Bahn fahren:Der Zwei(t)klassenausstieg

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Premiumkunden wollen mehr Ruhe im Zug und fühlen sich durch weniger zahlungskräftige Fahrgäste gestört. Nun reagiert die Bahn.

Warum man bei der Deutschen Bahn ein Ticket erster Klasse kaufen und dafür den happigen Zuschlag von 60 Prozent zahlen soll, erschließt sich nicht sofort. Sicher, man wird kostenlos mit Zeitungen versorgt. Speisen und Getränke werden am Platz serviert, man hat mehr Beinfreiheit, und der Sitznachbar hockt einem nicht so dicht auf der Pelle.

Nicht zu vergessen die edlen Bahn-Lounges, die man als Premiumkunde nutzen darf - ein Angebot, das man gewöhnlich jedoch mangels Zeit ungenutzt lassen muss. Aber rechtfertigen diese, zweifelsohne netten, Zusatzleistungen wirklich den saftigen Aufpreis?

Das hat man sich bei der Bahn wohl auch gefragt. Schließlich liegt die Auslastung der Erste-Klasse-Wagen nur bei mageren 30 Prozent. Angesichts der Börsenpläne von Chefbahner Hartmut Mehdorn soll dieser Anteil schleunigst steigen - um mindestens zehn Prozent in den nächsten zwölf Monaten. Deshalb hat die Bahn ihre Kunden gefragt, was die erste Klasse attraktiver machen könnte. Das Ergebnis: Ruhe.

Denn Reisen erster Klasse könnte so schön sein, wären da nicht die weniger zahlungskräftigen Kunden: Familien, Studenten, Rucksacktouristen. Diese Klientel hat sich immer häufiger angewöhnt, zwar zweiter Klasse zu fahren, aber erster Klasse auszusteigen.

Der Grund: Vor allem in den Kopfbahnhöfen fahren die Wägen erster Klasse meist auch zuerst in den Bahnhof ein - wer dort aussteigt, kann schneller den Bahnsteig verlassen.

Daher sind die Gänge der ersten Klasse kurz vor der Ankunft regelmäßig voll mit Menschen, die dort laut Ticket nicht hingehören. Und das nur, weil manche Leute eine Minute sparen wollen, sagt ein Bahnsprecher.

Das schmeckt den Premiumkunden gar nicht. Schließlich befinden sich nach Angaben der Bahn unter ihnen viele Geschäftsleute, die während ihrer Bahnfahrt arbeiten wollen und sich von drängelnden, wartenden oder einfach nur anwesenden Zweite-Klasse-Kunden schlicht gestört fühlen.

Daher sorgt die Bahn nun für Ruhe. Per Durchsage werden die Kunden in der zweiten Klasse gebeten, doch bitte dort auszusteigen, wo ihr Sitzplatz ist. Genügt das nicht, machen Zugbegleiter die Pilger auf ihr Vergehen aufmerksam - "natürlich mit dem nötigen Fingerspitzengefühl", betont der Bahnsprecher. Und, mal ehrlich: Welcher Economy-Class-Kunde würde es im Flugzeug wagen, einfach die Gänge der Business-Class zu belegen?

Für den pilgernden Zweite-Klasse-Kunden sieht es schlecht aus. Hilfe bekommt er nicht einmal von den Fahrgastverbänden. Ein Sprecher von Pro-Bahn, selbst ein häufiger Nutzer der ersten Klasse, gab zu Protokoll, er könne die Reaktion der Bahn gut verstehen. Häufig sei der Rückstau in den Gängen so groß, dass er selbst "nicht einmal seine Sachen zusammensammeln" könne.

Pech haben Premiumkunden, wenn sie von München nach Stuttgart fahren. Da es in beiden Städten Kopfbahnhöfe gibt, ist zwar der Weg zum Einstieg kurz - beim Ausstieg jedoch müssen die Mehrzahler bis zu 400 Meter laufen, bevor sie in der Bahnhofshalle stehen. Denn dann kommen die Erste-Klasse-Abteile zuletzt an.

Eigentlich müsste die Bahn-Oberschicht in diesem Fall die Gänge der zweiten Klasse bevölkern. Das, so der Bahnsprecher, sei natürlich erlaubt.

© SZ vom 14.12.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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