Zustand der großen Koalition:Ende der Kohabitation

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Die Kanzlerin profiliert sich auf internationaler Bühne, während sich SPD und CSU vor allem mit sich selbst beschäftigen. Der Ton wird schärfer und alle sparen Kraft für die Wahljahre 2008 und 2009 - deshalb wird 2007 in der deutschen Politik nicht viel passieren.

Christoph Schwennicke

Seit einer Woche regiert Angela Merkel ohne Edmund Stoiber. Man kann nicht behaupten, sie erwecke den Eindruck, als würde ihr persönlich etwas fehlen. Eher dürfte sie stille Genugtuung verspüren. Stoiber ist ihr zunehmend auf die Nerven gegangen.

Damals war die Stimmung noch gut: SPD-Chef Kurt Beck und Kanzlerin Angela Merkel im Juli 2006 (Foto: Foto: AP)

Über Jahre stand er ihr zur Seite, ob sie nun wollte oder nicht. Legende ist die Begebenheit, als Bundespräsident Horst Köhler die Neuwahlen ausrief, Merkel bei einem Geburtstags-Empfang für Michael Glos spontan eine Pressekonferenz anberaumte und Stoiber sich anschickte, mit aufs Podium zu steigen. Bis sie ihm zuzischte: "Das mache ich jetzt alleine."

Mit der krachledernen Tragikomödie der CSU haben sich die Machtverhältnisse innerhalb der großen Koalition - genauer: innerhalb der Union - verändert. Der bayerische 50-Prozent-Sockel, den die CSU bei Bundestagswahlen für die CDU sicherte, könnte bröckeln. Wie es laufen kann, wenn eine scheinbar für die Ewigkeit gebaute Burg zu bröseln beginnt, war in Nordrhein-Westfalen zu besichtigen. Dort verlor die SPD ihren Mutterboden. Von dieser Erosion haben sich die Sozialdemokraten bis heute nicht erholt.

Steinmeiers Überlebenskampf

Noch entscheidender für Berlin ist jedoch der politische Überlebenskampf von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er trifft die große Koalition in einer sensiblen Phase. Das Binnenverhältnis von Union und SPD hat sich verändert. Die Zeit der Kohabitation in dieser großen Koalition geht zu Ende. Der Ton wird schärfer, die Abgrenzungen nehmen zu. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagt laut, dass er CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nicht ernst nimmt. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach fällt Steinmeiers SPD-Verteidiger Thomas Oppermann öffentlich in den Rücken. Koalitionäre Eintracht sieht anders aus.

SPD-Chef Kurt Beck, peinlich darum bemüht, bei einer durch die CSU ausgelösten Kabinettsumbildung nicht in die Regierung gezerrt zu werden, setzt Marken jenseits der Koalition. Er öffnet die SPD in fast alle Richtungen, vor allem hin zur FDP, was in der Union registriert wird. Zugleich streichelt er die Seelen jener, denen er mit den FDP-Ampel-Avancen in der SPD viel zumutet: Genug reformiert für diese Legislatur, verkündet er zu deren Freude.

Beck will mehr "SPD pur"

Weniger große Koalition, mehr SPD pur, mit dieser Methode versucht Beck sich gegen die Kanzlerin zu profilieren. Der Egoismus der Partner nimmt auf beiden Seiten zu. Der Eigennutz, auch auf Kosten des Partners, verdrängt zunehmend die Koalitionsräson. Merkel etwa hält mit ihrer Meinung zur Atomkraft nicht mehr so hinterm Berg wie zu Beginn. Sie lässt ihren Wirtschaftsminister ab und an wider den Stachel löcken: Mehr Freiheit auf dem Arbeitsmarkt wagen.

Die Causa Steinmeier beobachtet sie in kühler Distanz. Sie lässt Steinmeier ihre Unterstützung versichern, tut es aber nicht selbst. Die Solidaritätsadressen sind auf der Briefwaage abgewogen und halten ihr jede Option offen. Ihr Getreuer Volker Kauder macht schon Absetzbewegungen von Steinmeier. Wenn der Fraktionschef das macht, fühlen die Abgeordneten sich dazu ermuntert, Kauder lässt sie von der Leine. Sollte Steinmeier auf die große Koalition als letzte politische Lebensversicherung bauen, könnte er sich also vertun.

Es wird laut zwischen den Partnern

Bislang lag eine Art akustischer Dämmplatte über der großen Koalition. Doch allmählich rumort es wieder lauter zwischen den beiden Partnern - beim Streit über den Mindestlohn hört man das Rumoren besonders laut.

Dazu tragen, man darf das Wort nach mehr als einem Jahr Schamfrist wieder in den Mund nehmen, die Umfragewerte bei. Eine Zeitlang standen sich Union und SPD bei 30 Prozent gegenüber, und keiner der beiden hatte Grund zu frohlocken. Nun aber geht die Schere auf. Die CDU legt zu, die SPD stagniert, bestenfalls. Um durchschnittlich sechs, sieben Prozent hat sich die CDU schon davongestohlen.

Besser wird es für die Sozialdemokraten nicht. Merkel wird in den Monaten der EU-Ratspräsidentschaft weiter enteilen. Kurt Becks Taktik, immer ein paar Schritte voraus und der Onkel aus Mainz zu sein, bei dem alles gut wird, wenn er kommt, ist an ein Ende gekommen. Auf den aktuellen Bühnen kann er Merkel gar nicht die Show stehlen.

Die nationale Bühne hat derweil Spielpause. Selten ist ein politisches Jahr inhaltlich so lahm angelaufen wie das "Jahr der Entscheidungen" (Merkel). 2007 wird das Jahr des Stillstands und des Abwartens, das Jahr der rollenden Staatskarossen und internationalen Treffen.

Und innenpolitisch? Der Koalitionsvertrag ist weitgehend abgearbeitet, vor allem ist das Koalitionsverträgliche abgearbeitet. An den Rest zu gehen bedeutete zusätzlichen Ärger. Dabei ist man schon froh, wenn Ende dieser Woche die unselige Gesundheitsreform glimpflich durch den Bundestag kommt.

2007 passiert also operativ nicht viel. Es wird belauert und Kraft gespart für die Wahljahre 2008 und 2009. Es ist wie bei der Tour de France. Man fährt eine ganze Zeit im Pulk, wechselt sich vorne ab und gönnt sich gegenseitig Windschatten. Jetzt aber kommen die Bergetappen und die verstohlenen Blicke auf den Tritt des anderen. Und im Herbst, vor den drei Landtagswahlen 2008, wird es die Ausreißversuche geben.

© SZ vom 29.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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