Amerika, der Länge nach: Wieder daheim:Das war's

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Acht Monate, fünfzehn Staaten, unzählige Erfahrungen: Am Ende seiner Reise von Alaska bis Chile blickt unser Autor noch einmal zurück.

Robert Jacobi

Kurz nachdem ich in München gelandet bin, kaufe ich mir eine Leberkässemmel. Zwölf Stunden hat der Flug von Buenos Aires gedauert. In Madrid musste ich umsteigen. Es waren die letzten Minuten in der spanischsprachigen Welt. Meine Reise ist vorbei, es geht nach Hause. Dorthin, wo es Leberkässemmeln gibt.

Zum Nachreisen - die Route unseres Autors im Bild (Foto: Karte: Samuel Schrott)

Die Stewardess der Iberia gab mir eine Süddeutsche Zeitung. Darin steht ein Artikel über die Filmfirma Constantin. Der Autor erwähnt, dass der Film "Wer früher stirbt, ist länger tot" von Marcus Rosenmüller ein Hit war. Ich glaub das nicht und lese den Artikel noch mal. Dann freue ich mich, sehr sogar.

Die Sache mit dem Film zeigt, dass ich viel aufholen muss. Marcus war auf meiner Schule. Zum letzten Mal hab ich ihn gesehen, als wir in einer Kneipe am Schliersee ein Bier tranken. Damals schimpfte er über die Feuilletonisten und Filmjournalisten, die keinen Sinn für wirklich gute Filme hätten.

Marcus ist also halbwegs berühmt. In der Zeitung stehen mehr Namen angeblich berühmter Menschen, die ich noch nie gehört habe: Murat Kurnaz. Eine Band namens Tokio Hotel. Henrico Frank, ein Arbeitsloser. Ein Fußballer namens Lell. Und Angela Merkel ist die beliebteste Politikerin Deutschlands. Was ist passiert?

Manches ist also neu, aber vieles gleich geblieben. Dieter Bohlen züchtet sich immer noch junge Mädchen bei Deutschland sucht den Superstar. Beim FC Bayern herrscht Chaos, und Uli Hoeneß geht trotzdem in alle Talkshows. Politiker haben Affären. Die nächste Staffel von Big Brother läuft an.

Am Tag vorher war ich noch in Buenos Aires. Die Fahrt im Taxi zum Flughafen hat länger gedauert, als gedacht. Als ich am Schalter ankomme, ist mein Flug geschlossen. Die Schalterfrau erbarmt sich und bucht mich auf einen zufällig leer gebliebenen Sitz. Eine Kollegin schleust mich durch die Kontrollen.

Vor dem Flug dachte ich, die Stunden in der Kabine eigneten sich wunderbar, um die Reise in Gedanken nachzuerleben und mich auf die Rückkehr vorzubereiten. Dann aber bin ich so vollgesaugt mit meinen Erlebnissen, dass ich weder denken noch schlafen noch Filme anschauen kann. Ich trinke argentinischen Rotwein.

Für mich ist es so, als komme ich nach einem riesigen Looping über die Erdkugel wieder an der Einstiegsstation an. Vor fünf Jahren bin ich von München nach Berlin gezogen. Vor drei Jahren von Berlin nach Boston. Vor einem Dreivierteljahr machte ich mich von Boston auf den Weg nach Alaska. Von dort nach Süden.

Warum ich diese Reise unternommen habe, kann ich nicht genau ausdrücken. Ich bin immer gerne gereist, schon als Schüler mit meinem ersten ersparten Geld per Interrail durch Osteuropa. Dann aber kam der Journalistenberuf, den ich zwar geliebt habe, der aber zugleich mein wirkliches Leben zu sehr beschnitten hat.

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Schwer ist die Auswahl unter den vielen Bildern, die einen auf dieser Reise begleitet haben und bestimmt auch ungerecht. Wir versuchen es trotzdem.

Der erste Ausstieg war ein Pseudoausstieg, vom Hauptstadtkorrespondent zum Harvardstudent. Nach dem ersten Jahr in Boston war ich mir sicher, einen Fehler gemacht zu haben. Die Jugendliebe zerbrochen. Der Familie entfremdet. Auf dem Weltwissenschaftsgipfel an Lebensfreude verloren. Dann las ich Jack Kerouac, und wusste, ich muss da raus. Und zwar bald.

(Foto: N/A)

Das zweite Jahr in Harvard habe ich mich dann mit meinen Reiseplänen beschäftigt. Statt ökonomischer Modelle studierte ich Spanisch und Fotografie. Ich fragte Kommilitonen aus Chile und Peru über ihre Länder aus. Regelmäßig telefonierte ich mit meinem Freund Christian in Buenos Aires. In meinem Kopf war ich weg.

Schon in den Winterferien wollte ich los nach Süden, aber die Zeit war zu knapp. Als kleiner Junge habe ich die Bücher von Jack London gelesen und seitdem von Alaska geträumt. Irgendwann, in einer Vorlesung von Michael Porter, kam ich auf die Idee, beides zu verbinden - und von ganz oben nach ganz unten zu reisen.

Während ich im Juni in einem Pub in Boston die ersten Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft anschaute, las ich Reiseführer. Dann ging es los. Von Boston nach Chicago, dann nach Seattle, weiter nach Anchorage und direkt weiter nach Nome an der Beringsee. Innerhalb eines Tages aus der Hochzivilisation ans Ende der Welt.

Von Nome ist es den Kilometern nach kürzer, über Japan und Russland nach Europa zu reisen, als über den Atlantik. Weiter weg kann man als Deutscher kaum sein. Der Zeitunterschied ist nur zehn Stunden, damit Alaska den unteren USA nicht zu sehr hinterher ist. Geografisch gesehen müssten es dreizehn sein.

Nicht nur hier oben im ewigen Eis reise ich allein. Lange hatte ich gezögert und befürchtet, dass mich das irgendwann einsam macht. Ich freute mich, als sich vor der Reise Freunde meldeten, die mich ein Stück begleiten wollten. Das hat mir den Start erleichtert. Schon beim ersten geplanten Treffen kam es dann aber zu Problemen.

Alleine zu reisen ist wundervoll, zumindest als Backpacker. Ich würde mich nicht zwei Wochen lang auf Teneriffa allein an den Strand legen. Aber wer sich ständig fortbewegt und viele Länder sehen will, der hat es alleine leichter. Und mit welchem Menschen hält man es sieben Monate lang rund um die Uhr aus?

Es stimmt, dass man mit den Leuten aus den Ländern besser ins Gespräch kommt. Allein schon auf den langen Fahrten in überfüllten Bussen. Wer mit einem Partner reist, sitzt im Bus neben ihm. Wer alleine reist, hat einen Platz frei. Da sitzt dann eine Marktfrau aus Cochabamba oder ein Lehrer aus Leon.

In Lateinamerika fanden die Leute mich allerdings komisch. Oft fragten sie mich, wo denn meine Familie ist und wenn ich erklärte, dass ich weder verheiratet bin noch Kinder habe, wollten sie wissen, ob mich denn wenigstens meine Eltern besuchen kämen. Und wie sehr denn meine Mutter daheim um mich zittere.

Meine erste angekündigte Begleiterin, eine Architektin aus New York, rief mich in Alaska an, um mir mitzuteilen, dass sie jetzt einen Freund habe und nicht kommen könne. Zur zweiten Verabredung mit einer Freundin in Seattle kam ich zu spät, weil mich in Alaska auf der Landstraße niemand aufgesammelt hat.

Wir fingen an, zu streiten. Sie wusste von der anderen angekündigten Begleiterin nichts und fand das blöd. Als ich in einem Rentnerort in Oregon zwei Tage entspannen wollte, fand sie das auch blöd, weil sie nicht so viel Zeit hatte. Das hab ich schon verstanden. Aber mich brachte nichts aus der Ruhe.

Einfacher war es, einzelne Etappen mit anderen Backpackern zu reisen. Die hatten ähnlich viel Zeit und genauso wenig Pläne. Lustig ist, dass die Welt auch dort kleiner ist, als man denkt. Sam aus Kanada traf ich in Salento, einem kolumbianischen Bergdorf. Zwei Wochen später stolperte ich auf einer Straße in Quito über ihn. Nannah und Sarah aus Dänemark traf ich an drei verschiedenen Orten, ohne jemals verabredet gewesen zu sein.

Alleine reisen ist manchmal gefährlich. Meine Entführung in Lima wäre mit einem Begleiter nicht passiert. Gutes Spanisch musste sein, sonst wäre ich oft hilflos gewesen. Und was Frauen betrifft, da gibt es manche, die es wagen. Schnell aber wird das quälerisch, denn allein reisende Frauen gelten in diesen Ländern als verfügbar.

Für mich war die Reise ein Bedürfnis. Erst, als ich schon unterwegs war, vereinbarten wir, dass ich einmal in der Woche einen Artikel schreibe. Manchmal kam es ungelegen. Insgesamt aber war es gut, einen Rahmen zu haben. Und im Nachhinein freut es mich, diese Erinnerungen gesammelt zu haben.

Auch die Strecke hat der Reise einen Sinn gegeben. Einmal Amerika, von oben bis unten. Genauso sind die ersten Menschen auf die beiden Kontinente gekommen. Von Asien über die Beringstraße, damals eine Landbrücke. Dann durch die Eiswüste Alaskas bis hinunter nach Peru und in die Berge von Patagoniens.

Wenn ich jetzt einen Globus sehe, verstehe ich diesen Globus besser. Ich weiß, wie mühselig und langwierig es ist, eine Hälfte der Erdkugel auf dem Landweg abzufahren. Und wie wunderschön zugleich. Seit der Reise habe ich ein neues Verhältnis zur Welt. Manchmal kommt es mir vor, als sei ich erst jetzt wirklich da.

Ein anderer Mensch bin ich nicht geworden, aber ein anders denkender. In Harvard lernte ich zwei Jahre lang ökonomische Theorie. In Nicaragua und Bolivien in zwei Tagen die Praxis dazu. Das eine und das andere passt nicht zusammen. Erst kommt der Mensch, dann die Zahl. Ohne Liebe ist das Leben nichts.

Oft fragte ich mich auf langen Busfahrten, was das größere Problem ist: die Armut oder die Umweltzerstörung. In Alaska sind die Folgen der Erderwärmung nicht mehr Vorhersagen, sondern Realität. Die US-Regierung bezahlt Programme, um den Eskimos zu erklären, wie sich ihr Leben ändern wird.

In Wirklichkeit sind die Probleme nicht voneinander zu trennen. Wer arm ist, hat keine Zeit, sich über seinen Müll Gedanken zu machen. Niemand gewinnt Wahlen in Peru, weil er Autoabgase verringern will. Umso schwieriger ist es zu verstehen, dass der meiste Schmutz von dort kommt, wo die Menschen sich ein sauberes Leben leisten könnten. Wenn sie wollten.

Aus dem Sommer in Argentinien bin ich dem Kalender nach in den deutschen Winter gereist. Aber es ist so, als ob eine höhere Instanz entschieden hat, den Menschen ihr selbst verschuldetes Drama plastisch zu zeigen. Umweltschutz scheint in Deutschland nicht mehr das Monopol von Menschen mit Sonnenblumen zu sein, die andere wegen ihrer Selbstgerechtigkeit abschrecken.

Deutschland hat sich auch sonst sehr verändert, auch wenn die Oberfläche gleich aussieht. Das Dehner Gartencenter am Viktualienmarkt sucht Mitarbeiter. Ludwig Beck auch. Ein Kommissar in Brüssel bezeichnet Deutschland als den Wirtschaftsmotor Europas. Die Staatschulden sind niedriger als erwartet. Wachstumsprognosen werden korrigiert.

Für mich ist das eine andere Welt. Jahrelang habe ich in Berlin über Haushaltslöcher, Arbeitslosenrekorde und Rezession geschrieben. Heute liegt der Bestseller über den Abstieg eines Superstars bei der Buckette Joker im Ramsch. Mir kommt es vor, als hätte ich im Ausland überwintert und sei rechtzeitig zum Aufstieg zurückgekommen.

In München arbeite ich jetzt als Strategieberater für Medienfirmen. Mir gefällt es, wieder ein geordnetes Leben zu führen, in der Nähe meiner Freunde und meiner Familie. Manchmal aber regt sich schon jetzt eine Stimme, die leise sagt, Du musst noch mal raus. Wann auch immer. Die nächste Reise geht von unten los.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig.

Durch seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach einem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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