Amerika, der Länge nach (XXVI):Die Wut des Metzgers

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Den schönsten Blick über die bolivianische Hauptstadt La Paz hat man von der "Ciudad Satellite" aus - einem Slum. Als die Bewohner den naiven Touristen sehen, werden sie böse.

Robert Jacobi

In La Paz fahre ich versehentlich in einen Slum. Neben Schlammpfützen sitzen junge Menschen. Aus Plastiktüten und Blechdosen schnüffeln sie giftigen Lack. Einem fehlt fast das ganze Gebiss. Familien stöbern neben Hunden durch Müllhaufen. Über der Stadt stehen die wundervoll beschneiten Gipfel der Anden.

Die Reise des Robert Jacobi (Foto: Karte: V. Thiessat)

Es handelt sich um den höchsten Regierungssitz der Welt. In einem Tal liegt sie zwischen Gipfeln, die mehr als sechstausend Meter hoch sind. Weil die Menschen im Tiefland immer schon mit den Menschen im Hochland streiten, ist aber nicht La Paz offiziell die Hauptstadt, sondern Sucre. Evo Morales arbeitet trotzdem hier.

Abends habe ich in einem Kino gegenüber des Präsidentenpalasts einen bolivianischen Film angeschaut. Übersetzt bedeutet der Titel "Wer hat das weiße Lama getötet?". Ein skurriles Roadmovie, in dem zwei unprofessionelle Schmuggler sich mit einem Paket Kokain auf den Weg von La Paz nach Brasilien machen.

Vor ihrer Abreise fahren sie noch hoch zum Aussichtspunkt in der "Ciudad Satellite". Von dort ist die ganze Stadt zu sehen. Ich finde es schön. Als ich am nächsten Morgen einen Bus sehe, der dorthin fährt, steige ich ein. Und so lande ich im Slum. Ein Metzger will mich verscheuchen. Alte Frauen starren mich an.

Mal wieder überlege ich, wie ich als Tourist mit der Armut in diesen Ländern umgehen soll. Es bringt nichts, selbst ungepflegt aussehen zu wollen. Das empfinden die Menschen als Beleidigung, denn sie wissen, dass es gespielt ist. Besonders freundlich sein und interessiert nachfragen kommt auch nicht gut an.

Offen bezeugtes Verständnis und Mitleid vergrößert auf eine paradoxe Weise die Kluft zu den Einheimischen. Ich versuche, in solchen Situationen fröhlich zu sein. Manchmal erzähle ich eine lustige Geschichte von meiner Reise. Oder vom Papst, der aus meiner Gegend kommt. Und oft ist ein freundlicher Gruß schon viel wert.

Genauso schlecht kommt es, aus Neugier das Leben der Ärmsten zu besichtigen. Das empfinden sie als respektlos. Deshalb will der Metzger, dass ich verschwinde. Und der Mann vom Kiosk erklärt mich für verrückt, dass ich überhaupt hergekommen bin. Mir wird es unheimlich. Taxis gibt es nicht. Ich steige in einen Kleinbus.

Am Ufer des Titikakasees bin ich von Peru nach Bolivien eingereist. Ein letztes Mal beschäftigte sich dort die Nationalpolizei mit mir. Drei Beamte durchsuchten mein komplettes Gepäck und zählten mehrfach mein Bargeld. Ich hatte es schon drangegeben und bin überrascht, als die Beamten mir alles Geld zurückgeben.

Zuvor hatte ich in Peru noch das unvermeidbare touristische Programm absolviert. In Nasca überflog ich in einer kleinen Maschine die kilometerlangen Linien, die ein verschwundenes Volk in die Wüste gegraben hat. Im Ort steht ein Denkmal der Deutschen Maria Reiche. Jahrzehntelang hat sie die Linien erforscht.

(Foto: N/A)

Irgendwie habe ich Mitleid mit Maria Reiche. Forscher haben erwiesen, dass ihre Theorie über die Linien definitiv falsch ist. Es handelt sich nicht um riesige astronomische Uhren, die Bewegungen der Himmelskörper nachziehen. Worum es sich wirklich handelt, weiss auch niemand. Mir gefallen die Muster auf dem Boden.

Mit dem Mountainbike ins Heilige Tal

In Machu Picchu mache ich ein Foto von jener Stelle, von der schon hunderttausende Fotografen vor mir ein Foto gemacht haben. Leider kann ich mit den besten Werken nicht mithalten, weil Nebel hängt und das Licht sich trübt. Ganz egal. Es ist einer dieser Orte, die kein Foto auch nur annähernd erfassen kann.

Die erste Strecke von Cuzco ins Heilige Tal der Inkas habe ich mit zwei Schweizerinnen, einem Kanadier und einem peruanischen Führer auf dem Mountainbike zurück gelegt. Die nächste Etappe dann im Zug. Dabei lerne ich eine Gruppe von Fotografen und Models kennen, die hier eine Serie produzieren.

Chefin ist die Dänin Lärke Skyrum. Vor vier Jahren ist sie als Touristin nach Peru gekommen, hat am Strand einen Peruaner kennen gelernt und ist geblieben. Erst unterrichtete sie in Aguas Calientes, dem kleinen Ort unterhalb von Machu Picchu. Ihr Freund führt dort ein Hotel Dann gründete sie dort eine Schule.

Nach einem Jahr ging sie nach Lima und gründete eine Modefirma. Heute arbeitet sie als Model und Designerin. Ihre Kleider sind nur aus natürlichen Materialen wie Alpacawolle gefertigt. Ihren Arbeitern zahlt sie doppelt soviel wie die Konzerne. Und die Ware verkauft sich bestens in London, Kopenhagen und Berlin.

Als wir später gemeinsam durch Cuzco gehen, bitten uns Jugendliche um Autogramme. Laerke ist aus Talkshows bekannt, an mich erinnern sich die Menschen noch immer wegen des Zwischenfalls in Lima. Wir fahren gemeinsam zum Titikakasee. Auf einer der Inseln hat Laerke eine kleine Manufaktur.

Bittere Armut - reicher Tourismus

Die Insel liegt noch in Peru. Ich komme nicht mit, weil ich dieses Land doch endlich verlassen will. Ein verrücktes Land, wunderschön fast überall, aber der Zusammenprall von bitterer Armut und reichem Tourismus hat hier schlimmere Folgen als in allen anderen Ländern, durch die ich bisher gereist bin.

In Bolivien atme ich auf. Auch wenn die erste Stadt dort Copacabana heißt, ist der See zu kalt, um zu baden. Ich schlafe erst aus, dann wandere ich am Ufer entlang. Ein Dorfbewohner und sein kleiner Bruder bringen mich in einem Ruderboot auf die Sonneninsel. Von dort, berichtet die Sage, kommt das Inkageschlecht.

Auf einer Anhöhe stelle ich mein Zelt auf und schaue hinüber zu den Bergen am Ufer. Nachts wache ich gerade noch auf, bevor ein heftiger Windstoß das Zelt einkrachen lässt. Morgens treffe ich mehr als hundert Indios, Frauen und Männer, die mit blutigen Händen in greller Sonne den Weg befestigen. Für die Touristen.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig. Durch seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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