Amerika, der Länge nach (XV):Auf der Schwelle zwischen zwei Welten

Lesezeit: 4 min

Dem Tornado entgangen, doch gefangen im Schlammloch: Sogar der Regen fließt in Mexiko langsamer ab.

Robert Jacobi

Ich fahre über den Rio Grande und bin in Mexiko. Kein Grenzbeamter hält mich an. Ciudad Juarez liegt in einer zollfreien Zone. Jeder Ausländer darf ohne Ausweis einreisen, um Geld auszugeben.

(Foto: Grafik: Dreyssig)

Die Brücke bringt mich von einem reichen in ein immer noch armes Land. Ein alter Mann schiebt einen Karren über den Fluss. Nach zehn Minuten bleibt mein Auto in einem Schlammloch stecken.

Die Nacht über hat es auf beiden Seiten des Rio Grande stark geregnet. Der Parkplatz in meinem Billigmotel in El Paso war überschwemmt. Nachmittags stand auf der Autobahn eine schwarze Wolkenwand vor mir.

Nur über einer Tankstelle hatte sich die Sonne ein Loch erkämpft. Kaum habe ich das Schild erkannt, auf dem Texas seine Besucher begrüßt und sich als stolze Heimat des Präsidenten ausweist.

Texas ist nach Alaska, Washington, Oregon, Kalifornien, Nevada, Utah, Arizona und New Mexiko der neunte und letzte Bundesstaat auf meiner Reise. Genau genommen der zehnte.

Ein paar Minuten lang war ich in Colorado. Dazu kam es am "Four Corners National Monument" auf dem Reservat der Navajos. Das ist der einzige Ort im Land, an dem die Grenzen von vier Bundesstaaten aufeinander treffen.

Wer möchte, kann dort auf einem steinernen Kompass einen Spagat mit Armen und Beinen machen. Ein Mensch ist dann auf vier Staaten und drei Zeitzonen verteilt.

Ich habe mich schon in Arizona von der Zeit verabschiedet. Zu oft musste ich meine Armbanduhr eine Stunde vor- und dann wieder zurückstellen. Die Digitalanzeige in meinem Ford Thunderbird ist schon in Oregon ausgefallen.

Das Reservat ist riesig.

Ich wache früh im Auto auf. Noch am Morgen erreiche ich das Monument Valley. Den Navajos ist das Gebiet heilig. Andere Menschen kennen das Tal mit den Tafelbergen als Filmkulisse.

Ich entscheide mich gegen eine Tour in einer Art Papamobil ohne Fensterscheiben. Stattdessen zwinge ich mein Auto über Schotterstraßen, die nicht viel von den fünf Dollar Eintrittsgeld abbekommen.

Vor "John Fords Point" verneige ich mich.

Mit meinem Schulfreund Florian habe ich mal in dessen Schwabinger Wohnung den Western "The Searchers" angeschaut. Mit John Wayne und von John Ford. Der Film gefiel mir.

(Foto: N/A)

Normalerweise mag ich keine Western. Florian ist Kontrabassist und wohnt jetzt in Düsseldorf. Er hat einen Sohn und seine Frau ist wieder schwanger. Ich reise und frage mich, was das bedeutet.

Im Monument Valley spielt scheinbar auch einer der skurrilsten Momente des neueren Films. Darin sperren Thelma und Louise einen Polizisten in den Kofferraum seines Streifenwagens.

Ein schwarzer Radfahrer in neongelbem Anzug hält an. Der Polizist klopft heftig. Das hilft ihm nicht.

Später fahren Thelma und Louise über den Rand des Canyons. Der Abspann beginnt, bevor das Auto aufprallt.

Eine Frau machte das vor ein paar Jahren nach. Ihr Auto setzte auf dem Canyonrand auf. Sie sprang und landete auf einem Felsvorsprung. Noch einmal nahm sie Anlauf.

Bestseller: Tod im Grand Canyon

Jetzt steht die Frau im Buch "Death in Grand Canyon", zwischen Verdursteten und Verunglückten. Das Buch gibt es in Tankstellen in der Region zu kaufen. Im Besucherzentrum des Grand Canyon auch. Dort ist es der Bestseller.

Als ich weiterfahre, erinnere ich mich, dass die Strasse in "Thelma und Louise" geteert ist. Ich recherchiere im Internet. Die Szene wurde nicht im Monument Valley, sondern im Arches National Park gedreht. Ich entscheide mich, da nicht hinzufahren.

Trotzdem komme ich an mehr roten Felsen vorbei. Einer sieht aus wie ein Sombrero. Der nächste Ort heißt "Mexican Hat". Dort gibt es ein "Hat Rock Cafe".

Kurz danach erreiche ich New Mexico. Aber das ist eine andere Geschichte. Noch immer bin ich auf dem Reservat. Die Navajo Times schreibt, dass die Indianer nicht mehr wissen, wer sie sind und was das Leben bedeutet.

Ein übergewichtiger Navajo bettelt mich um zwei Dollar an, für die er bei TacoBell ein Burrito kaufen will.

In Shiprock lasse ich für dreihundert Dollar meinen schmerzenden Fuß röntgen. Die Bilder sind schön. Genauso wie der Fels vor der Stadt, der wie ein Schiff aussieht. Nach ein paar Stunden erreiche ich zum ersten Mal die Panamericana.

Kurz vor Albuquerque fahre ich ab und mit einer Gondel auf den Sandia Peak.

Bald glitzern unten die Lichter der Stadt. Mir fällt kein besonderer Grund ein, mich in Albuquerque aufzuhalten. Ich mache es trotzdem. Um mir die Zeit zu vertreiben, nehme ich an einer Hip-Hop-Party teil und fange in der nächsten Kneipe einige Gespräche an.

Irgendwann ist es zu spät, um noch ein Hotel zu suchen, und ich übernachte mal wieder im Auto. Eine bequeme Position habe ich gefunden.

Am nächsten Morgen fotografiere ich die Stelle, an der sich die Panamericana und die Route 66 kreuzen. Eine Gedenkstätte für Freunde des Roadtrips. Noch ohne Besucherzentrum.

Ich biege nach rechts auf die Panamericana. Die Seitenwände der Autobahn sind rosafarben gestrichen. In einer kleinen Stadt namens "Truth and Consequences" halte ich, um zu tanken und kurz zu schlafen.

In El Paso sind die Wolken sind so dunkel, dass es mir unheimlich wird. Ich liege in meinem Motelzimmer und schaue Nachrichten. Um knapp drei Stunden habe ich einen Tornado verpasst. Die Autobahn war gesperrt.

Hagel fiel, gross wie Golfbälle. Mir bleibt der Regen. Ich lege mich vorerst zum letzten Mal in einem Land ins Bett, in dem ich insgesamt fast vier Jahre gelebt habe.

Mitten in El Paso steht ein Kurzzeitgefängnis für Menschen aus Lateinamerika, die heimlich einwandern wollten. Die Läden sind in zwei Sprachen beschriftet. Pfandleiher und Kredithaie bieten ihre Dienste an, meistens sogar nur auf Spanisch.

Es handelt sich nicht nur um eine Grenze zwischen zwei Ländern, sondern zwischen zwei Welten - der westlichen, entwickelten Welt und der restlichen, ärmeren Welt.

Nach dem Regen läuft das Wasser in El Paso ab. In Ciudad Juarez nicht.

Ein alter Mann hilft mir aus dem Schlammloch.

Im Autoradio läuft "Mala Vida" von Manu Chao. An der Kreuzung mit der Avenida Costa Rica ist die Ampel rot.

Zwei Mädchen bleiben stehen und winken. Ich finde nach ziemlich langer Zeit aus der Stadt. Fröhlich fahre ich nach Süden.

Ich bin in Mexiko.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin.

Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen: den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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