Zukunftspolitik der Union:Merkel unterstützt radikale Sozial-Reformen

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Die Parteichefin hat sich bei ihrer Grundsatzrede überraschend deutlich hinter die strittigen Pläne der Herzog-Kommission gestellt. Danach sollen die Deutschen erst mit 67 in Rente gehen. Merkel gab sich kämpferisch: "Es wird Heulen und Zähneklappern geben, aber es muss sein."

Von Susanne Höll

(SZ vom 02.10.2003) - In einer Grundsatzrede in Berlin unterstützte Merkel die Vorschläge des von Altbundespräsident Roman Herzog geleiteten Gremiums, die ein Kopfpauschalenmodell für die Krankenversicherung, einen Systemwechsel bei der Pflegeversicherung und ein Renteneintrittsalter von bis zu 67 Jahren vorsehen.

In der Gesundheitsvorsorge brauche man tatsächlich eine "Jahrhundertreform", sagte Merkel. Der beim Arbeitnehmerflügel der Union favorisierten Bürgerversicherung erteilte sie eine klare Absage. "Die gaukelt Stabilität nur vor", sagte sie.

Regionalkonferenzen geplant

Präsidium und Vorstand der CDU sollen am Montag über die Herzog-Vorschläge abstimmen, anschließend will Merkel sie mit der Parteibasis auf Regionalkonferenzen der Basis erläutern. Es werden heftige Diskussionen erwartet. Der CDU-Arbeitnehmerflügel hat bereits Widerstand angekündigt.

Merkel sprach sich außerdem für eine baldige umfassende Steuerreform mit niedrigeren Tarifen aus, die mit unpopulären Streichungen von Steuervorteilen verbunden wäre. "Es wird dabei Heulen und Zähneklappern geben, aber es muss sein", sagte sie.

Merkel bezeichnete Reformen in Deutschland als unumgänglich, auch, weil das Land seit längerem von seiner Substanz lebe. In ihrer Rede mit dem Titel "Quo vadis (Wohin gehst du), Deutschland?" bekräftigte sie auch ihre Forderung nach längerer Lebensarbeitszeit und lehnte Forderungen aus der SPD-Linken nach höherer Vermögens- und Erbschaftssteuern ab.

Den stärksten Zwischenapplaus erhielt die CDU-Vorsitzende für ihre Forderung, zwar das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Schulen zu verbieten, nicht aber Kutten und Kleider für Priester und Ordensschwestern.

Merkel präsentiert erstmals Konzept ihrer politischen Leitideen

In ihrer intern seit längerem als Standortbeschreibung angekündigten Rede entwarf Merkel erstmals öffentlich ein zusammenhängendes Konzept ihrer politischen Leitgedanken für die Zukunft Deutschlands. Große Bedeutung maß sie dabei der Freiheit des Einzelnen bei. Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit seien die Grundwerte der CDU. Jedoch sei die Freiheit in der Rangfolge zu weit herab gerutscht.

"Damit Solidarität und Gerechtigkeit wieder gelebt werden können, muss die Freiheit in unserer Wertehierarchie wieder deutlich von unten nach oben kommen. Denn ohne Freiheit ist alles nichts", sagte sie bei der Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.

Merkel, die weiterhin nicht die klare Kanzlerkandidatin der Union ist, sondern in bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) einen möglichen Konkurrenten hat, wies innerparteiliche Forderungen nach Blockaden der rot-grünen Bundesregierung über den Bundesrat zurück. Die Union könnte leicht das "Land vor die Wand fahren zu lassen." Mit ihr sei das aber nicht zu machen.

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