Alpendrama:In Sandalen, ohne Sicherheitsgurt

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Leichtsinn und Selbstüberschätzung kosten jedes Jahr Hunderte Freizeitsportler das Leben. Mit der Zahl der Handys steigt die Risikobereitschaft - selbst aus der Eiger-Nordwand kann man ja nach Hilfe telefonieren.

Hunderttausende zieht es jeden Sommer zur Erholung in die Alpen. Vor allem Wandern und Walking liegen im Trend. Doch immer wieder fordert der Berg Opfer. Steinschlag, ungenügende Ausrüstung, Herzanfälle, vor allem aber Leichtsinn und Selbstüberschätzung: Alljährlich sterben Hunderte Menschen bei Bergunfällen, Tausende werden verletzt.

Bergung: Ein Rettungshubschrauber über dem Zugspitzmassiv. (Foto: Foto: dpa)

Die Schweizer Nachrichtenagentur sda zählte in diesem Jahr 49 Bergtote, in Österreich starben mindestens 68 Menschen in den Bergen, in Bayern waren es 39.

Stolpern in den Tod

In Sandalen, ohne Sicherungsgurt und Helm erklomm ein Kletterer beispielsweise am 1. August den Pidinger Klettersteig an der Nordwand des Hohenstaufen in den Chiemgauer Alpen. Er verlor den Halt und stürzte 200 Meter in die Tiefe. Sein Schädel wurde zertrümmert.

Immer wieder laufen Bergsteiger unangeseilt über Gletscher, immer wieder verirren sich Wanderer oder scheitern entkräftet, immer wieder stürzen Touristen auch auf einfachen Routen in die Tiefe. "Stolpern ist eine sehr häufige Ursache", sagt die Sprecherin des Deutschen Alpenvereins (DAV), Andrea Händel.

Auf den Montblanc ohne Bergerfahrung

Vielen Wanderern fehle die Kondition für die von ihnen gewählten Touren, ergänzt der Sicherheitsreferent des Österreichischen Alpenvereins, Michael Larcher. Die meisten seien gut ausgerüstet, wüssten aber nicht, die Ausrüstung richtig einzusetzen.

Fast jeder dritte Unfall ereignet sich laut DAV beim Wandern.

Die Bergwacht in Bayern zählte dabei in diesem Jahr 15 Todesfälle. Beim Canyoning, Drachenfliegen oder mit Mountainbikes gab es bisher im Freistaat keinen Toten. Die meisten Freizeitsportler sind allerdings auch zu Fuß unterwegs.

Die Hütten in beliebten Gebieten oder auf den Anstiegen zu berühmten Gipfeln sind nicht selten ausgebucht, manchem bleibt nur der Platz im Notlager. Zum höchsten Berg Europas, dem 4807 Meter hohen Montblanc, starten an schönen Tagen bis zu 400 Menschen, ein guter Teil fast ohne Bergerfahrung.

Auf das "Wahrzeichen der Schweiz", das 4478 Meter hohe Matterhorn, wollen bis zu 150 Bergsteiger täglich erklimmen.

Völlig unterschätzt wird oft die Gefahr durch Wassermangel, Erschöpfung und Herz-Kreislauf-Probleme. Gerade im vergangenen heißen Sommer machten deshalb viele Bergsteiger schlapp. Am Langkofel in den Dolomiten musste eine ganze Seilschaft wegen Dehydrierung und Kreislaufproblemen mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden.

Entfesselte Naturgewalten

Laut DAV gingen 2003 zwischen 18 bis 35 Prozent der Todesfälle auf Herzanfälle zurück. "Beim Herzinfarkt ist es einmal die Anstrengung, zum anderen kann es auch der Flüssigkeitsverlust in Verbindung mit dem gesteigerten Blutdruck sein", erläutert der Sprecher der Bergwacht Bayern, Thomas Griesbeck.

Immer wieder sterben auch versierte und gut trainierte Bergsteiger. "Ob erfahren oder unerfahren: Sehr oft ist es Selbstüberschätzung, oder man hat nicht genug auf das Wetter und die Verhältnisse geachtet", fasst der Zermatter Bergführerpräsident Miggi Biner zusammen.

Gerade mit der Klimaerwärmung steigt die Gefahr durch entfesselte Naturgewalten. Im vergletscherten Hochgebirge schmilzt der Dauerfrost, Steine lösen sich, es gibt Steinschlag und Felsstürze. In vergangenen Jahrhundertsommer mussten am Montblanc und am Matterhorn Dutzende Bergsteiger mit dem Hubschrauber gerettet werden, weil Steinschlag den Weg ins Tal zu gefährlich machte.

Mit der Handy-Zahl steigt die Risikobereitschaft

Manche Beobachter sehen auch eine steigende Risikobereitschaft. "Heute hat jeder ein Handy bei sich - man kann selbst von der Eiger-Nordwand zu jeder Tages- und Nachtzeit den Hubschrauber alarmieren", sagt der Berner Klimawissenschaftler Professor Martin Grosjean.

"Die Hemmschwelle, sich Gefahren auszusetzen, ist gesunken." Ein Grund sei auch die wenige Zeit, die neben dem Beruf bleibe. "Wenn man die Tour geplant hat, dann geht man halt, auch wenn das Wetter nicht stimmt." Vor fünf Jahren starben beim Canyoning im Saxetenbach bei Interlaken durch eine Flutwelle 20 Touristen.

Die Gruppe startete, obwohl laut Wetterbericht Gewitter und Regengüsse möglich waren. Grosjean: "Da kann man weder Klima noch sonst jemanden verantwortlich machen - das ist einfach Fehleinschätzung."

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