Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Schwül war mal schwul

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Warum die Bezeichnung schwul etwas mit Wärme zu tun hat, wieso Nigeria nicht gleich schwarz ist und was Portugal der Orange zu verdanken hat.

Wolfgang Koydl

Heute kann man es sich kaum mehr vorstellen, dass ein Ereignis wie die Love Parade einmal Entrüstung in guten Bürgerkreisen hervorgerufen hat. Es ist in der Tat beeindruckend, wie vergleichsweise rasch Homosexualität in den letzten ein, zwei Jahrzehnten von westlichen Gesellschaften akzeptiert wurde.

Ebenso rasant wandelte sich die Bedeutung des Wortes schwul - von einem herabsetzenden Schimpfwort zur stolzen Eigenbezeichnung. Wer sich immer schon mal wegen der Ähnlichkeit beider Wörter gefragt hat, kann beruhigt sein: Schwul und schwül sind dasselbe Wort, die Pünktchen kamen erst später dazu.

Einst konnte man sagen: "Heute ist es aber schwul", ohne der Anzüglichkeit verdächtigt zu werden. Irgendwann im 18. Jahrhundert überlegte man, dass es cool wäre, wenn sich das Adjektiv für drückende Hitze mit jenem für frische Temperaturen reimen würde: Zu kühl gesellte sich schwül. Übrig blieb das unpunktierte schwul - bis ein politisch völlig unkorrekter Witzbold es als Beleidigung für Homosexuelle in den Dienst stellte.

Richtig, in Anlehnung an den warmen Bruder. (Im Gegensatz dazu entstand der englische Slang-Ausdruck gay aus einem positiv besetzten Wort, das ursprünglich fröhlich oder heiter hieß. Inzwischen ist gay abgestürzt: Wenn etwas total uncool ist, dann ist dies heute in der Jugendsprache totally gay.)

Ebenfalls politische unkorrekt ist es seit langem, Afrikaner als Schwarze zu bezeichnen. Da trifft es sich gut, dass das nach dem Fluss Niger benannte afrikanische Land Nigeria, wo ein dreijähriges britisches Mädchen entführt wurde, nichts mit dem lateinischen niger = schwarz zu tun hat.

Dies war die Ansicht früherer Sprachkundler, die dies entweder auf die Hautfarbe der Bewohner oder die Wasserfärbung des Flusses münzten. Die Wahrheit freilich ist einfacher: In der Landessprache ist das Wort für Fluss Ni und der Strom, der durch das Land fließt, trägt den Namen Gir. Ni-Gir ist mithin der Fluss Gir.

Eine andere Deutung leitet sich von dem Tuareg-Begriff gher n gheren ab, der zu ngher abgekürzt wurde und schlicht so viel bedeutet wie Fluss der Flüsse.

Port Harcourt übri-gens, die Stadt im Niger-Delta, wo die Kleine verschleppt wurde, trägt - auch dies im heutigen Afrika politisch höchst unkorrekt - den Namen eines ehemaligen britischen Kolonialbeamten: Lewis, Viscount Harcourt war von 1910 bis 1915 Minister für Kolonialangelegenheiten. Spuren hat er auch in London hinterlassen: Die Statue von Peter Pan im Kensington Gardens geht auf seine Initiative zurück. Harcourt mochte Jungens: Er beging Selbstmord, nachdem ruchbar geworden war, dass er einen Zwölfjährigen vergewaltigen wollte.

Seit Monatsbeginn hat die alte afrikanische Kolonialmacht Portugal den Vorsitz in der Europäischen Union von den Deutschen übernommen. Was die Herkunft des Landesnamens angeht, so ist er eher langweilig: Die heutige Hafenstadt Porto hieß bei den Römern Portus Cale, der Hafen von Cale. Hinter Cale könnte sich der keltische Stamm der Gallaeci verstecken, aber dies ist ungewiss.

Spannender ist da schon, dass mehrere Sprachen wie das Griechische, das Türkische und das Arabische die Orange nach Portugal portakal nennen. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass diese Frucht aus Indien und aus China nach Europa kam - weshalb wir sie auf Deutsch den Apfel aus China, die Apfelsine, nennen.

Die Importeure der Orangen im 15. Jahrhundert waren indes meist portugiesische Seeleute - und was sie lieferten war eben portakal. Die Orange, dies nur abschließend bemerkt, kommt aus dem Sanskrit-Wort narangah. Es heißt, ganz banal, Orangenbaum.

(sueddeutsche.de)

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