19. Station: Die Reise neigt sich dem Ende zu:Die letzte Passage

Lesezeit: 6 min

Mit dem Wüstenschiff durch den Sand: Gedanken eines Heimkehrenden bei der Fahrt durch den Suez-Kanal

Klaus Podak

Ach, Europa. Ein bisschen fremd bist du uns geworden. Vielleicht sind auch wir dir etwas fremd geworden, man wird sehen. Wir kommen anders zurück, als wir losgefahren sind. Wir müssen uns wieder aneinander gewöhnen. Merkwürdig war es schon, als wir spätabends am 132. Reisetag Port Said, die kecke Hafenstadt Ägyptens, an der Ausfahrt (von MS Deutschland aus gesehen) oder Einfahrt (von Europa aus gesehen) des Suezkanals verließen und ins Mittelmeer einliefen.

195 Kilometer Einbahn-Wasserstraße: Für Gegenverkehr ist der Suez-Kanal nicht breit genug. Nur an Ausweichstellen wie dieser können Schiffe einander passieren. (Foto: Podak)

Wir standen am Bug, sahen in die dichter werdende Finsternis. Wie immer kam frischer Wind von vorn. Die Lichter vom Land links und rechts verschwanden langsam hinter uns im Dunkel. Wann genau, in welchem Augenblick wir die Grenze, die Weite des Mittelmeers erreicht hatten, das konnten wir nicht sehen. Für die Augen änderte sich nichts.

Etwas wie Enttäuschung

Aber eine Umänderung des Gefühls stieg auf. Etwas wie Enttäuschung. Etwas wurde anders. Oder war es die Nachtkühle, die eine veränderte Färbung des Bewusstseins bewirkt hatte? Plötzlich war klar, dies ist von nun an keine Reise mehr. Dies ist jetzt Rückreise. Das Mittelmeer ist schon wieder Europa. Wir reisen nicht länger in fremde Welten. Nach mehr als vier Monaten unserer Weltreise fahren wir zurück nach Hause.

In die kleine Verwunderung, die mit dieser doch vorauszusehenden Zukunft verbunden war, mengte sich, nun ja, Heimatgefühl ein. Alles, was so lange so weit entfernt gewesen war, rückte wieder näher - in Form von Fragen. Wie wird die Wohnung aussehen, wie die Nachbarschaft? Werden die Katzen ihre alten Mitbewohner sofort wiedererkennen und begrüßen? Die Angehörigen, die Freunde, die Kollegen?

Verändert reist man zurück. Auch die Umwelt zu Hause wird sich verändert haben. Aus der großen Fremde wird man - es kann nicht anders sein - in eine kleine Fremde zurückkommen. Nichts, das einen erschrecken müsste. Es ist ein Vorteil, gehört zum Gewinn einer langen Reise, dieses Fremdheitsgefühl. Es bedeutet, das verlassene Eigene neu sehen zu können. Es könnte zu einer wacheren Aufmerksamkeit anstiften.

Das waren so Rückkehrer-, Heimkehrergedanken an diesem Abend, an dem man später noch aufbrechen konnte zu Tanz- und Unterhaltungsmusik im Freien, vor der Bar "Zum Alten Fritz". Auch dort drehten sich die meisten Gespräche schon um Fragen, die mit dem Ende der Reise zu tun hatten, von den Problemen des quälenden Kofferpackens (die Mitbringsel!) bis zum Austausch von Telefonnummern und Adressen zwecks baldigen Wiedersehens.

Wasser oder Stein - das ist die Frage

In der Frühe dieses Tags waren wir aufgebrochen von Suez aus zur Durchfahrt durch den Suez-Kanal. Eine aufregende Sache, gerade weil da so wenig passierte. Die Reisenden hatten sich entscheiden müssen. In Suez hatte, wer wollte, das Schiff verlassen können, konnte in einen der wartenden Busse steigen, aufbrechen zu einem Tagesausflug nach Kairo und zu den Pyramiden, diesen Traumwunschzielen. Die MS Deutschland wartete derweil nicht vor dem Hafen von Suez, fuhr durch den Kanal, und sollte an dessen Ende abends in Port Said die Ausflügler wieder auffangen. Einiges war also gegeneinander abzuwägen.

Im Gedächtnis tauchte ein Satz aus Frank Wedekinds Kindertragödie "Frühlings Erwachen" auf: "Sie kommen aus Ägypten, verehrter Herr, und haben die Pyramiden nicht gesehn?!" Sollte sich derjenige, der die Pyramiden, diese Weltwunder, tatsächlich noch nie in touristischer Wirklichkeit gesehen hatte, diesem Vorwurf aussetzen? Im Stück dient er gar zur Charakterisierung eines verfehlten Lebens. "Frühlings Erwachen" erschien 1891. Der Suezkanal wurde 1869 eröffnet, Wedekind hätte das wissen können.

Der Reisende entschied sich rasch: Zu den Pyramiden kann man in jedem Urlaub fliegen. Durch den Suezkanal durch die Wüste hingegen, auf einem schönen, bequemen Schiff, bei sagenhaftem Sonnenwetter, kann man nur selten fahren. Also Suezkanal.

Adieu, ihr Fahrtgenossen, man kann nicht alles auf einmal haben. Ein bisschen Neid folgte euch bis Kairo. Wir blieben an Bord. Unser Vorhaben war vorab geschmäht worden von den Pyramidenfahrern: "Suezkanal. Da ist doch nichts los." Da ist etwas dran an dem boshaften Satz. Schwer, den Pyramidenweltwunderwilligen später plausibel zu machen, dass eben dieses "Da ist doch nichts los" die Pointe einer Suezkanalreise darstellt.

Da heban wir's: das Wüstenschiff

Die Wasserschneise durch den Sand hat etwas Bizarres an sich. (Foto: Podak)

Es ist zwar nicht nicht viel, aber doch einiges an Bildern, die man nicht mehr vergisst. Die Durchfahrt wurde zu einer der wunderbarsten Erfahrungen dieser Kreuzfahrt: mit dem Schiff durch die Wüste. Nicht zu vermeiden ein Kalauer: Endlich weiß man, was mit dem Wort Wüstenschiff gemeint ist.

Wir waren nicht viele, die rechts und links an der Reling standen. Aber wir waren bald, ungeplant, eine Gemeinschaft von Beobachtern, die sich hin und wieder durch Zurufe auf kleine Veränderungen im Wüstensand aufmerksam machten. Über die Bordlautsprecher gab es in gehörigen Abständen knappe Informationen zu Geschichte und Gegenwart des Kanals.

Und in den Kabinen konnte man sich auf dem Tonkanal des Fernsehapparats einmal sogar wenigstens die Ouvertüre zu Verdis Oper "Aida" anhören. "Aida" hatte der Meister, allerdings verspätet, abgeliefert und uraufgeführt, als Auftragswerk zur Eröffnungsfeier des Suezkanals im Jahr 1869 geschaffen. Wir lauschten der Eröffnungsmusik mit Rührung.

Rund fünfzehn Stunden waren für die Passage vorgesehen, die MS Deutschland brauchte zwölf. Das lag nicht daran, dass der Kapitän ein besonders heftiges Tempo vorgelegt hätte. Das ist gar nicht möglich im Suezkanal. Da kann kein Kapitän loslegen wie er vielleicht möchte. Denn in Suez - und für die Gegenrichtung in Port Said - werden die Schiffe zu Konvois gesammelt.

Man kommt an, angemeldet natürlich, ankert auf Reede, und wartet, bis die Kanalverwaltung eine Position im vorgesehenen Konvoi bestimmt hat. Dann fährt das Schiff in seine Konvoiposition und ankert dort wieder, bis die Erlaubnis zur Abfahrt für alle zusammengelegten Schiffe kommt. Wann das soweit ist, das hängt vom Gegen-Konvoi ab. Denn der Kanal ist nicht breit genug, um an allen Stellen seiner 195 Kilometer zwei große Schiffe oder gar Sammeltransporte nebeneinander verkraften zu können.

Der Große Bittersee

Ungefähr in der Mitte des Kanals liegt der Große Bittersee. Er ist eine Haltestelle, an der ein Konvoi seinen Gegenzug vorbeilassen kann. Deshalb ist es nicht nötig, dass am Anfang oder am Ende die ganze Zeit über gewartet werden muss, welche die eine Durchfahrerflotte zur Durchquerung braucht. Der Konvoi, zu dem wir gehörten, sollte eigentlich im Bittersee parken, drei Stunden lang. Aber wir durften gleich durch, sparten die drei Stunden ein, die dem Aufenthalt in Port Said zugeschlagen wurden.

Es gibt noch andere, kleinere Ausweichmöglichkeiten als den Großen Bittersee. Eine von ihnen, ein kurzer Seitenarm des Kanals, verschaffte uns mit den dort ausharrenden Schiffen das eigenartige Vergnügen, tatsächlich Wüstenschiffe, andere als unseres, zu sehen.

Es sieht komisch aus. An den Ufern ist die Wüste in Abständen bebaut. Gebäude der Kanalverwaltung wechseln ab mit Lagern des ägyptischen Militärs. Denn obwohl durch internationale Verträge als friedliche Straße selbst in Kriegszeiten anerkannt, stellt der Kanal doch eine gefährdete und deshalb gefährliche Zone dar. In den Kriegen mit Israel hat sich das blutig gezeigt.

145.000 Dollar Maut

Die Passage ist nicht billig. 145.000 Dollar musste die MS Deutschland für die Durchfahrt bezahlen. Kein Wunder, dass Kreuzfahrtschiffe dieses hübsche Sümmchen nicht gerne zusätzlich ausgeben. Auch deshalb ist die Reise durch den Kanal auf einem Kreuzfahrtschiff eine Rarität. Zwei Milliarden Dollar kassieren die Ägypter jährlich an Suezkanalgebühren. Die Hälfte davon verwenden sie zur Instandhaltung dieser wunderbaren Straße, die ständig von Versandung bedroht ist und die den Seeweg aus dem Mittelmeer nach Asien um 8000 Kilometer verkürzt. Immer riesiger gebaute, dabei recht flach liegende Containerschiffe nutzen diesen Vorteil massenhaft.

Vor Port Said teilt sich der Kanal. Links geht es in den Hafen, die rechte Abzweigung nehmen die Schiffe, die ohne Aufenthalt ins Mittelmeer, nach Europa fahren. Wir fuhren links. Wir wollten ja die Pyramidenbesucher wieder aufnehmen, die mit ihren Bussen vom anderen Weltwundertrip eintrafen. Ahnungsvoll hatten wir den übrigen Schiffen unseres Konvois hinterher gesehen, die stracks den Weg ins Mittelmeer genommen hatten. Jetzt waren wir selbst dran. Na ja, vor Venedig noch die zwei Haltestellen Heraklion auf Kreta und Dubrovnik. Aber auch das hilft nicht mehr viel. Die Weltreise geht ihrem Ende zu.

145.000 Dollar Maut

Die Passage ist nicht billig. 145.000 Dollar musste die MS Deutschland für die Durchfahrt bezahlen. Kein Wunder, dass Kreuzfahrtschiffe dieses hübsche Sümmchen nicht gerne zusätzlich ausgeben. Auch deshalb ist die Reise durch den Kanal auf einem Kreuzfahrtschiff eine Rarität. Zwei Milliarden Dollar kassieren die Ägypter jährlich an Suezkanalgebühren. Die Hälfte davon verwenden sie zur Instandhaltung dieser wunderbaren Straße, die ständig von Versandung bedroht ist und die den Seeweg aus dem Mittelmeer nach Asien um 8000 Kilometer verkürzt. Immer riesiger gebaute, dabei recht flach liegende Containerschiffe nutzen diesen Vorteil massenhaft.

Vor Port Said teilt sich der Kanal. Links geht es in den Hafen, die rechte Abzweigung nehmen die Schiffe, die ohne Aufenthalt ins Mittelmeer, nach Europa fahren. Wir fuhren links. Wir wollten ja die Pyramidenbesucher wieder aufnehmen, die mit ihren Bussen vom anderen Weltwundertrip eintrafen. Ahnungsvoll hatten wir den übrigen Schiffen unseres Konvois hinterher gesehen, die stracks den Weg ins Mittelmeer genommen hatten. Jetzt waren wir selbst dran. Na ja, vor Venedig noch die zwei Haltestellen Heraklion auf Kreta und Dubrovnik. Aber auch das hilft nicht mehr viel. Die Weltreise geht ihrem Ende zu.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: