Wissenschaft und Politik:Auf Augenhöhe

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Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Industriemesse in Hannover. (Foto: Christian Charisius/AFP)

Die Bundeskanzlerin, selbst promovierte Physikerin, trifft sich in Berlin mit renommierten Wissenschaftlern. Es geht um bedeutsame Probleme der Menschheit, um Depressionen und gefälschte Medikamente.

Von Christian Endt, Berlin

Auch das noch. Angela Merkel regiert ja nicht nur ihr eigenes Land, sie gilt seit Jahren auch als Anführerin Europas und erhielt mit der Wahl von Donald Trump zudem den Auftrag, die Demokratie und die Werte des Westens zu retten. Jetzt erklärt Virkam Patel sie auch noch für zuständig für die mentale Gesundheit der Weltbevölkerung: "Alle schauen auf Ihre Führung und auf die Führung von Deutschland", sagt der indische Psychiater.

Als der Satz fällt, lässt Merkel den Kopf hängen, blickt auf den Tisch vor ihr. Dabei ist sie ja selbst schuld: Sie hat Patel und gut 100 andere Fachleute ins Kanzleramt eingeladen, um mit ihr über Gesundheitsfragen zu diskutieren. Es ist bereits das dritte Mal, dass Merkel eine solche Konferenz veranstaltet, wobei bei den ersten beiden Runden 2013 und 2015 die Themen noch weiter gefasst waren. Eineinhalb Stunden nimmt sie sich diesmal Zeit. In ihrer Begrüßung spricht Merkel noch wie eine Politikerin, sagt Sätze wie: "Gesundheit hat sehr viel mit der eigenen Würde zu tun, mit der Fähigkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben." Doch nach wenigen Minuten ist sie fertig, hört vor allem zu, stellt präzise Nachfragen und macht sich Notizen. Die Kanzlerin ist bekannt für ihre Freude am intellektuellen Austausch, zum sechzigsten Geburtstag beschenkte sie sich selbst mit einem Vortrag des Historikers Jürgen Osterhammel.

Das meistdiskutierte Thema ist das der mentalen Gesundheit - es reicht von geistigen Behinderungen über Depressionen bis zu Demenz. "Wenn wir über mentale Gesundheit reden, gibt es keine hoch entwickelten Länder", sagt Patel. Vor allem Depressionen seien überall mit einem Stigma belegt, würden nicht ausreichend behandelt und verursachten hohe Kosten, weil Menschen am Arbeitsplatz ausfallen. In Indien sei das zwar besonders schlimm, da würden psychisch Kranke auf dem Land gar nicht behandelt. Aber überall auf der Welt erfahre das Thema zu wenig Beachtung, sagt Patel, der auch an einer Uni in London arbeitet.

Merkel will wissen, was sich konkret tun lasse. Patel zieht einen Vergleich zu HIV: "Als Einrichtungen zur Behandlung geschaffen wurden, haben die Leute sich auch zu ihrer Krankheit bekannt und Hilfe in Anspruch genommen", sagt er. Denn häufig würden die Betroffenen psychische Probleme zunächst nicht als Erkrankung wahrnehmen und daher keine Hilfe suchen. Zumal viele dächten, psychische Krankheiten resultierten aus ungünstigem Verhalten, sie seien also selbst schuld an ihrer Lage und müssten sich auch selbst helfen. In der folgenden Diskussion melden sich eine Menge Ärzte und Menschen, die sich ehrenamtlich mit psychischen Krankheiten befassen, auch in Deutschland. Der Staat müsse sich des Themas viel stärker annehmen, sagen sie, es brauche Aufklärungskampagnen und Hilfeangebote. Das lohne sich auch wirtschaftlich, da ein großer Teil der Fehltage auf Depressionen zurückzuführen sei.

"Soll ich Antibiotika pünktlicher einnehmen?", fragt die Kanzlerin

"Es ist in der Tat ein Thema, das uns alle zu Entwicklungsländern macht", sagt Merkel und kündigt an, mit den zuständigen Ministerien zu beraten, was man tun könne. Es ist spürbar, wie beeindruckt die Gäste aus aller Welt von Merkel sind, ehrfürchtig bedanken sie sich für die Einladung. Die Kanzlerin antwortet meist mit einem Lächeln. Nur einmal wird sie ungeduldig: Die britische Ärztin Alison Holmes vom Imperial College London hält einen länglichen Vortrag über Antibiotikaresistenzen. Sie spricht von menschlichem Verhalten, von einem Dialog, den man führen müsse, das Verschreiben von Antibiotika sei ja "ein sozialer Prozess". Sie habe noch nicht ganz verstanden, was sie als Patientin nun konkret tun solle, sagt Merkel. "Soll ich Antibiotika pünktlicher einnehmen? Meinen Arzt weniger drängen, mir welche zu verschreiben?", fragt sie. Als Holmes' zweiter Anlauf ebenso unbestimmt ausfällt, nickt Merkel nur kurz, bedankt sich und wendet sich dem nächsten Thema zu. Zum Schluss greift sie die Antibiotika-Thematik selbst nochmals auf: "Es wirkt manchmal so, als gäbe es einen Rechtsanspruch auf Antibiotika. Wenn mein Arzt es gut mit mir meint, dann verschreibt er mir welche. Da muss man viel sorgfältiger sein." Und natürlich müsse man sich auch den Einsatz in der Landwirtschaft ansehen.

Bright Simons aus Ghana treiben ganz andere Probleme um. In seinem Land seien 25 Prozent der Medikamente gefälscht. Dort müsse man vor allem die Korruption bekämpfen. Ein Vertreter aus Dänemark redet über das dortige System der elektronischen Gesundheitsdaten und zeigt den deutschen Gastgebern, wo sie noch Nachholbedarf haben. Von ihm will Merkel vor allem wissen, wie er die Datenschützer überzeugt habe.

© SZ vom 23.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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