Bier brauen:Über Bock und Stein

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Das Mühlviertel ist ein Ziel für Biergenießer. Kreative Brauer brauen dort Bier wie in der Steinzeit - aber auch im modernen Klosterlabor. Das Ergebnis braucht den Vergleich mit dem Wein nicht zu scheuen.

Von Christian Döbber

Tief unten im uralten Gewölbe des Landbrauhauses Hofstetten hat Peter Krammer alles vorbereitet für den Schöpfungsakt. Im Steintrog vor ihm schwimmt schon die hellbraune Maische. Daneben liegt ein Stoß Pflastersteine parat. Krammer hat sie über offenem Feuer auf mehr als 800 Grad Celsius erhitzt. Dann schreitet der Braumeister mit weißer Schürze zur Tat: Vorsichtig taucht er die glühenden Granitblöcke mit einer Schmiedezange in das zähflüssige Gemisch. Es zischt und blubbert und dampft wie in der Küche eines Druiden. Und wenn sich dann der feuchte Moder des jahrhundertealten Bierkellers mit der Süße von frischem Karamell mischt, weiß Peter Krammer: "Dieses Bier lebt."

So viel Pathos schickt sich eigentlich nicht im Mühlviertel. Das dünn besiedelte Gebiet zwischen Passau und Linz, Böhmerwald und Donau war bis zum Fall des Eisernen Vorhangs das Ende der freien Welt - und ist noch immer ein stiller Landstrich. Die Böden sind karg, die Winter bitterkalt, die Menschen geerdet. Dem Mühlviertler genügt sein Mühlviertel, da ist er zufrieden, frotzeln die Linzer gerne etwas despektierlich. Doch wenn es ums Bier geht, duldet man hier keine halben Sachen.

Miteinander statt Konkurrenz: Die Brauer kreierten eine Cuvée aus vier regionalen Bieren

"Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme", heißt der Leitspruch von Peter Krammer. Seine kleine Privatbrauerei in St. Martin im Mühlkreis ist die älteste Österreichs. Seit 1229 wird hier Bier gebraut, 165 Jahre davon mit den Krammers als Braumeisterfamilie. Und "die Flamme" wurde stets weitergegeben. Die Hofstettener Brauerei war eine der ersten in Europa, die vor knapp zehn Jahren das Handwerk des Steinbrauens wieder zum Leben erweckt hat. "Wir wollten ein echtes, unverfälschtes Bier machen, so wie man es heute gar nicht mehr kennt", sagt der Braumeister. Schon in der Steinzeit wurde mit glühenden Felsbrocken gebraut. Bevor es feste Metallgefäße und Sudpfannen gab, waren Steintröge und -brocken die einzige Möglichkeit, größere Flüssigkeitsmengen zu erhitzen.

Das Geheimnis des Granitbocks von Peter Krammer ist schnell gelöst: Ein Teil des in der Würze gelösten Malzzuckers karamellisiert an der porösen Oberfläche der heißen Steine. Wenn das Bier nach ein paar Monaten Lagerzeit in die Flasche kommt, schimmert es bernsteinfarben und hat im Antrunk eine leicht süßliche Note. Für den Braumeister versteht es sich von selbst, dass sein wertvolles Gebräu weder pasteurisiert noch filtriert wird. "Ich will mein Bier doch nicht töten", sagt der Mühlviertler. So bleiben Reste von Hefe und Malz erhalten. Sie machen das Bier zwar trüb, was von den Kunden lange Zeit als Makel angesehen wurde. "Dafür kann es weiter reifen und sich im Geschmack entwickeln ähnlich wie Wein."

Dass das Steinbrauen gerade im Mühlviertel wiederentdeckt wurde, ist kein Zufall. Die Region hat die höchste Brauereidichte Österreichs. Nirgendwo in der Alpenrepublik wächst außerdem mehr Hopfen. Der bleibt zu einem großen Teil in der Region. Zwar sind die meisten Betriebe Klein- oder Kleinstbrauereien, die oft nur wenige Hundert Hektoliter jährlich produzieren. Ihre Braumeister sind dafür umso umtriebiger. Die klassische Rivalität zwischen Brauereien kennt man im Mühlviertel nicht. Stattdessen haben sich einige von ihnen im Verein "Bierviertel" zusammengeschlossen. Die Brauer arbeiten zusammen, tauschen Rezepturen aus und haben Anfang des Jahres sogar eine weltweit einzigartige Bier-Cuvée aus vier regionalen Bieren kreiert. Verfechter des Reinheitsgebots rümpfen da gerne die Nase. Peter Krammer, der auch Obmann des hiesigen Brauervereins ist, hat dafür kein Verständnis. "Jede Kultur entwickelt sich weiter. Warum sollte die Bierkultur auf dem Stand von vor 500 Jahren stehen bleiben?"

Die Beer Buddies sind Biologen. In Trautwein fanden sie das beste Quellwasser fürs Bier

Besonders experimentierfreudig mit dem Gerstensaft sind kleine Craft-Beer-Brauereien. Eine der jüngsten im Mühlviertel steht in Tragwein. In der alten Schmiede aus dem 16. Jahrhundert zischt und ploppt es ohne Unterlass seit dem frühen Morgen. Es ist Abfülltag bei den Beer Buddies - und das bedeutet echte Handarbeit. Eine automatische Abfüllanlage sucht man in der kleinen Brauerei von Andreas Weilhartner und Christian Semper vergebens. "Viel zu teuer, wenn man neu im Geschäft ist", sagt Weilhartner und macht das nächste "Sechser-Tragerl" Urgestein voll. Die Schwielen an den Händen lohnen sich, findet sein Kollege und Braupartner Christian Semper. Die beiden promovierten Mikrobiologen erinnern sich nur zu gut, wie das Bier der großen Marken zur Studienzeit in Wien geschmeckt hat: "fad, Industrieware, einfach schiach". Ihr Versuch, mit einem Heimbrau-Set ein besseres Feierabendbier für sich und die Kommilitonen herzustellen, klappte auf Anhieb; und zwar so gut, dass sich die beiden Freunde nach der Promotion selbständig machten.

Ins Mühlviertel sind die Beer Buddies des Wassers wegen gekommen. Überall im Land haben sie auf der Suche nach dem besten Quellwasser Proben genommen. Salzburg, Steiermark, Wien: "Viel zu hart. Damit bekommt man kein gutes Bier hin", sagt Weilhartner. Anders im Mühlviertel. Die beiden Biologen kamen ins Frohlocken, als sie die Wasserproben aus Tragwein auswerteten. Kristallklar, Kalzium-arm und besonders weich sprudelt es aus dem hofeigenen Tiefbrunnen der Beer Buddies. Der Gerstensaft werde dadurch bekömmlicher, sagen die beiden Brauer. Ihre Kundschaft formuliert es so: "Uns brummt der Schädel nicht mehr."

Wer als Bierliebhaber ins Mühlviertel kommt, dem geht es freilich mehr um Genuss als um einen kapitalen Rausch. In den vielen Wirtschaften, Biergärten und Verkostungsräumen der Brauereien wird weder gesoffen noch geschunkelt. Eine Mass bestellen? Das geht natürlich - zieht aber mit ziemlicher Sicherheit ein freundlich-irritiertes Nachfragen der Bedienung nach sich: "Eine ganze Mass, sind Sie sicher?" Dass es trotz der Omnipräsenz von Märzen, Bock und Doppelbock im Mühlviertel so gesittet zugeht, könnte an den Chorherren von Aigen-Schlägl liegen.

Das Prämonstratenser-Chorherrenstift Schlägl gilt als geistiges und kulturelles Zentrum des oberen Mühlviertels. Seit knapp 500 Jahren wird dort nicht nur gebetet, sondern auch Bier gebraut. Zwar legen die Geistlichen nicht mehr selbst Hand an den Braukessel. Doch Reinhard Bayer hat genaue Vorgaben, wie das Stiftsbier "im Einklang mit der christlichen Ethik" herzustellen ist. Der Braumeister von Österreichs einziger Stiftsbrauerei darf zum Beispiel ausschließlich Hopfen aus dem Mühlviertel verwenden - auch wenn er ihn aus der Hallertau oder der Ukraine manchmal billiger bekommen könnte. "Nachhaltigkeit geht in einer Stiftsbrauerei immer vor Profit." Dass er im Sudhaus nicht wie andernorts schon lange üblich bequem am Computer sitzt, sondern noch alle Schalter und Ventile per Hand bedienen muss, stört den Braumeister nicht. "Bierbrauen ist halt kein Schreibtischjob", sagt Bayer.

Dass in Aigen-Schlägl quasi mit göttlichem Segen gebraut wird, schmeckt man auch. Die Chorherren sind offen für Neues - und lassen Reinhard Bayer in einer eigenen kleinen Kreativbrauerei experimentieren. Der Braumeister nennt den Raum, der mit seinen Reagenzgläsern und Miniaturkesseln mehr an ein Labor als an ein Sudhaus erinnert, seine "Spielwiese". Hier entstehen in kleinsten Mengen außergewöhnliche Biersorten, die mit dem klassischen Feierabendbier so viel zu tun haben wie die Schlägler Chorherren mit den Münchner Wiesn-Besuchern. Ein cremig-pfeffriges Dunkelbier mit Galgantwurzel zum Beispiel. Wer es bei einer Brauereiführung im Stiftskeller kostet, wird rasch feststellen, warum es den Namen "der Starke" trägt.

Mehr Erläuterung bedarf hingegen, was Karl Schiffner in seinem Gasthaus in Aigen, nur ein paar Hundert Meter oberhalb der Stiftsbrauerei, kredenzt. Zur cremigen Bärlauchsuppe serviert der Wirt nicht etwa ein schönes Glas Sauvignon Blanc. Auf den Tisch kommt ein holzfassgereiftes Champion Bitter aus der befreundeten Brauerei Hofstetten; und zwar in einem ungewöhnlich kleinen, tulpenförmigen Kelch. Schiffner hat ihn mit Bedacht gewählt. "Durch die Verjüngung des Glases steigen die Düfte und Aromen nach oben und kommen besonders gut zur Geltung." Der Mühlviertler weiß, wovon er spricht. Er zählt zu den besten Biersommeliers weltweit und hat das Verkostungsglas selbst entwickelt.

In seinem Biergasthaus will Schiffner den Geschmack des Bieres zum Optimum treiben. Besucher können unter 150 Biersorten und fast ebenso vielen korrespondierenden Gläsern wählen - oder ein Fünfgängemenü mit Bierbegleitung bestellen. Schiffner serviert etwa Lachsforelle mit Honigbier, Ziegenkäsesalat mit Aper Ale oder gefüllte Maishähnchenbrust mit einem reifen Abteibier. "Oft ist Bier sogar der bessere Begleiter", findet der Wirt, der zudem Weinsommelier ist. Darüber lässt sich freilich genüsslich streiten. Doch spätestens wenn Schiffner sein "Bieramisu" serviert, bei dem der Löffelbiskuit statt in Kaffee und Likör in Fruchtbier eingetaucht wird, wird selbst der strengste Connaisseur sein Gläschen Marsala kaum vermissen.

Informationen: Landbrauhaus Hofstetten: Brauereiführungen gibt es wegen Baumaßnahmen voraussichtlich erst wieder ab 2018 (www.hofstetten.at).

Beer Buddies: Ausschank und Ab-Hof-Verkauf an Samstagen (www.thebeerbuddies.at).

Stiftsbrauerei Schlägl: Wöchentliche Brauereiführung mit Verkostung im Stiftskeller mittwochs (April bis Oktober), bei Voranmeldung auch an anderen Tagen möglich (www.stiftsbrauerei-schlaegl.at).

Biergasthaus Schiffner: Biermenü mit Karl Schiffner inkl. Bierdiplom für zwei bis 100 Personen reservierbar unter www.biergasthaus.at Weitere Informationen zu Angeboten rund ums Bier im Mühlviertel unter www.mühlviertel.at/bierweltregion oder über die Smartphone-App der Mühlviertler Wirtshauskultur (www.muehlviertel.at/detail/article/smartphone-app)

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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