2. Tag: Rudolfshütte - Prettau:Stürzende Bäche und Murmeltiere

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Am nächsten Morgen gegen halb sechs spiegelt sich ein fast wolkenloser Himmel im völlig ruhigen Weißsee. Wir brechen gleich auf, heute steht ein langer Tag bevor. Den hat unser kleiner Umweg um gute eineinhalb Stunden verlängert. Am Gipfelkreuz vom Kalser Tauern (2515 Meter) springt Marco schon aufgeregt hin und her und zeigt auf eine Gruppe Gämsen.

Vom Kalser Tauern wird die Abfahrt schnell zum Abstieg (Foto: Foto: Repke)

Die Bergsteiger hier oben begutachten uns wie Außerirdische. Ich kann es selbst kaum glauben, aber wir sind dabei, den Alpenhauptkamm zu überqueren. Links von uns die Großglocknergruppe, rechts die Ausläufer des Großvenedigers. Wir studieren die Karte, um festzustellen, zu welchem Berg die imposanten Gletscherformationen gehören. Der Mittelpunkt der ganzen Unternehmung, der Großvenediger selber, ist noch nicht in Sicht.

Wir beginnen mit dem Abstieg, hangeln uns an Sicherungskabeln entlang. Zwischendurch können wir immer wieder aufsteigen und ein Stück fahren. Die Kulisse lässt uns die zitternden Beine und die anstrengende Schlepperei vergessen. Wasserfälle stürzen von beiden Seiten ins Tal, der Seebach rauscht neben uns, und über allem ertönt das eigentümliche Pfeifen der Murmeltiere.

Linkerhand sehen wir kurz eine weiße Spitze: der Großglockner. Doch der Mittelpunkt unserer Umrundung, der Großvenediger, ist aus diesem Tal nicht zu sehen. Marco vertröstet uns: vielleicht am Nachmittag...

Der Blick zurück in Richtung Granatspitze ist atemberaubend. Das Mittagessen auf der Terrasse vom Kalser Tauernhaus ebenfalls. Fünfeinhalb Stunden sind wir seit Sonnenaufgang unterwegs. Davon gut fünf zu Fuß. Ich frage mich, ob auch die beiden Südtiroler an Marcos Verstand zweifeln.

Grinsend erklärt er uns: "Umrundung heißt nicht Umfahrung." Wir sollten uns noch an seine Worte erinnern...

Schotter und Asphalt, egal, Hauptsache, wir fahren wieder. Ohne einen Blick für die romanische Filialkirche Hl.Georg passieren wir Kals. Von hier aus wurde der Großglockner 1853 zum ersten Mal erstiegen. In glühender Hitze geht es durch das Defereggental. Eine Pause in St.Leonhard mit seinen Schwefel-, Eisen- und Kohlesäurebädern steht leider nicht auf unserem Programm.

Im warmen Licht des späten Nachmittags fahren wir durch das verlassene Arvental. Unzählige Weidegatter müssen wir öffnen und schließen. Das Tal und seine Seitentäler erinnern an Irland, so grün und weich sind die Konturen. Von Norden mündet die Schwarzach in das Arvental. Weiß schäumend entspringt der Fluss der Großvenedigergruppe. Doch der Berg selbst bleibt weiterhin verborgen.

Am 2288 Meter hohen Klammljoch ein Grenzstein: Wir sind in Italien. Der Kuhhirte, dessen Herde unseren Weg kreuzt, spricht einen kaum verständlichen Dialekt. Als wir ihm unsere Route beschreiben, werden die Falten auf seiner Stirn noch tiefer. "Ouhh, das ist anstrengend," raunt das runzlige Männchen, "aber gesund!"

Im Weyerhof in Prettau fallen wir wie erschlagen ins Bett. Das Zimmer in der Pension ist noch enger als das vom Vorabend, aber dafür gibt es hier für vier Leute auch vier Betten ...

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