13. Station: Von Manila ins ostchinesische Meer:Nächte mit Artisten

Lesezeit: 5 min

Der Seereisende kann nicht unablässig den Blick aufs Meer richten: Er sucht Abwechslung im organisierten Entertainment. Wird er fündig?

Klaus Podak

Die blonde Frühstücksgenossin im gern besuchten Selbstbedienungsrestaurant Lido-Gourmet ist heute nicht glücklich. "Wieder Seetag", sagt sie und löffelt ohne Lust die dritte Kiwi leer, "wieder ein verlorener Tag." Ein Seetag? Der wäre noch zu verkraften. Es sind aber drei ganze Tage, erst auf den Wassern des südchinesischen, dann auf denen des ostchinesischen Meers.

Das Traumschiff. An Amüsement mangelt es nicht an Bord. (Foto: Foto: AP)

1355 Seemeilen sind es von Kao-hsiung im Süden Taiwans bis zu dem gewaltigen Hafen Yokohamas. Rechnet man das um in Kilometer, dann kommt man auf respektable 2509, die MS Deutschland am Stück durchmessen will. Das dauert mehr als drei Seetage lang.

Auch das Wetter stellt die Frühstückerin nicht zufrieden. Kühl ist es geworden hier, wo wir wieder auf der nördlichen Hälfte des Erdballs angekommen sind. Das Wort nördlich beweist zwar nichts. Es sind uns noch schöne, feuchtheiße Tage auch in nördlichen Breiten vorhergesagt worden. Aber im Augenblick wird das Wort nördlich jeder bibbernden Assoziation gerecht. Pullover werden ausgepackt und die Windjacken.

Wenn es richtig heiß ist, mit brennender Sonne und einer kleinen Brise, dann macht auch ein Seetag unserer Tischbekanntschaft nichts aus. Sie nutzt dann jede Minute zwischen den vielen Mahlzeiten, um ihre jetzt schon bewundernswerte Bräune noch weiter einer erträumten Vollkommenheit entgegenzubrennen. Der sonnige Wettergott nimmt, wie bei allen Urlaubern, auch im Götterhimmel weltreisender Kreuzfahrer den obersten Rang ein, obwohl gerade sie auf vielfältige Abwechslung gefasst sein sollten auf ihrem superlangen Trip.

Drei Seetage. Was tun?

Drei Seetage also, gleichgültig ob warm, ob kalt: was tun? Eine schon vor der Fahrt weit in die Zukunft vorausschauende Kreuzfahrtdirektion hat das alles geahnt, alle Tage, für alle Eventualitäten geplant. Künstler sind an Bord - Artisten, Komödianten und Sänger, Tänzer und Instrumentalvirtuosen. Eine acht Musiker starke, mit den Wassern aller Meere gewaschene Showband, angeführt von dem Schlagzeuger Chris Luca, spielt unermüdlich zum Tanz auf, mal an Deck ("wetterbedingt" heißt es vorher im Tagesprogramm), täglich abends im Ballsaal bis nach Mitternacht.

Wer da nicht mittanzt, beobachtet und bewertet die mehr oder weniger kunstvoll auftretenden Paare kritisch. Zensuren werden am nächsten Morgen ausgetauscht, genüsslich beim Frühstück, der üblichen Bewertungsstunde der Nacht und des Vortags. In der Lili-Marleen-Bar unterhält uns der jazzige Alexander Hopff mit seinem flotten Trio. Zu später Stunde, dem eigenen freien Willen anheim gegeben, laufen diese Musiker zu großer Form auf.

Bleibt noch, der akustischen Unterhaltung in der Tratsch-Bar "Zum Alten Fritz" zu gedenken. Der zur Zeit dort residierende junge Klavier- und Akkordeonspieler Jens Krüger verfügt über ein erstaunliches Repertoire aus Chansontexten der zwanziger Jahre und weiß sie erfreulich vorzutragen. Musikgeräuschen, meist sogar nicht ganz unangenehmen, entkommt also kaum, wer des Abends durch das Schiff flaniert.

Großes im Kaisersaal

Aber für diese "schrecklichen Seetage" ist das noch lange nicht genug. Die Kreuzfahrtdirektion hat das bedacht und gehandelt. Nach 22 Uhr gibt es große Veranstaltungen im Kaisersaal, dem Prunkraum des Schiffs - auch "The Emperor's Ballroom" genannt für die englischsprachigen Gäste. Mindestens Jackett und Krawatte schlägt unser Tagesprogramm vor, nicht selten aber wünscht es sich sogar "Gala / festlich".

Dann werden die vorsorglich mitgeführten, meist glitzernden Abendkleider hervorgeholt, und die Dinnerjacketts der Herren kommen zum Tragen. Alle Gäste sind nämlich gut präpariert. Denn in regelmäßigen Abständen mahnt das Tagesprogramm: "Wir bitten Sie, Restaurants und Veranstaltungsräume nur in angemessener Kleidung zu betreten".

Die Wendung "nur in angemessener Kleidung" erscheint, ein wenig drohend, fett gedruckt. Aber dieser sanfte Druck wäre gar nicht nötig gewesen. Wir alle wissen, was sich gehört. Und ein paar bunte Vögel, die es nicht lassen können, sich grell und frech von allen anderen zu unterscheiden, gibt es schließlich immer und überall. Wir strafen sie mit Blicken ab.

Festliche Abende also - zum Beispiel jetzt die der drei gefürchteten Seetage. Am ersten gab es "Talk & Show", eingeleitet und begleitet vom Kreuzfahrtdirektor selbst. Da antworteten eine Sängerin, eine Schriftstellerin mit Sohn, ein Weltumseglerpaar, ein Jongleur und ein Geiger auf Fragen, die man ihnen schon immer hatte stellen wollen. Eine Pianistin ließ zwischendurch ihre Künste hören. Das sozusagen zur Crew gehörende fünfköpfige "Deutschland Ballett" tanzte keck zur Erquickung, und das Orchester Chris Luca war auch dabei.

Der mächtige Kaisersaal ist nicht unbedingt das ideale Ambiente für so genannte Kleinkunst. (Foto: Foto: AP)

So ein Kreuzfahrtdirektor hat es nicht leicht. Das Publikum für die Abende kann er sich nicht aussuchen. Allen aber, die sich durch sein Angebot haben verlocken lassen, soll es gefallen. Da auf so einem Schiff, das rund 500 Passagiere über die Wasser trägt, fast alle Geschmäcker vertreten sind wie im richtigen Leben, ist es nahezu unmöglich, Abend für Abend satte Volltreffer zu landen.

Außerdem: Man muss ja nicht hingehen. Es existieren findige Passagiere, die beschäftigen sich selbst - allein, miteinander. Unter den Amerikanern an Bord etwa gibt es hartnäckige Bridgespiel- und Scrabble-Vereinigungen, von den stummen Lesern dickleibiger Romane, die in stillen Ecken hausen, gar nicht zu reden.

Seetagsabendrettung zum Zweiten

Zweiter Seetagsrettungsabend. In Manila ist die vieler Variationen fähige Entertainerin, Diseuse, Chansoniere April Hailer mit ihrem flinken Pianisten Christoph Pauli an Bord gekommen. Die beiden gaben ihr etwas kalauerig "April, April" benamstes Programm zum Besten: schnelle, grelle, witzig-virtuose Kabarettkunst.

Selbst einige von der gar nicht kleinen Fraktion der geschmäcklerisch konservativ gestimmten Reisenden mochten dem wild agierenden Paar am Ende den Beifall nicht versagen. Leider hatte sich unsere Frühstücksnachbarin vor Beginn bereits melancholisch in ihre Kabine eingeschlossen. Es hätte ihr eigentlich gefallen müssen. Anschließend... Natürlich.

Den (wie wir finden: herrlichen) Zumutungen des dritten Seetags in Folge rückte ein Artist zu Leibe, der im Reich des Variétés anzusiedeln ist: Monsieur Agon, Jongleur und Pantomime, der im bürgerlichen Leben einen treudeutschen Namen trägt. Seine Ballbewegungskünste baut er possierlich in kleine Geschichten ein.

Mit einem schrillen "Bong Amüsmong" warb das gedruckte Tagesprogramm für seine Vorstellung. Amüsant, kunstfertig war es, was er zeigte. Mancher sprachlichen Anstrengung zum "Amüsmong" hätte es freilich nicht bedurft. Vielleicht ist auch der Kaisersaal zu groß und prächtig für derartige, zu Unrecht so genannte Kleinkunst.

Das muss man am Kreuzfahrtschiff loben: Es erhält Künste am Leben, deren Tage an Land gezählt sind. Es gibt die Theater kaum noch, in denen so etwas anständig vor zahlendem Publikum aufgeführt werden könnte. Hier und da eine Lückenbüßerei im Fernsehen wird diese kleinen, aber feinen Kulturformen nicht retten. Kreuzfahrer genießen ein Privileg. Und sie genießen es.

Wie man dem Wasser entkommt

So weit die unvollständige Skizze dreier Seetage und der teilweisen Kompensation der durch sie verursachten Leiden. In Wirklichkeit geschieht viel, viel mehr von morgens sieben Uhr an bis spät abends, um den Wasserunwilligen unter uns einen zu ausführlichen Anblick der Weltmeere zu ersparen.

Wer es denn will, der kann durch zusätzliche geschickte Nutzung der Innenflure es schaffen, fast überhaupt kein Wasser zu Gesicht zu bekommen. Wenn man dann noch eine Innenkabine gebucht hat, dann erfüllt sich die Verheißung des Kreuzfahrtprospekts fast vollkommen: auf einem schwimmenden Hotel zu sein.

Anderes im Sinn hatte eine ältere Dame, die sich nach einer dieser Abendveranstaltungen draußen unter dem Vordach von Deck acht als vielfache Kreuzfahrerin zu erkennen gab. Als ihr die Frage gestellt wurde, warum sie denn immer wieder solche Reisen mache, dachte sie eine Weile nach und sagte dann nur: "Ach wissen Sie, das Schiff, das Meer - und die Mannschaft."

Weisheit besteht offenbar darin, keine der extremen Verhaltensweisen völlig zu bevorzugen oder zu verdammen, sondern klug zwischen ihnen zu wechseln. Wir saßen noch eine Weile da und sahen nur auf den dunklen Ozean. Keine Tanzmusik mehr in dieser Nacht.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: