausend Tiere gehören zu dieser Viehstation. Die beigen Rinder erinnern an Zebus aus der Sahelzone und haben einen spitzen Höcker im Nacken.

Vielleicht sieht man den aber auch nur so gut, weil die Tiere so wenig Fleisch auf den Knochen haben. Zu Fuß treiben wir Dutzende Rinder mit Stöcken in ein von Metallschranken begrenztes Laufgitter, wo sie untersucht werden sollen. Sie werden nervös. Eine Kuh senkt den Kopf und rennt auf uns zu - wie beim Stierkampf.

Gerade noch rechtzeitig können wir uns über ein Gatter retten.

Endlich sind die Rinder eingepfercht. Ein älterer Cowboy hält Plastikhandschuhe bereit. Er träufelt Öl als Gleitmittel drauf, dann darf ich eine Kuh von innen kennen lernen: Ich soll meine Hand in ihr Rektum einführen, erklärt der Cowboy: im 45-Grad-Winkel, schräg Richtung Bauchdecke. "Die Fingerspitzen der rechten Hand an einander legen und einen ,Entenschnabel' formen", doziert er, "und jetzt drücken". Bald ist meine Hand im Hintern der Kuh verschwunden. Tiefer und tiefer rutscht sie in den glitschigen Tunnel.

Der Hintern der Kuh verschluckt meinen Ellenbogen, dann den ganzen Arm. Doch was ist das? Mit den Fingerspitzen kann ich eine Kugel ertasten. Klein wie ein Tischtennisball. Ist das der Embryo? Der alte Cowboy schüttelt den Kopf: "Plazenta", sagt er knapp.

Zwei Handbreit weiter vorne erspüre ich eine Art Billardkugel. "Prima", sagt er, "du hast den Kopf". Als der Hintern der Kuh meinen Arm schließlich wieder ausspuckt, bin ich schweißgebadet. "Nicht übel", sagt Tony, "aber zu langsam: Ein guter Cowboy testet 60 Kühe pro Stunde".

In Nordaustralien heißen Cowboys und Cowgirls "Jackeroos" und "Jillaroos". Und sie lassen sich gerne von der modernen Technik helfen: Weil der Boden so karg ist, brauchen ihre Tiere nämlich riesige Weidegründe. Es gibt Farmen, deren Ländereien so groß sind wie Belgien. Und manche Rinder legen auf der Suche nach Wasser täglich mehr als zehn Kilometer zurück.

Viele Cowboys treiben ihre Tiere daher nicht mehr auf dem Rücken von Pferden zusammen, sondern heizen auf Quads hinter ihnen her, einer Art Motorrad mit vier Rädern.

Jetzt rasen wir durchs Buschland. Beiger Sand dringt mir in Augen, Ohren, Nase, Mund. Wir hoppeln über Buckelpisten, springen über Schanzen. Beim Slalom-Fahren um dürre Büsche werde ich beinahe aus der Kurve geschleudert. Und sogar Gewässer sind für Quads kein Hindernis. Michelle mit den langen braunen Locken, die talentierteste von uns, braust wie immer voraus, bahnt sich ihren Weg durch den Tümpel. Auf halbem Weg bleibt sie stecken.

Fluchend lässt Michelle die Maschine auf Hochtouren laufen. Der Motor heult auf, Dreck spritzt meterhoch, die Räder graben sich immer tiefer in den Morast. Doch das schlammverschmierte Nachwuchs-Cowgirl kommt keinen Zentimeter vom Fleck. Tony hinterher waten wir durchs seichte Wasser, um ihr zu helfen. Wir sinken mit den Cowboystiefeln im sumpfigen Boden ein, schieben mit aller Kraft. Endlich ist der Quad geborgen.

(Foto: Grafik: Melissa Wolf)

Zur Feier des Tages organisiert Tony ein Grillfest am Lagerfeuer. Er und Terence braten auf einem riesigen Grill Zwiebeln und bergeweise Fleisch an. Nordaustralische Cowboys ernähren sich am liebsten von Steak. In der Regel ist es Rindersteak, manchmal auch vom Känguru. Und dazu gibt es eimerweise australisches Bier.

Überraschung: Heute dürfen wir unter freiem Himmel übernachten, in Swags, einer australischen Besonderheit. Es handelt sich um olivgrüne Riesenschlafsäcke mit integrierter Schaumstoffmatratze. "Wieso kein Zelt?", fragt Tina aus Thüringen, mit 18 Jahren unsere Jüngste, besorgt. "Ist doch Trockenzeit", beruhigt sie Tony. Im August habe es hier zum letzten Mal 1991 geregnet.

Unruhig wälze ich mich im Swag hin und her: Von den 25 giftigsten Schlangen der Welt leben 21 in Australien. Und dann die Krokodile, die "Saltys" und die "Freshys", die Salz- und die Süßwasserkrokodile. Zum Glück ist unser Schlafplatz weit weg vom Wasser, mitten im Buschland während der Trockenzeit. Um drei Uhr früh schrecke ich aus dem Schlaf hoch. Ich liege in einer Pfütze. Es schüttet!

Das Finale des Lehrgangs: Selbstständig dürfen wir nach der traditionellen Methode, ohne Quad, eine Rinderherde von einer Weide zur Viehstation zurück treiben. Es ist eine große Herde mit fast 60Jungtieren. Wie nach Lehrbuch reiten wir auf die Tiere zu und kreisen sie ein. Ich gehöre zur Nachhut. Die Rinder stürmen bald weit voraus.

Doch als sie schließlich sicher auf der heimatlichen Weide sind, bin ich so stolz, als hätte ich den Job ganz allein erledigt. Ich mag kein Naturtalent sein, gut. Aber ich werde immer souveräner im Sattel.

Spät abends bekommen wir die Diplome überreicht und stoßen mit schwarzem Cowboy-Kaffee an. Jetzt sind wir richtige Jackeroos und Jillaroos. Akademisch geprüft! Manchmal dachte ich, es war ein Fehler, ohne Vorkenntnisse an diesem Lehrgang teilzunehmen. Doch jetzt, wo alles bald vorbei ist, sehe ich die Hölle von Kathrine nur noch im besten Licht.

Am nächsten Tag noch ein letzter gemeinsamer Ausritt. Wie ein Feuerball steht die Sonne hoch am Himmel. Es riecht nach Pferd und nach Menschenschweiß. Über unseren Köpfen kreisen schwarze Kakadus. Fast so cool wie Tony und Terence lehne ich mich im Sattel zurück, die rechte Hand locker in der Hüfte, in der linken die Zügel. Entspannt wiege ich mich im Rhythmus von Bears Schritten. Yeeeaaah! Es ist ein gutes Gefühl, ein Cowboy zu sein.

Doch plötzlich rastet der Hengst aus. Wie vom Krokodil gebissen rennt er los, wirft den Kopf hin und her. "Bouuhh!", brülle ich, "Buuhhhhh!", und reiß ihn am Zügel nach hinten. "Zeig ihm, wer der Chef ist", ruft Tony. Doch Bear schüttelt sich, krümmt sich, buckelt.

Ich verliere das Gleichgewicht, stürze, versuche den Aufprall durch einen Purzelbaum abzufedern. Dennoch krache ich auf die Hüfte, kann mich vor Schmerzen kaum mehr aufrappeln. Bear wiehert triumphierend.

Die letzten Kilometer zurück zur Trainingsfarm muss ich mich in einem Jeep chauffieren lassen. Und beim Abschiedsessen - blutiges Rindersteak - machen alle Witze über mich: "Wow, unser Berliner wurde vom Bären attackiert". Ich lächle gequält. "Immerhin hast du dich gut abgerollt", sagt Michelle, unsere Klassenbeste, und klopft mir anerkennend auf die Schulter. Schlagartig fühle ich mich besser. Ein echter Cowboy kennt eben keinen Schmerz.

Informationen

Anreise: Mit Qantas von Frankfurt nach Darwin ab 999 Euro, www.qantas.com. Weiter ins 250 Kilometer entfernte Katherine mit dem Mietauto oder einem der regelmäßig verkehrenden Fernbusse.

Buchung der Lehrgänge: Agentur Southern Cross, Friedrichstraße 37, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711/3803416, www.southern-cross-education.de; Training, Kost und Logis (Einzelzimmer mit Gemeinschaftsbad) kosten ca 600uro. Nächste Termine für Cowboykurse sind: 2. bis 6. Juni, 30. Juni bis 4. Juli, 4. bis 8. August, 1. bis 5. September.

Die Cowboy-Trainingsfarm gehört zum Rural Campus der Charles Darwin Universität. Weitere Auskünfte: Tourism Northern Territory, Neue Mainzer Straße 22, 60311 Frankfurt/M., Tel.: 069/27400618, E-Mail: info@australiasoutback.de, www.australiasoutback.de

© SZ vom 07.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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