3. Station: Rio de Janeiro:Wie war's am Zuckerhut?

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Es gibt zwei Sorten von Weltreisenden: Die einen gehen an Land, die anderen bleiben an Bord auf der Fahrt von Rio de Janeiro nach Buenos Aires.

Klaus Podak

Der Zuckerhut hat sich im neblig nassen, heißen Dunst des Januars versteckt. Der mächtige Beton-Christus ist in schweren Wolken verschwunden auf seinem Corcovado, dem Buckel-Berg, vielleicht, wer weiß das schon, kommunizierend mit einem noch höheren Wesen weit über den Wolken. Gern würden wir es wissen. Wer will an diesem melancholischen Tag schon an den Strand von Copacabana?

Kommuniziert in höheren Spären: der Beton-Christus von Rio. (Foto: Foto: Podak)

Die MS Deutschland liegt still im Hafen, fasst nebenbei Frischwasser und andere Köstlichkeiten, erholt sich von den ersten 4359 Seemeilen der Reise. Das sind gerade mal 8073 Kilometer der 47115 unserer Weltkreuzfahrt. Wir trotzen dem zwanzigsten von 138 Tagen, dem vierten und letzten in Rio de Janeiro. Den Aufbruch, neuen erregenden Wettern entgegen, dann auf offener See, hat der Kapitän für 18 Uhr bestimmt. Und da wir nun schon mal bei Zahlen sind: Nach 1160 Seemeilen erst (Kilometer? 2148!) wird MS Deutschland wieder zur Ruhe kommen. In einem anderen Land, in Argentinien, im Hafen von Buenos Aires.

Die schönste Stadt der Welt

Noch sind wir in Rio. Die tapferen Menschen, die in glühend schwüler Sonnenhitze und auch heute im warmen Regen die große Stadt zu erkunden versuchten, erzählen uns, sie sei die schönste der Welt. Doch das wussten wir Zurückgebliebenen schon - aus unserem Reiseführer. Und den Verdacht wurden wir nicht los, dass auch die kühnen Landgänger es bereits vorher wussten. Ebenfalls aus ihrem Reiseführer.

An diesem kleinen Beispiel erkennt man leicht, dass die Kreuzfahrtgemeinde schon nach kurzer Zeit in zwei von der Gestimmtheit her völlig unterschiedliche Gruppen zerfallen ist: die der emsigen, jeden Halt des Schiffs ungeduldig erwartenden Landgänger und die andere, kleinere Gemeinschaft der dem reinen Bordleben und dem Meer verschwisterten Weltreisenden.

Auch für den zweiten Teil, den kleineren Teil der Gemeinde, sind die Landgänge das Schönste - an Bord. Fast alle den Passagieren zugedachte Flächen und Räume des Schiffs gehören plötzlich ihnen allein. Ein Gefühl wonnevoller Einsamkeit breitet sich aus in ihren geduldigen Seelen. Es ist dieses Gefühl, das sie alle, Landgänger und Zurückgebliebene, ergreift, wenn die MS Deutschland lange Zeit dem weiten Weltmeer allein anheim gegeben ist, ohne störendes Land am Horizont, ohne zu viele andere Schiffe in Sichtweite.

Das Unruhegen der Landgänger

Vielleicht ist sogar dieses Gefühl einer der wichtigsten Gründe für das Mitfahren um die Welt, denn an Land gibt es nur noch wenige Gegenden, wo es sich geruhsam, lange und wohl behütet einstellen kann. In Wüsten vielleicht oder im ewigen Eis. Aber in jenen Zonen bleibt die Sorge ums eigene Wohlergehen ganz am Reisenden hängen. An Bord unseres Schiffs nicht. Da sorgen wunderbar diskrete Diener sich um unsere Sorgen. So geschickt, dass sie, die Sorgen, gar nicht erst Besitz ergreifen können von uns. Dennoch bleibt ein Unterschied der Temperamente bestehen: Landgänger und Zurückbleibende werden von ganz verschiedenen Genen in Ruhe oder Unruhe versetzt.

Von noch einer anderen, ziemlich großen Menge der Passagiere ist zu berichten. Es sind die mit nahendem Ende ihrer Passage immer stiller, vielleicht sogar ein wenig traurig werdenden Teilreisenden. In Rio gingen die ersten von Bord, wurden zum Flughafen gebracht, dort auf verschiedene Maschinen verteilt, die sie zurück in den Lärm und Stress ihrer kalten Heimat brachten. Ein wenig wie der Antritt einer Strafe muss das sein, einer Strafe mit Freigang in altgewohnter Umgebung. Denn nicht alle können es sich leisten (in des Wortes zweifacher Bedeutung), viereinhalb Monate sich allein einer Umkreisung der Weltkugel zu widmen. Der Urlaub ist zu Ende, das Portemonnaie ist fast leer, die Kinder müssen wieder in die Schule. Man hatte eine Reise gebucht, keine Weltreise, eine Teilreise, die aber auch, richtig aufgefasst, eine Teilweltreise ist oder doch sein kann.

Melancholie im Abschiedstrubel

Unterscheiden sich die Gene der Landgänger und Anbordbleiber oder warum versäumen letztere solche Anblicke? (Foto: Fotos: TourisRio)

In acht Teilwelteinheiten hat die Reederei Deilmann die Gesamtweltstrecke auseinander genommen. Von Las Palmas bis Rio, das war Teil eins. Abschiedsgala, Abschiedsessen, Kofferpacken (lästig, denn beinahe jeder Reisende schleppt viel zu viel Zeug mit sich an Bord), Austausch von Adressen, Versprechen, sich irgendwann, irgendwie, irgendwo wieder zu sehen - Stimmungen wie im üblichen Urlaub auch und doch ein bisschen anders. Denn man verabschiedet sich ja nicht nur wie von frisch gewonnenen Bekannten am Ballermann. Man verabschiedet sich auch von einem Traum, einer Fantasie, die aus Kindertagen geblieben ist und die im Schlager so besungen wird: Einmal um die ganze Welt... Man hat teilgenommen an der Erfüllung dieses Traums - aber eben nur ein bisschen. Das macht melancholisch. Diese Melancholie geht im Abschiedstrubel unter. Die Bordkapelle hat eine Abordnung an die Gangway entsandt, auf einmal sehr sentimental klingende Melodien werden geblasen, ein letztes Winkewinke ausgetauscht. Dann ab in den Bus und fort.

Schon wird in den leer gewordenen Kabinen gesaugt, gewienert, wieder Ordnung hergestellt: Die Neuen kommen. Erschöpft von einer langen Fluganreise, ebenfalls melodiös erfreut von der nun munterer auftrumpfenden, auftrompetenden Abordnung der Bordkapelle, gestärkt mit einem Gläschen Willkommens-Sekt schon vor Betreten des großen weißen Traumerfüllungsschiffs, wanken sie an Bord. Vom Lido-Deck aus beobachten die echten, die wahren Weltreisenden, und das sind 67 an der Zahl, das Schauspiel, das noch sechs Mal aufgeführt werden wird. Nun können die Beobachter sich ganz als etwas Besonderes fühlen. Denn Gesamterdballumkreiser kann keiner der Neuen mehr werden.

Rückkehr zu den vertrauten Lauten

Den nächsten Tag erleben alle bis 18 Uhr noch im Hafen und an Land. Vorher teilen sich die Neuen auf in die Gruppen, die sich an Bord schon gebildet hatten: Landgänger und Zurückbleibende. Endlich ertönt das laute, schon vertraute, irgendwie brünstige Getute des Schiffs. Abfahrt aus Rio, am Zuckerhut vorbei, vorbei an den Stränden der Stadtteile Copacabana und Ipanema. Als es dunkel wird über dem Ozean fängt das Meer ein bisschen an zu lärmen und das Schiff zu schubsen. Die Wellen im kleinen Meerwasserpool geben an mit Brechern, die ihm nicht zustehen. Der Pool spielt wilder Ozean, wird mit einem Netz gebändigt. Die südlichseltsam aufgehängte Sichel des neuen Monds erscheint. Das weite Wasser hat uns wieder. Zweieinhalb Tage bis zum nächsten Hafen. Das Wetter hat sich beruhigt.

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