Wenige Tage vor seiner Amtseinführung hat der künftige amerikanische Präsident Donald Trump deutlich gemacht, dass die Welt sich mit ihm auf neue Zeiten einstellen muss. Vor allem das transatlantische Verhältnis, seit Ende des Zweiten Weltkriegs Basis der Weltordnung, dürfte Erschütterungen erfahren, wenn Trump Ernst macht. Viele seiner Aussagen deuten darauf hin, dass die USA sich stärker abschotten werden und seine Regierung isolationistischer auftreten will. In einem Interview mit der Bild-Zeitung und der Londoner Times erklärte der künftige Präsident die Nato für "obsolet". Die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, eine große Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen, nannte er einen "katastrophalen Fehler". Der deutschen Autoindustrie drohte er mit Strafzöllen.
Die Kanzlerin reagierte am Montag unverzüglich, betonte allerdings, der künftige Präsident sei ja noch nicht im Amt. Sie forderte die EU zu Geschlossenheit und Selbstbewusstsein auf: "Also, ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selbst in der Hand", sagte sie. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass die 27 Mitgliedstaaten intensiv und vor allem zukunftsgerichtet zusammenarbeiten." Der Kampf gegen den Terrorismus, die Sicherung der Außengrenzen, die innere Sicherheit und der digitale Binnenmarkt - das seien die Herausforderungen, mit denen sich die Union "sehr entschieden" befassen werde.
Zu ihrer Flüchtlingspolitik sagte Merkel, der Anti-Terror-Kampf sei eine große Herausforderung für alle. "Ich würde das von der Frage der Flüchtlinge noch einmal deutlich trennen." Viele Syrer seien nicht nur vor dem Bürgerkrieg geflohen, sondern auch vor Terrorismus in ihrem Land. Merkel war erkennbar darum bemüht, nicht provoziert zu wirken. Es gebiete die Höflichkeit, die Amtseinführung des neuen Präsidenten abzuwarten, sagte sie. Im Übrigen habe Trump seine Positionen bereits dargelegt. Diese seien schon eine Weile bekannt. Auch in Brüssel und in der deutschen Wirtschaft war man um Gelassenheit bemüht - zumindest nach außen hin.
In Berlin wurde am Montag bekannt, dass Merkel der neuen Administration in Washington angeboten hat, baldmöglichst zu einem Treffen in die amerikanische Hauptstadt zu kommen. Dies sei auch mit Verweis auf Deutschlands Vorsitz im Kreis der G 20 geschehen, hieß es am Montag aus Regierungskreisen. Mit einer Visite Trumps in Deutschland wird also für dieses Frühjahr offenbar nicht mehr gerechnet. Als sicher gilt dagegen, dass der neue Präsident die Bundesrepublik im Juli zum G- 20-Gipfel in Hamburg besuchen wird.
Trump hatte in dem Interview die europäischen Strukturen scharf angegriffen: "Im Grunde genommen ist die Europäische Union ein Mittel zum Zweck für Deutschland." Die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, nannte er vor diesem Hintergrund klug. Der EU sagte Trump weitere Austritte voraus. Sie sei gegründet worden, um die USA im Handel auszustechen.
Die Nato nannte er im jetzigen Zustand obsolet. Sie sei vor langer Zeit entworfen worden und habe sich zu wenig um den Terrorismus gekümmert. "Zweitens zahlen die Länder nicht das, was sie zahlen müssten." Dies sei "unfair" gegenüber den USA. "Abgesehen davon ist mir die Nato aber sehr wichtig."
Der scheidende französische Präsident François Hollande wies Trumps Äußerungen zur EU zurück. Man sei bereit, die transatlantische Zusammenarbeit fortzusetzen, sagte Hollande am Montag in Paris. Europa setze dabei aber auf eigene Interessen und Werte. "Es braucht keine Ratschläge von außen, was es tun sollte." Brüssel reagierte auf die Äußerungen mit Verwunderung und Aufregung, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte. Das Auswärtige Amt verwies darauf, dass noch niemand wirklich sagen könne, wie die Politik der neuen US-Regierung aussehen werde. Deshalb solle man mit Ruhe und Gelassenheit abwarten, sagte Steinmeiers Sprecher. Größere Besorgnis legte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der CDU-Politiker Norbert Röttgen, an den Tag. Er befürchtet, Trump könnte die gesamte amerikanische Nachkriegspolitik zerstören, sagte er am Montag zu Reuters. "Was Trump sagte, geht an die Grundlagen unserer Sicherheit und unseres Wohlstands."
In der deutschen Autoindustrie löste die Strafzoll-Ankündigung des künftigen Präsidenten ebenfalls Unruhe aus. Trump hatte gesagt, er wolle für in Mexiko gefertigte Autos 35 Prozent Grenzzoll kassieren, wenn sie in die USA geliefert werden. Der Präsident des deutschen Verbandes der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, sagte: "Wir nehmen die Äußerungen ernst." Allerdings müsse sich erst noch zeigen, ob und wie sie umgesetzt würden: "Im US-Kongress dürfte es gegen Importsteuer-Pläne erheblichen Widerstand geben." Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte davor, mit gleicher Münze zu reagieren. "Würden wir uns derart abschotten wie es der neue US-Präsident vorhat, würden wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen verlieren."