Wortwörtlich - Koydls kleines Lexikon:Die Agonien mit der Agenda

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Wolfgang Koydl kredenzt diese Woche das Wochengeschehen anhand der Worte Demagoge, Agenda und Korea - Letzteres heißt übrigens in der Landessprache gleich zweifach anders.

Wolfgang Koydl

Jetzt ist sie also wieder auf der Agenda, pardon: der Tagesordnung: die Agenda 2010, und alle, die beteuern, dass nun endlich etwas geschehen müsse, wissen gar nicht, wie recht sie haben.

Der Herr der Agitation: Gerhard Schröder (Foto: Foto: ddp)

Rein etymologisch gesprochen, versteht sich. Denn die Agenda ist eine wunderschöne lateinische Konstruktion, wie sie alle althumanistischen Gymnasiasten hassen: Neutrum Plural vom Gerundiv des Verbs agere = handeln.

Der Singular wäre agendum und beschreibt etwas, das getan werden muss. Agenda sind mithin mehrere Dinge, die erledigt werden sollten - und nun erst sieht man, wie (unfreiwillig?) passend der Name für die Agenda 2010 gewählt worden war.

Sieht man sich das Grundwort agere näher an, entdeckt man unfreiwillige Parallelen der Agenda zur gegenwärtigen politischen Debatte.

So könnten manche meinen, dass man die Agonie der Agenda 2010 nicht unnötig verlängern sollte - und im Wesentlichen würden sie über dieselbe Sache reden: Denn aus dem griechischen Wort für handeln (agein) entstand das Substantiv agon. Das war eine Versammlung, und die daraus abgeleitete agonia war das, was beim Zusammentreffen mehrerer Menschen entsteht: ein Wettstreit.

Aus der Mühe, die solch ein Wettbewerb bereitet, entwickelte sich die heutige Bedeutung zur Umschreibung des Zustandes vor dem Tod.

Volksverführer Oskar

Teilnehmer eines solchen Streites sind oft Gegner, und wer seine Bildung herausstreichen will, der spricht nicht von Widersachern sondern von Antagonisten. Richtig, auch dieser Grieche kommt aus derselben Familie wie die Agonie und die Agenda. Denn die Griechen unterschieden bei einer agonia zwischen agonistes auf der einen Seite des Kampfes und antagonistes auf der anderen.

Einer der größten Antagonisten der Bundesregierung ist der Linken-Chef Oskar Lafontaine. Unlängst wurde er, nicht zum ersten Mal, als Demagoge bezeichnet - was im Zusammenhang mit unserer soeben geführten Debatte durchaus Sinn ergibt.

In dem Wort steckt natürlich das griechische demos = Volk, wie es in der Demokratie, der Volksherrschaft auftaucht. Beim agogos = Führer stoßen wir abermals auf unseren alten Bekannten agein. Ein Demagoge also ist, nein, kein Volksführer, sondern ein Volksverführer - und dies schon seit dem vierten vorchristlichen Jahrhundert, als der Historiker Thukydides den athenischen Staatsmann Kleon mit dem Schmähwort belegte.

Viel später, Anfang des 20. Jahrhunderts, fand der US-Intellektuelle H.L. Mencken eine präzise Definition des Demagogen: "ein Mensch, der Doktrinen, die er als falsch erkennt, Leuten predigt, die er als Idioten erkennt".

Dieses Vergehens machen sich zuweilen ganze politische Parteien schuldig, was uns reibungslos zu den britischen Konservativen bringt, die in Blackpool soeben ihren Jahresparteitag beendeten. Das nordenglische Seebad hat fast alles von seinem Charme verloren; und schon der Name ist alles andere als reizvoll. Rings um den Ort erstreckte sich einst ein Torfmoor, das durch einen Kanal entwässert wurde. Dieser Strom hieß le pull, und da das vom Torf gefärbte Wasser schwarz ( black) war, lag der Name des Ortes auf der Hand.

Blau, und nicht schwarz, ist die Farbe der Konservativen Partei, die zudem bis heute auf den Spitznamen Tories hört. In den politischen Sprachgebrauch ging er im 18. Jahrhundert ein als Bezeichnung für königstreue Politiker und Gegenspieler der liberalen Whigs. Doch in Irland kannte man Tories schon seit dem 17. Jahrhundert. Sie waren Straßenräuber, Banditen und andere Gesetzlose, die "jeder auf den Kopf schlagen sollte, der sie trifft", wie es ein Zeitgenosse ungalant beschrieb. Diese Banditen freilich hatten bessere Zeiten gesehen.

Oft waren es Edelleute gewesen, die sich der Unterwerfung Irlands durch den englisch-puritanischen Lord Protector Oliver Cromwell widersetzten, dem gestürzten Monarchen die Treue hielten, und in den Untergrund gingen.

Die Herkunft des Wortes ist ungeklärt. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass es sich von der gälischen Aufforderung toree = gib her ableitet, mit der die Räuber ihre Opfer um ihre Wertsachen erleichterten. (Die Whigs, nur der Vollständigkeit halber, kamen ursprünglich aus Schottland, wo man Viehtreiber whiggamaires nannte. Im englischen Bürgerkrieg 1642-1649 gab sich eine Fraktion radikaler Presbyterianer diesen Namen, um ihre Gegnerschaft zum Hochadel zu bekunden.)

Nominell sozialistisch ist Kim Jong Il, der totalitäre Herrscher Nord- Koreas, der in dieser Woche seinen Amtskollegen aus dem Süden der geteilten Halbinsel empfing. Anders als die DDR und die BRD, die sich beide deutsch nannten, haben die beiden Koreas unterschiedliche Namen für ihre Länder. Im Süden heißt Korea Hanguk, in Norden Choson. Für den im Westen gebräuchlichen Namen stand die Goryeo-Dynastie Pate. Persische Händler brachten diesen Namen als Koryo in den Westen.

Dem Vorkoster kredenzt

Bleiben wir beim Handel: Die Deutsche Bank hat in der jüngsten Kreditkrise Milliardensummen verloren, was umso verwerflicher erscheint, als Banken eigentlich Vertrauen einflössen sollten. Und um Vertrauen geht es auch beim Kredit - im wahrsten Sinne des Wortes, leitet er sich doch vom lateinischen credere = glauben, vertrauen ab. Italienische Bankiers des 15. Jahrhunderts führten den Begriff des credito für die Leihwürdigkeit eines Kunden ein, dem man - auf Treu und Glauben - Geld vorstrecken wollte.

Nur gut, dass Banken ihre Kredite elektronisch überweisen oder über einen Tresen schieben und nicht auf einer Kredenz abzählen. Das unscheinbare Möbel hängt auch mit dem Kredit zusammen, mit dem Unterschied freilich, dass es um Leben oder Tod geht.

Auf dem Beistelltisch wurde an Fürstenhöfen Essen und Trinken vorgekostet, bevor es den hohen Herrschaften kredenzt wurde. Far la credenza nannte man das an italienischen Höfen, eine Prüfung auf Treu und Glauben, ob die Speisen nicht verdorben oder gar vergiftet waren. Von hier dauerte es nicht lange, bis das Möbelstück den Namen der Tätigkeit erhielt.

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