Zeugen-Knigge:Kopf hoch, Brust frei

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Bitte setzen Sie sich bequem hin und stellen Sie das Schultern hochziehen ein - wie Diplomaten für den Visa-Ausschuss vorbereitet werden.

Von Peter Blechschmidt

"Der Zeuge sollte eine für ihn bequeme Sitzposition einnehmen, die nicht den Schluss zulässt, dass er verunsichert ist (z.B. vor dem Brustkorb verschränkte Arme, hochgezogene Schultern etc.)." Das rät das Auswärtige Amt (AA) seinen Mitarbeitern, wenn es sie auf ihre Zeugenaussage im Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags vorbereitet.

"Ein Zeuge sollte sich niemals in ein Zwiegespräch mit einem Fragesteller einlassen", lautet ein anderer Tipp. Und es sei "verfehlt, sich darauf einzulassen, den anderen Zeugen der Lüge zu bezichtigen".

Ein Auftritt als Zeuge vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist wohl für die meisten Menschen eine aufregende Sache, selbst wenn eine Live-Übertragung im Fernsehen den Hauptpersonen - wie jüngst Außenminister Joschka Fischer - vorbehalten bleibt.

Fürsorge oder Zeugenbeeinflussung?

Deshalb dürften die AA-Mitarbeiter das Beistandsangebot ihres Dienstherrn bereitwillig angenommen haben. Union und FDP vermuten dahinter Zeugenbeeinflussung; die rot-grüne Koalition nennt es selbstverständliche Fürsorge.

Ganz unbegründet schien der Verdacht der Opposition lange Zeit nicht zu sein. Alle Zeugen aus dem AA berichteten von vorbereitenden Gesprächen mit Patricia Flor, der Leiterin des Parlamentsreferates im AA - Flor nimmt an jeder Ausschusssitzung teil.

Der Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles, der mit seiner Anklage gegen einen professionellen Schleuser die Visa-Affäre ins Rollen gebracht hatte, sprach im Ausschuss von seinem Eindruck, AA-Mitarbeiter, die als Zeugen in dem Schleuser-Prozess auftraten, seien "gebrieft", also in irgendeiner Weise instruiert, gewesen.

Und eine junge Diplomatin hatte vor ihrer Aussage im Kölner Prozess in einer E-Mail an Kollegen geschrieben, es sei "sehr wichtig, dass wir alle im selben Tenor antworten".

Lange Zeit stocherte die Opposition mit ihrem Verdacht des Zeugenkomplotts im Nebel. Seit ein ehemaliger Leiter der Visa-Stelle in Kiew den Abgeordneten leichtsinnigerweise sein mitgebrachtes Aktenpaket überließ, sieht die Sache harmloser aus.

Nicht spontan antworten

In den Unterlagen fand sich auch der Zeugen-Knigge, den AA-Rechtsberater Matthias Ziegler verfasst hat. Darin wird "im Interesse einer korrekten Antwort" geraten, "auf Fragen nicht spontan zu antworten, selbst wenn man sich durch die Frage provoziert fühlt".

Ein Zeuge solle seine Antwort immer in Richtung des Vorsitzenden geben, um sich nicht "durch verbale oder körpersprachliche Reaktionen" anderer Ausschussmitglieder "irritieren zu lassen". Wenn sich ein Zeuge von einem Fragesteller unkorrekt zitiert glaube, solle er sich das Protokoll seiner bisherigen Aussage vorlesen lassen.

Und wenn sich ein Zeuge "in die Enge gedrängt" fühle, habe er das Recht auf den Beistand eines Anwalts. Auch durch die Drohung mit einem Ordnungsgeld solle man sich nicht beeindrucken lassen. "Die Hinnahme der Gefahr eines Ordnungsgeldes ist gegenüber der Gefahr, sich durch eine problematische Aussage z.B. der Gefahr eines Disziplinarverfahrens ... oder eines Strafverfahrens ... auszusetzen, eher gering."

Unbeabsichtigt übergab der Zeuge auch einen Vermerk über sein Gespräch mit Parlamentsreferentin Flor. Demnach hat Flor ihm eingeschärft, Absprachen mit Kollegen "jedweder Art" seien "nicht zulässig".

© SZ vom 20.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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