Amerika, der Länge nach (XXII):"Du bist tot!"

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Rucksackreisende helfen sich gegenseitig in der Fremde, versorgen sich mit Tipps und Informationen. Meistens. In einem Hotel in Panama City kommt es ganz anders.

Robert Jacobi

In Panama will mich ein Masseur am Strand davon überzeugen, dass ich Vegetarier werden soll. Rindfleisch ist verseucht. Huhn besteht nur aus Hormonen. Fische ernähren sich von toten Fischen.

(Foto: Grafik: Thiessat)

Mein Rücken ist verspannt. Ich muss schlecht geschlafen haben, sagt der Masseur. Schuld daran sei das Fleisch in meinem Magen.

Ich gehe schnorcheln. Ein Stachelrochen schwimmt an mir vorbei.

An einem toten Korallenriff schlage ich mir den rechten Fuß auf. Ich entscheide daraufhin, die Warnschilder zu befolgen und das Wasser zu verlassen. Viele Haie leben in der Gegend. Blut werten sie als Hinweis auf billige Beute.

Im Restaurant bestelle ich Salat. Der Masseur hat mir eine Broschüre für Veganer geschenkt. Ich drehe mich um. Der Masseur isst einen Teller Pommes mit Mayonnaise.

Eine Woche lang lebe ich auf der Isla de Bastimentos in der Karibik. Vor dem Balkon meines Hostels stehen ein Mangobaum, ein Mandelbaum und ein Avocadobaum. Dann kommt das Meer.

Die Nahrungsauswahl ist begrenzt. Auf der Insel leben viele rote Frösche, aber die sind giftig. Das Archipel nennt sich Bocas del Toro. Michael Jordan hat hier ein Haus. Ansonsten kommen vor allem Backpacker.

Dazu Rentner aus Amerika, denen Florida zu teuer ist. Auch die Freunde der Rentner wollen kommen. Längst kämpfen einige Menschen dagegen, dass auch der Strand der roten Froesche zugebaut wird. Die Bagger kommen, der Kampf scheint verloren.

Im Urwald auf den Inseln versteckt sich eine andere Welt. Dort leben Indios in Hütten ohne Strom und Wasser. Ein ganzes Dorf auf der Fläche eines Luxuscondos.

In meinem Dorf auf Bastimentos leben fast nur Schwarze. Sie sind Nachfahren von Sklaven, die auf Bananenplantagen gearbeitet haben. Auf dem Festland wachsen überall Bananen. An der Grenze von Costa Rica nach Panama warten Laster von Chiquita. Die Häfen in Costa Rica sind nicht tief genug für die Bananendampfer.

Der Grenzbeamte macht Mittagspause. Ich setze mich auf eine Bank unter Palmen.

Bildstrecke
:Im Land des Kanals: Panama

Am schmalsten Teil der zentralamerikanischen Landbrücke trennt der Kanal Panama zwei Hälften.

Die Menschen auf Bastimentos feiern gerne. Zwei Polizisten sind im Ort stationiert. Marihuana und Kokain werden freizügig konsumiert. Nach einigen Drinks gebe ich vor, Salsa tanzen zu können. Im Meer schwimmen grün leuchtende Fische. Ich halte das für eine Halluzination. Marlen beruhigt mich. Die Fische sind echt. Marlen ist die Neffin des Bürgermeisters und amtierende Faschingsprinzessin.

(Foto: N/A)

Danach wird es auf den Inseln langweilig. Panama stimmt darüber ab, ob der Panamakanal erweitert werden soll. Drei Tage lang gilt das "Ley Seca". Panama muss trocken bleiben. Der sichtbare Konsum von Alkohol ist verboten. Die Menschen sollen nüchtern ankreuzen.

Ich nehme ein Boot zum Festland und den Bus nach Panama City. Als wir den Panamakanal überqueren, ist es schon dunkel.

Ich schlafe im Dormitorio eines Hostel im neunten Stockwerk eines Bürogebäudes. Es ist drei Uhr morgens. Stimmen rufen durcheinander. Schimpfworte dringen vom Balkon ins Zimmer. Ich stehe auf.

Im Gang sehe ich, wie ein kräftiger junger Mann eine schmächtige Touristin würgt. Zwei andere beschimpfen sie als Hure. Ich mische mich ein. Das Mädchen zittert. Wir nehmen den Aufzug nach unten zur Rezeption.

Das Mädchen stammelt. Die Jungs hätten gedroht, sie vom Balkon zu werfen. Wir rufen die Polizei. Wenig später bewegen sich fünf Beamte durchs Hostel.

Die Schläger bedrohen mich. Zwei kommen aus Israel, der dritte ist aus Panama. Er ist der Nachtwächter im Hostel. Einer der Israelis beschimpft mich als Nazi. Dann fragt er mich, was mein Großvater im Krieg gemacht hat.

"Du bist tot", sagt der andere.

Die Sonne geht auf, als ich mit meinem Rucksack die Polizeistation verlasse. Ich entscheide, Panama City zu verlassen. Ein Taxi bringt mich zum Busterminal.

Ich suche einen Bus Richtung San Blas. Das ist eine andere Inselwelt in der Karibik, östlich der Hauptstadt. Dort liegen Segelboote. Die Eigentümer verdienen Geld damit, dass sie Backpacker für zweihundert Dollar nach Kolumbien bringen.

Die Panamericana endet in Panama. Erst in Kolumbien fängt die Strasse wieder an. Dazwischen liegt Dschungel. Dort leben Guerillas, Giftschlangen und Drogenschmuggler.

Da ist mir das Meer lieber. Am Busterminal in Panama City komme ich an einem Zeitungsstand vorbei. Auf den Titelseiten ist ein Foto mit Leichen gedruckt. Am Abend zuvor sind mitten in der Stadt achtzehn Menschen in einem Bus verbrannt.

Mein Bus ist leer. Ein Fahrkartenverkäufer hat mir aufgeschrieben, wie ich nach San Blas komme. Dabei kam es zu einem Missverständnis. Drei Stunden später stehe ich mitten im Dschungel.

Zwei Frauen warten auf ein Holzkanu und betrachten mich. Sie unterrichten in einem Indiodorf und schlagen mir vor, mitzukommen. Eine halbe Stunde später stelle ich mich halbnackten Menschen mit buntem Lendenschurz vor.

Die Indios gehören zum Stamm der Embera. Ihre Grosseltern sind aus dem Darien Gap geflüchtet. Das ist der gefährliche Dschungel auf dem Weg nach Kolumbien. Am neuen Ort lebten die Embera friedlich. Sie bauten Reis an, jagten Affen und manchmal einen Tiger.

Dann erklärte die Regierung das Gebiet zum Nationalpark. Jagen verboten. Landwirtschaft auch. Dafür hilft die Regierung, Touristen zu locken.

Manchmal kommen viele, manchmal wenige. Oft reicht das Geld nicht für Fleisch aus der Stadt. Dann leben die Indios als Vegetarier.

Ich spiele Fußball mit den Jungs und helfe den Mädchen bei den Hausaufgaben. Dann nehme ich wieder das Holzkanu. Der einzige Bus fährt zurück nach Panama City.

Als ich durch die Hintertür aussteige, verbrenne ich mir den Unterarm am senkrecht aufsteigenden Auspuff. Ich bin müde.

Im Indiodorf habe ich ein junges spanisches Paar kennen gelernt. Wir essen und trinken gemeinsam in der Stadt. Das lindert den Schmerz an meinem Arm.

In einer Bar gehe ich auf die Toilette. Vor dem Spiegel steht einer der Israelis aus der Nacht zuvor. Wir wechseln drohende Blicke. Die Frauen sind alle sehr aufgeschlossen. Nach einer Weile merke ich, dass es sich um junge Prostituierte aus Kolumbien handelt.

Am nächsten Tag ist das Transportsystem in Panama zusammengebrochen. Die Regierung hat entschieden, jeden einzelnen Bus auf seine Sicherheit hin zu überprüfen. Ich will weg.

Auf das Segelboot verzichte ich und buche einen Flug nach Medellin. Vorher lasse ich mich noch mit dem Taxi zum Panamakanal fahren. Ich finde, dass der Kanal schon ziemlich breit ist. Bald wird er noch breiter sein.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig. Für seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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