Zuwanderung:Abschiebelager werden zu "Ausreisezentren"

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Das künftige Zuwanderungs- und Integrationsgesetz ähnelt nach den Kompromissgesprächen zwischen dem Bundeskanzler und der Opposition einem unübersichtlichen Puzzle. Die wichtigsten Elemente.

Von Heribert Prantl

Das Herz des ursprünglich konzipierten Zuwanderungsgesetzes war der Paragraf 20. Er wurde im Vermittlungsausschuss schon frühzeitig herausoperiert.

Es ging dabei um die langfristige Planung von Zuwanderung mittels eines Auswahlverfahrens und eines Punktesystems. Dieses Vorhaben war von Anfang an auf den kompromisslosen Widerstand der CDU/CSU gestoßen; sie fürchtete einen Zuwanderungssog.

Der generelle Anwerbestopp bleibt bestehen. Ohne Stellenzusage kann kein Ausländer nach Deutschland kommen. Nur herausragende Wissenschaftler und Top-Manager sollen eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erhalten.

Kleine Erleichterungen für Studenten

Der Freiburger Professor Dieter Oberndörfer, Vorsitzender des Rats für Migration, einer Vereinigung von Wissenschaftlern, befürchtet: "Ohne die Punkte-Regelung haben wir weiterhin Sicker-Einwanderung, aber keine Möglichkeit, Zuwanderung vernünftig zu steuern und zu gestalten."

Kleine Erleichterungen bei der Arbeitsmigration gibt es insoweit, als Studenten nach einem erfolgreichen Studium eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen können, um sich in Deutschland eine Stelle zu suchen. Bislang müssen sie nach ihrem Abschluss Deutschland verlassen und sich von ihrem Heimatland aus erneut bemühen.

Die Bürokratie wird vereinfacht: Das bisherige doppelte Genehmigungsverfahren (für Arbeit und Aufenthalt getrennt) wird zusammengelegt. Die Arbeitsgenehmigung wird in einem Akt mit der Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn die Arbeitsverwaltung intern zugestimmt hat.

Sprachnachweis mit ausländerrechtlichen Folgen verknüpft

Für die Zuwanderung von Selbstständigen wird eine rechtliche Grundlage geschaffen. Sie dürfen kommen, wenn ein wirtschaftliches Interesse oder ein regionales Bedürfnis besteht, wenn der Zuwanderer mindestens eine Million Euro investiert und zehn Arbeitsplätze schafft.

Neue Zuwanderer erhalten künftig einen gesetzlichen Anspruch auf Integrations- und Sprachkurse. Der Bund trägt die Kosten. Ob ausreichende Mittel zur Verfügung stehen werden, ist allerdings nicht klar.

Wer am Integrationskurs nicht teilnimmt oder dort nicht das Erwartete leistet, muss mit Sanktionen rechnen. An den Sprachnachweis werden ausländerrechtliche Folgen geknüpft.

Zu wenig Geld

Im schlimmsten Fall wird die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert. Integrationskurse sind nicht neu: Es gibt sie schon, bisher freilich nicht auf der Grundlage eines Gesetzes, sondern kraft Verwaltungsvorschriften - und ohne Sanktionen.

Schon jetzt aber reichen die zur Verfügung gestellten Bundesmittel nur für 40 Prozent der von den Wohlfahrtsverbänden angebotenen Kurse.

Der Aufenthaltsstatus von Opfern nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung wird verbessert. Sie können nach der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt werden. Das ist allerdings kein Verdienst des geplanten Zuwanderungsgesetzes; diese Verbesserungen werden von EU-Richtlinien vorgeschrieben.

Ob das Asylbewerberleistungsgesetz weiter verschärft wird, ist unklar. Das Gesetz versucht, Flüchtlinge bei Sozialleistungen möglichst kurz zu halten. Die Kürzung war bisher befristet; die Union will dies unbefristet. Es gibt zahlreiche Verschärfungen im Bereich innere Sicherheit.

Eine Abschiebung kann künftig aufgrund einer "tatsachengestützten Gefahrenprognose" angeordnet werden; zuständig sind die Innenministerien der Länder. Der Rechtsschutz in diesen Fällen wird beschränkt.

Handyverbot als mögliche Sanktion

Ausländer, die zu Gewalt aufrufen, sollen nach Ermessen der Behörden ausgewiesen werden können; es soll nicht erforderlich sein, dass dieser Gewaltaufruf strafrechtlich relevant ist - etwa nach Paragraf 140 Strafgesetzbuch, der die Billigung von Straftaten bestraft.

So genannte Schleuser werden ausgewiesen, wenn sie zu mindestens einem Jahr Haft verurteilt worden sind. Das Gesetz sieht als "Ausreisezentren" bezeichnete Abschiebelager vor.

Wenn eine Abschiebung an drohender Folter oder Todesstrafe scheitert, sollen massive Einschränkungen der Freizügigkeit und Kommunikationsverbote (z.B. Handyverbot) angeordnet werden können.

Union verzichtet auf Sicherungshaft

Mehr Ausländer als bisher fallen schließlich unter die "Residenzpflicht" - sie dürfen sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten. Vor jeder Verlängerung eines Aufenthalts gibt es künftig eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz.

Eine Bleiberechtsregelung für Ausländer, die schon sehr lange in Deutschland leben, aber noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, gibt es nicht. Die 150.000 Geduldeten in Deutschland haben weiterhin einen unsicheren rechtlichen Status. Ob die bisherigen "Kettenduldungen" wie angekündigt abgeschafft werden, ist noch unklar.

Die Union hat auf die von ihr geforderte Sicherungshaft für Ausländer, die man für gefährlich hält, denen man aber eine Straftat nicht nachweisen kann, vorläufig verzichtet.

Ob ein ganzer Katalog weiterer Forderungen der Union endgültig vom Tisch ist, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.

© SZ vom 27.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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