Branche im Wandel:Begegnungen statt Belehrungen

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Tempel? Nicht nur, aber auch. Doch dazu kommen die Teezeremonie oder auch die Radtour. Die klassische Studienreise verändert sich, weil die Kunden es so wollen und die geopolitische Lage es erfordert.

Von Ingrid Brunner

Angebot und Nachfrage im Bereich Studienreisen verändern sich, und das nicht erst seit dem Krisenjahr 2016. Die weit gereiste Klientel verlangt neue Destinationen in einer weitgehend vermessenen Welt. Nicht immer ist das veränderte Buchungsverhalten in diesem Reisesegment indes logisch stringent. Thomas Bohlander, Geschäftsführer des Studienreiseveranstalters Gebeco, stellt fest, dass zwar viele Menschen nun die Türkei meiden, der Iran jedoch von der Zielgruppe der Studienreisenden unvermindert stark nachgefragt wird. "Die Kunden sagen, sie haben keine Lust, mit ihrem Geld Erdoğans Politik zu unterstützen." Doch das mache aus dem Iran nicht automatisch ein demokratisches Land, in dem Meinungsfreiheit und Bürgerrechte geachtet würden. Neben harten Fakten gibt es eben auch gefühlte Wahrheiten und Ängste, die sich nicht immer mit den Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes in Deckung bringen lassen. Klassische Ziele der Studienreisenden, etwa Griechenland, Ägypten, Syrien, Tunesien, jetzt auch Teile von Jordanien trifft es hart. Bei aller Verschiedenheit der Ursachen und der Probleme: Eine Spontanbesserung ist in keinem dieser Länder zu erwarten. "Die Türkei haben wir noch im Angebot, aber so gut wie keine Buchungen", sagt Eva Machill-Linnenberg vom Wanderreise-Spezialisten Wikinger. Die Nachfrage nach der Türkei sei komplett zusammengebrochen, bestätigt auch Frano Ilic vom Marktführer Studiosus.

Ilic verzeichnet für Studiosus etliche Wanderbewegungen im Buchungsverhalten, die sich auf die gesamte Branche übertragen lassen. "Im Großen und Ganzen weichen die Kunden nach Westen und Norden aus", sagt Ilic und meint damit das westliche Mittelmeer, allen voran Spanien, die Kanaren, Balearen und Portugal, aber auch Großbritannien, Irland und Skandinavien. Der Renner sei bereits seit einigen Jahren Island, bekräftigt auch Machill-Linnenberg von Wikinger. Der Schwerpunkt bei Wikinger liegt auf Aktivreisen - zu Fuß oder mit dem Rad. "Nicht alle Studienreisenden sind Bewegungsablehner", sagt sie. Die Zielgruppe, also die Generation der ab Fünfzigjährigen, sei fit und neugierig. Dabei gehe es längst nicht mehr darum, sich am Baedeker abzuarbeiten. Vielmehr stehe das besondere Erlebnis im Vordergrund. Dem kommt Studiosus zum Beispiel mit seinem Angebot Smart & Small nach: Man setze dabei auf kleinere Gruppen und ein entspanntes Programm mit weniger Besichtigungen. Zum Beispiel auf einem romantischen Landschlösschen im südfranzösischen Quercy, mit guter Küche und idyllischem Park. Oder man lässt auf der peruanischen Isla Suasi im Titicacasee die Seele in der Hängematte baumeln. "Hat es früher vielleicht gereicht, an einem Tag zwei Kirchen, einen Tempel und ein Museum zu besuchen, sind die Möglichkeiten, die wir heute unseren Gästen bieten, deutlich vielfältiger", erklärt Felix Willeke vom Zugreisespezialisten Lernidee. Stattdessen besichtige man heute eher nur eine Kirche - dann aber die spektakulärste -, und kehre im Anschluss etwa bei einem lokalen Handwerker ein, um beim Tee mehr über sein Schaffen erfahren; oder nehme zur Krönung des Tages eine zünftige Wodka-Probe in der Datscha einer russischen Familie.

Außerhalb von Europa ist das Südliche Afrika ein Gewinner der weltpolitischen Verwerfungen. Diese Länder stehen für das Mantra vieler Studienreisender: "Sicher, sauber, beherrschbare gesundheitliche Risiken, dabei sozial und ökologisch nachhaltig". Wenn dann noch unzerstörte Natur, eine faszinierende Tierwelt, Landschaften oder Kulturstätten locken, kommt die Destination in die engere Wahl.

Lernidee stellt nach Jahren der Zurückhaltung eine wiedererstarkte Nachfrage für Russland fest. Neu im Programm seien etwa die Flussreise auf dem Amur, dem Grenzfluss zu China, eine Schifffahrt auf der Lena bis zum Polarmeer oder eine Kreuzfahrt im Ochotskischen Meer. Gebeco-Chef Bohlander bietet zusammen mit dem Trekking-Spezialisten Hauser Reisen in die Turkstaaten oder auch eine Wanderreise in Myanmar an. War da was mit Demokratie und Menschenrechten? Nun, offenbar straft man Länder eine Zeit lang ab, dann überwiegt die Neugierde - Autokraten hin oder her.

Wer fremde Länder aktuell lieber meidet, kann auch in Deutschland spannende Dinge erleben - und liegt damit klar im Trend: Schleswig-Holstein etwa freut sich über ein Wachstum von 15 Prozent. Der sichere Norden Europas beginnt wohl bereits in Norddeutschland.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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