6. Station: Umrundung des Kap Horn:Tanz auf dem Wasser

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Tendern vor den Falkland-Inseln, nautische Kunst bei Kap Hoorn: Am Ende der geschichtlichen Exkursion gibt es eine Urkunde.

Klaus Podak

Als wir Puerto Madryn verlassen hatten, war die atlantische Meerwasserwelt noch in Ordnung. Glatt gestrichene See, wie marmoriert und lackiert. Ein fabulöser Sonnenuntergang. Um 20 Uhr noch lockende Helle hinter vielfältig ausgebreiteten Flachwolken. Eine warm schmeichelnde Brise. Passagiere flanierten auf Deck9 herum wie auf einem italienischen Korso. Später zeigten sich am Horizont schmale Bahnen feiner Regenschleier. Eine ungeheure Friedlichkeit lag über den Wassern. So sollte sie öfter sein, die umgebende Welt. Zugleich das Bewusstsein, dass dies ein zwar frommer, doch unerfüllbarer Wunsch ist, selbst auf dem weiten Meer. Die unter dem Horizont verschwundene Sonne schickte noch immer Lichtbündel hoch, erstklassiges Theater. Das nächste Landziel, die Falklandinseln, mehr als tausend Kilometer weit weg.

Frieren auf dem Sonnendeck - Am Kap Horn treffen Atlantik und Pazifik aufeinander, was meist recht ungemütlich abläuft. (Foto: Foto: Podak)

Am nächsten Tag ein neues, ein bislang nie gehörtes Verb gelernt: Tendern. Und gleich noch ein dem Tendern verwandtes: das Austendern. Das Verb tendern hat der Duden nicht. Tender dagegen hat er. Im Seewesen bedeutet es Begleitschiff, Hilfsfahrzeug. Tendern ist also der Einsatz eines Hilfsboots, das Austendern sein Zu-Wasser-Lassen. Zu welchem Zweck, mag mancher sich fragen, braucht der weltreisende Kreuzfahrer überhaupt einen Tender? Denn der Passagier eines Kreuzfahrtschiffs wird von morgens bis abends und auch nachts umhegt, umsorgt, umpflegt, umhüllt von freundlich wachsamen Helfern und einem sicher gebauten Schiffsleib - fast wie ein Säugling. Die richtige Antwort lautet in unserem Fall: Falklandinseln.

Falkland in Sicht

Das Weltreise-Kreuzfahrtschiff MS Deutschland wollte vor Port Stanley, dem Hauptort der Inseln, vor Anker gehen und uns mit den Tendern für ein paar Stunden an Land bringen und dann wieder zurücktendern.

Die Falklandinseln, 600 Kilometer östlich vor der argentinischen Küste gelegen, dürfen, laut UN-Beschluss, auch offiziell Islas Malvinas genannt werden, ein Name, den sie für die Argentinier immer schon hatten. Dieser Beschluss ist eine Folge des kurzen Falklandkriegs von 1982, in dem die Argentinier die Inseln, die britische Kronkolonie sind, im April besetzten und zu erobern versuchten. Schon im Juni hatte Maggie Thatchers geballte Seemacht dem argentinischen Versuch ein bitteres Ende bereitet. Die Argentinier bekamen nur jenen UN-Beschluss als Trost.

Die Falklandinseln, ein paar sturmzerzauste Eilande von insgesamt etwas mehr als 12000 Quadratkilometern, die von 600000 Schafen bewohnt werden und von rund 2000 Menschen, die sich vor allem um die Schafe kümmern. Der Krieg, so lasen wir weiter in unseren Vorbereitungspapieren, hatte vermintes Gelände hinterlassen. Beim Polizeiposten von Port Stanley erhält man eine Spezialkarte, auf der die verminten Stellen eingezeichnet sind. Und auch über das Austendern wussten wir ja Bescheid. Theoretisch wenigstens. Denn das Weltmeer, Himmel und Wasser im Verein, waren dagegen. Es sah erst alles gar nicht so schlimm aus, als wir uns den Inseln endlich näherten. Sturmerprobte Seeleute hätten sich vom prahlerischen Getue des Meers wohl nicht abhalten lassen zu tun, was sie sich vorgenommen hatten. Regen, knatternder Wind (Stärke zehn bis zwölf zuweilen), aufgeregte Wellen, aber nicht besonders hohe, ließen den um das Wohl seiner Landratten besorgten Kapitän die gesamte Austenderei abblasen.

Die Falklandinseln, obwohl ihnen ganz nah, bekamen wir nicht zu sehen. Sie waren im Wetter verschwunden, verschluckt von den Elementen. Die Tender, hieß es, wenn sie denn ausgesetzt worden wären, hätten einen solchen Tanz auf dem Wasser vollführt, dass wir die Inseln kaum erreicht haben dürften. Einige versuchten sich Trost zu verschaffen, indem sie die Falschmeldung streuten, die Falkland-Malvinas gebe es gar nicht. Sie seien sowieso bloß eine Erfindung Maggie Thatchers gewesen, die durch den Schaukampf 1982 von innenpolitischen Problemen habe ablenken wollen. Wir wollten das zwar nicht ganz glauben, zogen uns dann aber zurück in die schützende Wärme der Kreuzfahrerkneipen. Kapitän Hayo Janssen aber nahm kühn Kurs auf Kap Hoorn.

Kap Hoorn, die Insel

Kap Hoorn, Traum und Albtraum jedes Seefahrers der Vergangenheit. Traum, weil er sich nach erfolgreicher Umschiffung zum feinen Club der "Kap Hoorniers" zählen durfte und einen stolzen Pluspunkt in seiner Seemannsvita vorzeigen konnte. Albtraum, weil trotz zähen Mühens es so manchem doch nicht gelang. Von Segelschiffen wird berichtet, deren Besatzung mehr als dreißig Tage gegen Sturmwind und böse Wellen ankämpfte und dann doch aufgeben musste, erschöpft, gedemütigt vom Kap und seinen Spießgesellen, den Wellen und den Winden. Denn bei Kap Hoorn treffen Atlantik und Pazifik aufeinander. Unfriedlich meist.

Wir Weltreisenden, gefoppt vom Wetter vor den Falklands, hatten Seemannsglück, denn die MS Deutschland umrundete Kap Hoorn gleich zweimal. Schon deshalb, weil Kap Hoorn eine Insel ist, der Südspitze des Kontinents Südamerika vorgelagert. In Kapitän Janssens Schiffstagebuch steht unsere Abenteuerfahrt ganz nüchtern betrachtet so: "07.00 Uhr Kap Hoorn eben an Steuerbord voraus in Sicht, chilenische Lotsen übernehmen die Beratung, 09.30 Uhr passieren Kap Hoorn auf westlichem Kurs, Umrundung Isla de Hornos, 12.00 Uhr passieren Kap Hoorn erneut auf östlichem Kurs, Position 56°00,0' südliche Breite, 067°,18.3' westliche Länge, südöstlicher Wind Stärke 4, leicht bewegte See, Lufttemperatur 11°C, Seewassertemperatur 10°C, Luftdruck 997 hPa, setzen Passage in den Beagle Kanal fort ..."

Also wieder ein Stück Geschichten umwobener Welt mehr im Kopf der Kreuzfahrer. Sind wir nun alle auch Kap Hoorniers? Wir haben eine Urkunde bekommen. Aber wir gehören wohl doch nicht ganz in den feinen Club. Haben wir selber doch nicht viel zur Kap Hoorn-Umrundung beigetragen. Abends erreicht die MS Deutschland den Hafen von Ushuaia. Angeblich das Ende der Welt, der ständig bewohnten jedenfalls.

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