Wochenende 23./24.10.:"Republicans for Kerry!"

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Heute ist Reisetag. Ich fahre zu Verwandten nach Gettysburg, eine Hochburg der Demokraten, wie so viele andere große Städte auch. Warum? Nun, in den Städten sind die großen Gewerkschaften und namhafte Universitäten. Je Bildung, desto Kerry!

Mehrere Stunden auf dem Pennsylvania Turnpike (dank eines riesigen Staus) lassen mich ahnen, wo die Bushies sitzen. Auf vielen Autos prangen Bush-Bumpersticker, besonders auf den luxuriösen Karossen der Vorstädter.

Ich höre viel Radio. Die Spots der Republikaner sind unglaublich. Eine endlose Aneinanderreihung verdrehter Fakten und Falschdarstellungen. Zugegeben, die Spots der Demokraten sind nur wenig besser.

Immerhin konzentrieren sie sich auf Kerrys Programm, während sich die republikanischen Spots praktisch gar nicht mit Programmaussagen aufhalten. Lieber Kerry durch den Dreck ziehen. Ich muss an die johlenden, glatzköpfigen Bushies der letzten Tage denken.

Nach fast fünf Stunden im Stau auf dem Pike setze ich meine Fahrt auf Route 30, einem ländlichen zweispurigen Highway fort. Ich fahre durch Dörfer, sehe viele Bauernhöfe und armselige Wohnwagensiedlungen. Und: viele Bush/Cheney-Schilder am Straßenrand und in den Vorgärten. Ich beginne Schilder zu zählen. Nach einer Stunde Fahrt habe ich 34 Bush-Schilder und nur sieben für Kerry. Dann wird es zu dunkel, um zu zählen.

Die letzten Tage habe ich mich sehr viel mit Susi und Uwe unterhalten, meinen deutschen Gastgebern in Pittsburgh und Freunden aus vergangenen Münchner Uni-Zeiten. Klar sind sie für Kerry, aber als Ausländer dürfen sie nicht wählen. Mit 9/11 und der deutschen Opposition gegen den Irak-Krieg wurde ihre Situation hier kompliziert: erschreckend, was sie sich über die Medien alles anhören mussten.

Lieber kein Kerry-Schild im Garten haben

Und dennoch gab es jene Hälfte der amerikanischen Bevölkerung, die mit Al Gore die letzte Wahl verloren hat. Auch in ihrer Nachbarschaft und unter Arbeitskollegen erfuhren die Deutschen viel Verständnis für die deutsch/französische Skepsis gegenüber dem Krieg. Die meisten teilen diese Skepsis bis heute. Ein Kerry-Schild im Garten wollen sie dennoch nicht aufstellen.

In USA ist es durchaus üblich, seine Meinung an Haus, Garten und Auto kund zu tun, und das führt in der Regel auch nicht zu Streit. Als Ausländer, die auf gute Nachbarschaft angewiesen sind, beschränken sie sich trotzdem auf die Sticker am Auto und die Diskussion mit Kollegen und Freunden.

Gleichzeitig hat der Besucherstrom aus Deutschland nach 9/11 deutlich abgenommen. Freunde und Familie haben Angst vor Terroranschlägen und mögen Land und Leute nicht mehr, weil sie die Regierung nicht mögen. "Pech für uns und das Land", sagt Susi, "schade, dass sie nicht differenzieren können."

"Die sind nicht mehr ganz sauber, die Amis!"

Auch ich habe mir in Deutschland seit der letzten Wahl häufig Kommentare anhören müssen, Motto: "Die sind doch echt nicht mehr ganz sauber, die Amis!" Bei mir sei das ja was anderes, ich wäre ja praktisch Deutscher. Auch fiel es mir nie sonderlich schwer, meine Stundpunkte zu Themen wie dem Wahlfiasko in Florida und Ähnlichem zu verdeutlichen.

Mittlerweile ist es halb acht, ich komme zu spät zum Abendessen. Kaum bin ich in Gettysburg, schon sehe ich wieder ausschließlich Kerry-Schilder. Hier gibt es halt wieder eine kleine Uni, ein Lutheranisches Priesterseminar und eine beachtliche Akademikergemeinde. Das scheint schon eine wichtiger Zusammenhang zu sein: Auch meine Verwandten hier wählen Kerry. Ausnahmsweise. Sie hassen Bush, und mir fällt wieder einer der Aufkleber der letzten Tage ein: Republicans for Kerry!

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