Ypsilanti-Debakel in Hessen:Machtlos, sprachlos

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Mit wenigen Worten gesteht Andrea Ypsilanti ein, dass sie gescheitert ist - die Konsequenzen für die SPD sind noch nicht abzusehen. Nur einer gibt sich plötzlich wieder zuversichtlich: Roland Koch.

Christoph Hickmann

Es ist das Ende eines Weges, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, es ist das Aus für ein Projekt zwischen Mut, Wortbruch und Wahnwitz, und es ist ein Stück sozialdemokratischer Geschichte, das hier gerade geschrieben wird.

Am Ende des Traums vom Ministerpräsidenten-Amt: Andrea Ypsilanti (Foto: Foto: AP)

Andrea Ypsilanti kleidet all dies in die Worte: "Deshalb werde ich am 5. April mich nicht zur Wahl stellen, denn ich kann für eine Mehrheit nicht garantieren."

Das war es. Nicht für sie, aber für ihren Plan. Und das war es für eine hessische SPD, die sich in eine Richtung aufgemacht hatte, die so schnell in eine Sackgasse geführt hat, dass kaum einer an diesem Freitag schon wirklich begreift, was es bedeuten wird. Für die Partei, das Land und jeden einzelnen selbst.

Andrea Ypsilanti spricht dann noch von wechselnden Mehrheiten, die sie im Landtag nutzen wolle, doch ihr Projekt ist gestorben, und sie hat nun nicht nur ihre Glaubwürdigkeit verloren, sondern auch die Aussicht auf jenes Amt, das ihr diesen Verlust vielleicht wert gewesen wäre. Alle Welt weiß nun, dass sie es getan hätte, wenn es die realistische Aussicht auf Erfolg gegeben hätte. Und das wird nicht so schnell vergessen werden.

Eine gute Stunde zuvor sitzt jene Frau, die all dies ausgelöst hat, dort, wo später Ypsilanti sitzen wird. Dagmar Metzger sitzt sehr aufrecht, den Rücken durchgedrückt, die blonden Haare straff hochgesteckt.

Vor ihr liegt ein Blatt Papier, sie hat sich Stichpunkte gemacht für das, was sie sagen will, sagen muss, weil die Republik eine Erklärung erwartet von Dagmar Metzger, 49, Wirtschaftsjuristin, erstmals gewählte Abgeordnete des hessischen Landtags.

Alle Argumente gehört

Neben ihr sitzt in Raum 307 W des Landtags ihr Schwager, er ist Rundfunkjournalist, er kennt das Geschäft mit der Öffentlichkeit und hat die Aufgabe übernommen, sie durch diesen Tag zu bringen.

Es ist wenige Minuten nach zwölf am Freitag, als Dagmar Metzger zu reden beginnt. Nach ein paar einleitenden Sätzen sagt sie: "Meine Entscheidung steht. Ich bleibe bei meiner Entscheidung, und dies aus Gewissensgründen, nicht mit der Linken in Hessen zusammenzuarbeiten."

Das ist in diesem Augenblick bereits bekannt, sie hat dies mehr als eine Stunde zuvor bereits in ein Mikrofon gesagt, wenn auch deutlich umständlicher formuliert. Da hatte sie gerade die Landesgeschäftsstelle der SPD gleich gegenüber dem Wiesbadener Rathaus verlassen, oben saß noch immer die Frau, mit der sie zuvor fast zwei Stunden geredet hatte.

Andrea Ypsilanti und die Spitze der Hessen-SPD hatten versucht, Metzger umzustimmen, ihr zu erklären, was ihre Entscheidung bedeutet, Ypsilanti die Stimme zu verweigern. Es sei eine sachliche Diskussion gewesen, sagt Dagmar Metzger, als sie später Rede und Antwort steht. Allerdings habe sie "inhaltlich" keine Argumente gehört, die sie sich nicht bereits überlegt gehabt hätte.

Sie spricht dann über ihren Vater, der durch den Mauerbau in Berlin von seiner Familie getrennt worden sei, von ihren Vorbildern Helmut Schmidt und Egon Bahr. Doch so historisch sie argumentiert, so viel Ärger, wenn nicht Verbitterung klingt immer wieder durch über jene Frau, der sie sich in den Weg gestellt hat. Sie sagt, dass die SPD Ende Januar das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Hessen erreicht habe.

Sie antwortet auf die Frage nach jener entscheidenden Fraktionssitzung, in der Ypsilanti fragte, ob jemand ihren Weg nicht mitgehen könne und an der Dagmar Metzger nicht teilnahm: "Man hätte mich natürlich jederzeit aus dem Urlaub zurückholen können." Und sie sagt: "Ich denke, Andrea Ypsilanti muss sich überlegen, ob wir zu dem Weg zurückkehren, den wir dem Wähler versprochen haben."

Dagmar Metzger mag ihrem Gewissen gefolgt sein, doch sie bringt an diesem Tag auch einen Konflikt zum Ausbrechen, der immer gärte in der Hessen-SPD und in dem es nicht um Gewissensfragen geht, sondern um Macht. Seit dem Morgen verbreiten die Parteilinken das Gerücht im Landtag, Jürgen Walter stecke hinter Dagmar Metzgers Verweigerung, der Anführer der Netzwerker in der Landtagsfraktion und Dauerrivale der Parteilinken Andrea Ypsilanti. Deren Unterstützer schieben Walter nun die Schuld zu.

Gerüchte und Angebote

Nach der Entscheidung für die Linke hatte Walter öffentlich gegen den Kurs des Parteivorsitzenden Kurt Beck gewettert, gleichzeitig aber erklärt, hinter Ypsilanti zu stehen. Zudem hatte er die Latte für die Linke sehr hoch gehängt, indem er forderte, deren Fraktion müsse vor der Wahl Ypsilantis den Eckpunkten für einen Haushalt 2009 zustimmen.

Hinzu kommt auch, dass der Unterbezirk Main-Kinzig sich ebenfalls gegen eine Zusammenarbeit mit der Linken gestellt hat. Die Parteilinken wittern nun eine große Verschwörung, während die Netzwerker Ypsilanti und ihren Leuten handwerkliches Versagen vorwerfen, weil sie nicht alle Abgeordneten durchgegangen waren, bevor sie die Zusammenarbeit mit der Linken endgültig beschlossen. Auch viele von ihnen sind wütend auf Dagmar Metzger, fassungslos, geschockt. Der hessische SPD dürften sehr schwere Zeiten bevorstehen.

Es gibt an diesem Tag in Raum 307 W noch einige weitere Pressekonferenzen. Der hessische Grünen-Vorsitzende Tarek Al-Wazir hält sich im Ton gegenüber der SPD zurück - obwohl bei den Grünen intern über die chaotischen Sozialdemokraten geschimpft wird, die wieder einmal alles in den Sand gesetzt hätten.

Stattdessen ist Al-Wazir nun zu der Einsicht gekommen, dass die Linke sich "als nur sehr bedingt geschäftsfähig erwiesen" habe. Er sagt noch: "An uns hat es nicht gelegen", bevor ihm der FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn folgt und erklärt, für den Spätsommer eine Jamaika-Koalition anzustreben.

Und dann kommt der eigentliche Gewinner dieses Tages. Roland Koch sieht entspannt aus, er weiß in diesem Augenblick, dass er auch nach dem 5. April Ministerpräsident sein wird, wenn auch lediglich geschäftsführend. Er darf nun nicht den Eindruck erwecken, dass ihm dieser Gedanke allzu sehr gefällt, weshalb er sich sehr staatstragend gibt und erklärt, dass dieser Zustand nicht lange andauern dürfe. Dann wirbt er um die Grünen.

Diese hätten sich wie die SPD bislang "jedem konstruktiven Dialog verweigert". Roland Koch macht eine kurze Pause, dann sagt er: "Ich bin sicher, dass das in Zukunft anders sein wird."

© SZ vom 08.03.2008/grc/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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