Yukos-Enteignung:"Russland wird diesen Fall gewinnen"

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Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof verhandelt über die Yukos-Enteignung. Es geht um die höchste Summe, über die Straßburg je entschieden hat.

S. Zekri

Verhandelt wird die höchste Summe, über die Straßburg je entschieden hat: 100 Milliarden Dollar, umgerechnet 75 Milliarden Euro; dabei gibt es nach Ansicht der Verteidigung nicht mal einen Kläger. Vieles ist ungewöhnlich, alles kompliziert und der Ausgang völlig offen, wenn an diesem Donnerstag vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof die Klage des russischen Ölkonzerns Yukos angehört wird.

Die ehemaligen Yukos-Eigner hatten ihre Klage bereits 2004 eingereicht, zwei Jahre später wurde das Unternehmen für bankrott erklärt und enteignet, so der Londoner Anwalt Piers Gardner - und zwar aus politischen Gründen. Obwohl es Yukos also nicht mehr gibt, hatte das Gericht entschieden, dass eine Ablehnung der Klage Regierungen geradezu ermutigen würde, Firmen vom Gang vor Gericht abzuschrecken. Russische Medien spotteten, offenbar habe Straßburg erkannt, dass man einen Fall nicht deshalb einstellen könne, weil das Opfer tot ist.

Kreml-Kritiker sprechen bereits davon, dass in Straßburg Moskaus gelenkter Justiz der Prozess gemacht wird, dass das Urteil von Straßburg sogar Auswirkungen auf das Verfahren gegen Michail Chodorkowskij haben könne. Dabei haben die Fälle juristisch nichts miteinander zu tun. Der Yukos-Gründer steht mit seinem Geschäftspartner Platon Lebedjew in einem umstrittenen Verfahren gerade zum zweiten Mal in Moskau vor Gericht. In einem ersten Verfahren war er zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Chodorkowskij, so sehen es viele, hatte vor zehn Jahren politische Ambitionen erkennen lassen und damit den damaligen Präsidenten Wladimir Putin herausgefordert. Dieser habe ein Exempel statuieren lassen - damit war das Schicksal von Yukos besiegelt.

Im April 2004 hatten die russischen Steuerbehörden von Yukos rückwirkend und trotz vorheriger Prüfungen eine Nachzahlung von 88,4 Milliarden Rubel (2,7 Milliarden Euro) verlangt. Später hatte ein Gericht Yukos untersagt, zur Begleichung der Schulden eine Tochterfirma zu verkaufen. Stattdessen wurde der Verkauf seines Kronjuwels Yuganskneftegas angeordnet. Für die Hälfte seines geschätzten Wertes ging das Unternehmen schließlich an die eigens zu diesem Zweck gegründete Firma Baikalfinansgrup, die kurz darauf an den staatlichen Ölkonzern Rosneft verkauft wurde. Rosneft-Aufsichtsratschef ist der Vizepremier und Putin-Vertraute Igor Setschin, den viele als den eigentlichen Drahtzieher der Yukos-Affäre sehen.

Um die Rolle Setschins aber dürfte es in Straßburg nur am Rande gehen, und ob sich das Gericht auf die Erörterung politischer Motive einlassen wird, ist noch nicht klar. Nicht einmal die drastischen Steuernachzahlungen sind für das Gericht per se ein Fall von Menschenrechtsverletzungen, bemerkte der Ex-Yukos-Anwalt Dmitrij Gololobow. Schließlich hat nach Ansicht Straßburgs jeder Staat das Recht, Steuern zu erheben, wie er möchte. Wem das nicht passe, der müsse in diesem Land ja keine Geschäfte machen. Der Menschenrechtsgerichtshof wird vielmehr Verfahrensfehler untersuchen und der Frage nachgehen, ob die Enteignung (wenn es denn eine war) im Interesse der Allgemeinheit zu rechtfertigen war, weil Yukos Steuern hinterzogen hatte, wie die russische Seite behauptet. Kürzlich hatte das Gericht bereits entschieden, dass die Festnahme von Chodorkowskijs Partner Platon Lebedjew unrechtmäßig war - ein Urteil, das Lebedjew moralisch vielleicht aufrichtete. Für den aktuellen Fall aber war es juristisch ohne Bedeutung.

Vor wenigen Wochen wurde eine erste Yukos-Anhörung verschoben, weil der Vertreter Russlands, wie es offiziell hieß, in Moskau an der Ratifizierung des 14.Zusatzprotokolls der Menschenrechtskonvention teilnehmen müsse. Russland war das letzte Land, das dem Inkrafttreten des Protokolls noch im Wege stand. Dass nun als erster Fall nach diesem Schritt in Straßburg ausgerechnet Yukos verhandelt wird - für Kritiker das Symbol des Unrechtsstaates Russland - entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Pawel Laptew, Moskaus Vertreter in Straßburg, sieht es allerdings gerade umgekehrt: "Pressevertreter, schreiben Sie auf: Russland wird diesen Fall gewinnen", hatte er Journalisten vor einem Jahr diktiert.

Bislang allerdings verliert Russland meistens. 33000 Fälle gegen Russland sind in Straßburg anhängig, was erheblich zum Prozess-Stau beigetragen hat. Alle paar Wochen wird Moskau zur Zahlung von Entschädigungen verurteilt, oft wegen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Dass Russland im Falle Yukos tatsächlich zur Rekordsumme von umgerechnet 75 Milliarden Euro verurteilt wird, gilt allerdings längst nicht als ausgemacht. Nach Medienberichten hatte Yukos-Anwalt Piers Gardner in diesen Betrag nicht nur den entgangenen Gewinn unter Berücksichtigung des gestiegenen Ölpreises eingerechnet, sondern auch seine Hotelkosten. Doch Russland will nicht weniger zahlen, sondern am liebsten gar nicht. Jede Verurteilung in Straßburg würde das Fundament des Moskauer Chodorkowskij-Prozesses "erschüttern", schreibt die Zeitung Nowaja Gaseta: "Und das wäre für Russland ein zu hoher Preis."

Unterdessen hat sich Michail Chodorkowskij - wie schon öfter kurz vor einem brisanten Termin - zu Wort gemeldet. In der Zeitung Nesawisimaja Gaseta kritisierte er das russische Rechtssystem als "Totengräber russischer Staatlichkeit". "Tausende der aktivsten, klügsten und selbständigsten Bürger" würden durch Willkür und Rechtsbeugung zum Widerstand gegen den Staat aufstachelt. Ein "Fließband" des Unrechts sei dieses System, das nach eigenen Regeln lebe jenseits jeder Kontrolle.

© SZ vom 04.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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