Amsterdam:Revolte im Untergrund

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In Amsterdam tobt ein erbitterter Streit über den Bau einer neuen U-Bahn-Strecke: Die Kosten explodieren und alte Häuser drohen einzustürzen.

Siggi Weidemann

Er müsse noch dringend in sein Haus, um seine kranke Katze und seine Schlange, eine südamerikanische Boa, zu retten. Nur widerwillig nimmt der Beamte von der städtischen Baubehörde den Mann, der sich Soma nennt, mit ins einsturzgefährdete Grachtenhaus.

Die Amsterdamer Altstadt ist vom Absinken bedroht. (Foto: Foto: Reuters)

In der Nacht zuvor hatte die Feuerwehr sechs der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude an der Amsterdamer Vijzelgracht für unbewohnbar erklärt - 20 Menschen wurden obdachlos. Nachdem durch ein Leck in den unterirdischen Betonwänden der künftigen U-Bahn-Trasse Wasser gelaufen war, sank der Grundwasserspiegel unter den Häusern, die Sandschicht verlor an Stabilität, Fundamente gaben nach, und die Häuser sackten bis zu 23 Zentimeter weg.

Die Bauarbeiten wurden nun eingestellt - für mindestens einen Monat. Eine ausländische Expertenkommission soll nach Fehlern suchen, denn "unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel", sagt Bürgermeister Job Cohen. "Die Risiken bleiben bestehen."

Vor zehn Wochen hatte es bereits vier andere Gebäude an der Baustelle Vijzelgracht getroffen. Es wurden sieben Familien evakuiert. Henk van Veldhuizen, Direktor des Büros für die Nord-Süd-Metroverbindung, beteuert: "Wir haben alle Maßnahmen ergriffen, um Wiederholungen zu verhindern und jetzt das."

Das ehrgeizige Projekt durch den Schwemmsand von Amsterdam, verborgen in bis zu 30 Meter Tiefe, eine Metroverbindung quer durch das historische Zentrum der niederländischen Hauptstadt anzulegen, entwickelt sich immer mehr zu einem Horrortrip für Stadtpolitiker, Ingenieure und Anwohner.

So war man 2006 im Untergrund der einst vornehmen Einkaufsstraße Rokin auf eine 350 Jahre alte Uferbefestigung von steinharten Eichenpfählen gestoßen, die nur Stamm für Stamm mit einem speziell entwickelten Gerät entfernt werden konnten, sonst wären der Boden und mit ihm die angrenzenden Gebäude weggerutscht.

Keiner will sich die Hände verbrennen

Dass die U-Bahn erst jetzt gebaut wird, hat damit zu tun, dass sich viele Jahre lang kein Politiker die Hände am umstrittenen Metro-Ausbau verbrennen wollte. Der Schock nach den wütenden Bürgerprotesten gegen den Bau der ersten Metrolinie war groß: Als man damit 1975 begann, wurden große Teile der Altstadt einfach abgerissen - und es kam zur offenen Revolte.

2002 hatte der Stadtrat von Amsterdam gegen die Stimmen der Grünen den Bau durchgesetzt und versprochen, diesmal werde kein Haus abgebrochen. Die Grünen hatten gegen den Bau gestimmt, weil sie glaubten, die Kosten würden explodieren. Genau das ist nun eingetreten.

Ursprünglich sollte die insgesamt 9,5 Kilometer lange U- Bahn-Strecke 2012 eröffnet werden; für das gesamte Projekt wurden 1,4 Milliarden Euro veranschlagt und kein Cent mehr. So war es den Amsterdamern, die mehrheitlich gegen den Bau waren, versprochen worden. Inzwischen ist mit der Fertigstellung nicht vor 2015 zu rechnen, die Kosten sind bereits auf über zwei Milliarden Euro gestiegen, während die technischen Voraussetzungen erst noch geschaffen werden müssen.

Das Ausgraben der U-Bahn-Stationen, der Durchbruch unter dem Hauptbahnhof - auf 9000 Pfählen 1889 auf einer künstlichen Insel erbaut - und das Bohren der unterirdischen Trassen unter der Stadt und im Wasser ist für die Planer eine prekäre Aufgabe. Projektleiter Henk van Veldhuizen gibt zu, dass man sowohl das Projekt als auch den Baupreis unterschätzt habe.

Dabei war nichts dem Zufall überlassen worden. So arbeitet das größte computergesteuerte Messsystem der Welt an 1250 Gebäuden, die an der U-Bahn-Baustelle stehen. Das System besteht aus 70 Instrumenten, die Lichtstrahlen aussenden, sowie 5500 Spiegeln, die diese reflektieren sollen.

Aus den zurückgespielten Strahlen errechnen die Computer bis auf einen halben Millimeter, ob sich die Spiegel und damit die Häuser, an denen sie hängen, bewegt haben. Wenn dies der Fall ist, wird eingegriffen. Auch tief im Sumpf befinden sich Computer, die jedes Absinken von Gebäuden registrieren sollen. Pech nur für die High-Tech-Planer: Das hochsensible Alarmsystem hat wieder mal versagt.

© SZ vom 22.09.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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