Chinesische Touristen:Süßsaure Ferien

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Chinesen sind noch völlig unerfahren was Auslandsreisen angeht - häufig werden sie ausgetrickst. Auch in Deutschland.

Tim Kanning

Der Bus fährt erst weiter, wenn jeder Reisende 20 Euro bezahlt hat, das Hotel liegt nicht wie versprochen im Stadtzentrum, sondern draußen auf dem platten Land, und der Museumsbesuch für 50 Euro gehört zum Pflichtprogramm. Es sind Reiseerlebnisse der besonderen Art, von denen Wolfgang Arlt berichtet.

Der Tourismusprofessor an der Fachhochschule Stralsund erzählt aber keine Geschichten aus exotischen Regionen, sondern aus dem Reiseland Deutschland.

Arlt leitet das China Outbound Tourism Research Project. 1999 als Forschungsprojekt des Landes Mecklenburg-Vorpommern eingerichtet, liefert es inzwischen Informationen und Analysen über das Auslandsreiseverhalten der Chinesen für Touristiker und Wissenschaftler weltweit.

Bei der Recherche stößt Arlt immer wieder auf skurrile Tricksereien, mit denen Chinesen auf Deutschlandreise übers Ohr gehauen werden. Die Masche mit den überteuerten Zusatzkosten nennt sich "Zero-Dollar-Tours" und funktioniert so: In Deutschland lebende Chinesen bieten Reiseverkäufern in China Rundreisen zum Nulltarif an.

Konkurrenzlos billig

Sie organisieren Bustouren und Hotels zum Beispiel aus dem Hinterzimmer ihres Restaurants oder aus ihrer Studentenbude heraus, in der Regel am deutschen Fiskus vorbei. Was sie dem Kunden anbieten, ist konkurrenzlos billig.

Zumindest so lange, bis die chinesischen Touristen in Deutschland angekommen sind. Dann nämlich regiert der Reiseleiter - und das unbeschränkt. "Die Chinesen sind noch völlig unerfahren bei Auslandsreisen", sagt China-Experte Arlt. Die meisten sprechen weder Deutsch noch Englisch, sind also völlig auf ihren Reiseleiter angewiesen.

"Wenn der sagt, der Busfahrer fahre erst weiter, wenn alle 20 Euro bezahlt hätten, bekommt der Fahrer meist gar nichts von dem Deal mit", beschreibt Arlt eine Methode, die er schon von mehreren Tourführern gehört hat. Das Geld sacke der Reiseleiter ein und finanziere sich so seine Arbeit.

Erst seit wenigen Jahren dürfen die Chinesen als Touristen ins Ausland reisen. Seitdem wachsen ihre Übernachtungszahlen in Deutschland im Durchschnitt um jährlich zehn Prozent. 853.000 waren es im Jahr 2005. Der Tourismus-Markt im Reich der Mitte ist noch im Aufbau begriffen und nur wenige registrierte Agenturen dürfen mit offizieller Erlaubnis Reisen organisieren.

"Aber die arbeiten dann mit Unteragenten und Unterunteragenten zusammen, so genannten Schwarzen Pferden", erklärt Arlt. "Wer letztlich der Veranstalter ihrer Reise ist, wissen die Urlauber oft gar nicht."

Reisebüros wie in Deutschland gebe es erst sehr wenige. "Die Chinesen buchen ihre Reise bei Herrn Li und wenn sie wiederkommen, ist Herr Li gar nicht mehr da." Beschwerden seien unter solchen Bedingungen so gut wie unmöglich.

Horst Lommatzsch sorgt sich vor allem um den Imageschaden, den solche Verkaufstricks mit sich bringen. Er soll im Auftrag der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) das Reiseland Deutschland in China vermarkten. Zur Werbung eignen sich Heimkehrer, die nur Positives aus dem "Land der Tugend" berichten, natürlich viel besser als Frustrierte, die abgezockt worden sind.

"Wir kritisieren deshalb, wo es nur geht, dass Veranstalter ihren Gästen etwa Frankfurt versprechen und sie dann in einem billigen Hotel in Mannheim einquartieren", sagt er. Um zu verhindern, dass Deutschland für die Chinesen zu einem Risiko-Reiseland verkommt, organisiert die DZT für die wenigen Reisebüros, die es bislang in China gibt, spezielle Schulungen.

Grundtenor der Veranstaltungen: "Qualität statt Quantität". Nur wer bereit sei, für eine Reise einen realistischen Preis zu zahlen, so Lommatzsch, erlebe später an Ort und Stelle keine unangenehmen Überraschungen.

Allerdings lehnt er es ab, den Reisegruppen, so wie es in Italien oder Österreich gehandhabt wird, einheimische Reiseleiter zu verordnen: "Die Einschränkung des freien Wettbewerbs wäre schlimmer als der Zustand, der jetzt herrscht."

Zumal die deutschen Reiseunternehmen selbst unter den Regulierungen der anderen Länder leiden und dagegen schon bei der EU vorgegangen sind.

Konzept Kaffeefahrt

Um im Kostenclinch nicht unterzugehen, setzen viele Reiseanbieter inzwischen auf das Konzept Kaffeefahrt. So auch der auf chinesische Gäste spezialisierte Hamburger Veranstalter Caissa. "Mit dem Verkauf der Reisen allein können wir kaum mehr Geld verdienen", sagt die PR-Beauftragte Stefanie Lyngbye.

"Das läuft nur noch, indem wir die Gruppen in bestimmte Läden zum Einkaufen schicken und von denen Provision bekommen." Auch die Reiseleiter bekommen ihren Teil. Es gibt mittlerweile Geschäfte, meist ebenfalls von Auslandschinesen betrieben, durch die täglich Dutzende chinesische Reisegruppen geschleust werden.

Nachgefragt werden vor allem Küchenmesser und andere Waren aus Stahl, weil deutscher Stahl in China als besonders gut gilt. Die Messer und Souvenirs, oft von deutschen Firmen in China hergestellt, sind auch nicht gerade billig. Sie werden aber trotzdem gekauft.

Einerseits, weil in der chinesischen Kultur niemand von einer großen Reise zurückkommen darf ohne ein schönes Mitbringsel, andererseits, weil die Chinesen sicher sind, in Deutschland keine Fälschungen angedreht zu bekommen.

Dass sich die meisten deutschen Reiseveranstalter aus dem anfangs lukrativ erscheinenden Chinageschäft inzwischen zurückgezogen haben, ist angesichts der Probleme kein Wunder: zu unüberschaubar der Markt, zu scharf der Wettbewerb. TUI hat seine Tochterfirma TUI China Incoming Europe unauffällig wieder dicht gemacht. Sie war 2003 gegründet worden, um die Besucherströme aus dem Reich der Mitte nach Europa zu holen.

Und auch bei Dertour ist man ernüchtert. "Das ist für uns im Moment kein Thema", sagt Unternehmenssprecherin Anke Probst. "Da herrscht ein so ruinöser Preiskampf, dass es sich für uns nicht lohnt."

© SZ vom 3.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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