Wirtschaftssanktionen:Russlands Reiche in der Klemme

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Die Russen ahnen, wie korrupt die Elite ihres Landes ist. Würde der Westen die Vermögen einzelner Personen einfrieren, käme das bei vielen gut an. Die Reichen verschweigen, wie viel sie im Ausland besitzen. Die Sanktionen wegen der Krim-Krise treffen sie stärker, als sie zugeben.

Ein Gastbeitrag von Sergej Gurijew

Die russische Wirtschaft erlebt gerade nicht ihre besten Zeiten. Noch vor zwei Jahren ging man von einem Wachstum von fünf oder sogar sechs Prozent aus - zumindest hat Wladimir Putin dies im Wahlkampf 2012 versprochen. Jetzt diskutieren die Experten, ob das Land sich in der Rezession befindet und wie lange diese dauern wird. Im ersten und zweiten Quartal 2014 erwartet Renaissance Capital einen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Schon seit der zweiten Jahreshälfte 2012 hat sich das Wachstum verringert, 2013 lag es bei nur 1,3 Prozent. Die Kapitalflucht wurde nicht gestoppt, sie hat sogar noch zugenommen: Im ersten Quartal 2014 sind vermutlich 60-70 Milliarden Dollar aus Russland abgeflossen, so viel wie im ganzen Jahr 2013. Das sind immerhin drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Investitionen haben bis heute nicht das Niveau von vor der Krise erreicht. Der Index der Moskauer Börse liegt gerade einmal bei der Hälfte seines Höchststandes von 2008. Seit Anfang des Jahres haben die meistgehandelten russischen Aktien 19 Prozent verloren.

Es müsste also eigentlich die Wirtschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit von Regierung und Gesellschaft stehen. Schließlich hatten wirtschaftliche Erfolge oder Misserfolge immer direkte Auswirkungen auf die Beliebtheit russischer Präsidenten. Den engen Zusammenhang zwischen beidem hat der amerikanische Politologe Daniel Treisman 2011 für die Zeit seit 1991 unter Jelzin und Putin nachgewiesen.

Beliebtheit von Putin wächst trotz schlechter Wirtschaftslage

Doch heute erleben wir, wie die Beliebtheit von Präsident Putin ungeachtet der schlechten Wirtschaftslage nicht zurückgeht, sondern wächst. Heißt das, dass die Hypothese Treismans widerlegt ist? Im Gegenteil! Die Furcht davor, dass die wirtschaftlichen Probleme der Popularität des Präsidenten schaden könnten, ist einer der Hauptgründe für das irrational erscheinende Handeln der russischen Führung. Sie weiß, dass der Gesellschaftsvertrag der 2000er Jahre - der Elite die Macht, dem Volk ein wachsendes Einkommen - sich erschöpft hat. An seiner Stelle musste man dem Volk eine Ideologie anbieten, für die es bereit ist, den Gürtel enger zu schnallen.

Wie alle Politiker wollen auch die russischen zuallererst an der Macht bleiben. Je schwerer das mit Hilfe des Wirtschaftswachstums gelingt, desto attraktiver werden andere Mittel - auch ein so genannter "kleiner siegreicher Krieg". Diese Lösung wurde erstmals 1904 von einem russischen Minister vorgeschlagen, um eine Revolution abzuwenden. Ein Krieg weckt den Patriotismus und zwingt die Bürger, sich um ihre Fahne zu versammeln.

Ein Krieg rechtfertigt Zensur

In Kriegszeiten treten Fragen nach Rezession und Kapitalflucht in den Hintergrund. Ein Krieg rechtfertigt auch Zensur und Unterdrückung der Opposition, schließlich kann Kritik am Staat als Verrat an der Armee ausgelegt werden, ein "Schuss in den Rücken der eigenen Soldaten". Wenn man bedenkt, dass die Mächtigen in Russland die Instrumente der Propaganda und der Repression meisterhaft beherrschen, kann solch eine Situation recht lange anhalten - und alle wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden mit den Machenschaften der Feinde erklärt, begleitet von Aufrufen, den Gürtel enger zu schnallen bis zum Sieg.

Wie kann man die russischen Wähler umstimmen? Die Antwort ist simpel. Der Westen verhängt Sanktionen gegen einzelne Vertreter der Elite, statt dass er einen Krieg mit dem russischen Volk führt. Öffentlich lacht die russische Elite über solche Forderungen. Wer auf einer Sanktionsliste steht, sagt, er hätte sowieso keine Immobilien im Ausland.

Wer nicht auf der Liste steht, bittet darum, aufgenommen zu werden. Diese Reaktion ist verständlich. Seit zwei Jahren führt Russland eine Kampagne zur "Renationalisierung der Eliten"; die Regierung verlangt von hohen Beamten, ihre Vermögen zurück ins Land zu holen. Nun können sie schlecht zugeben, dass sich ein Teil davon nach wie vor im Ausland befindet. Solche Geständnisse wären gleichbedeutend mit einer Selbstbezichtigung als Vaterlandsverräter.

Doch sobald westliche Länder beginnen, Vermögen von Personen einzufrieren, die von sich behaupten, sie hätten solche Vermögen gar nicht, werden die russischen Bürger das gar nicht schlecht finden. Sie ahnen, wie korrupt die Elite ist. Sie wissen auch, dass es im heutigen Russland unwahrscheinlich ist, dass die Vergehen korrupter Beamter und Manager von Staatsbetrieben geahndet werden. Wenn statt dessen nun die westlichen Regierungen handelten, wäre das äußerst populär. Die Führung wiederum wäre dazu gezwungen, die Propaganda weiter zu verstärken; sie müsste beklagen, wie ungerecht die Sanktionen seien, gleichzeitig aber betonen, dass sich aber niemand vor ihnen fürchte.

Man könnte meinen, nach der Renationalisierung von Vermögen ließe es sich auch in Russland gut leben. Aber die russische Elite hat ihre Vermögen (und ihre Familien) nicht umsonst nach Europa und in die USA gebracht. Es geht dabei nicht nur um die schöne Natur und Kultur in diesen Ländern. Russland ist auch ein schönes Land mit einer reichen Kultur. Russische Beamte und Unternehmer haben in Europa vor allem jenen Rechtsstaat gesucht, den es bisher in Russland nicht gibt, der aber so wichtig ist, um sowohl Vermögen als auch Freiheiten zu schützen. Sanktionen verschließen den Zugang zu einer effektiven und unabhängigen Justiz - und zum Schutz vor ebenjener Korruption.

Sanktionen sind ein zweischneidiges Schwert

Deswegen verstehen alle, die unter die Sanktionen gefallen sind, bewusst oder unbewusst, dass diese sie teuer zu stehen kommen. Auf den Listen stehen die Namen vieler hochgestellter, vermögender und einflussreicher Menschen, die sich nun die Frage stellen, wie sie aus dieser Sackgasse herauskommen. Ihnen ist auch klar, wie gefährlich es ist, diese Frage zu diskutieren. Dennoch kann das nicht lange dauern. Reiche Menschen mögen es nicht, wenn ihre Rechte auf Eigentum und Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.

Ohne Zweifel sind die Sanktionen ein zweischneidiges Schwert. Dass die Kreditkarten-Firmen Visa und Mastercard ihre Zusammenarbeit mit der Bank Rossija beenden mussten, hat ihnen sicher Verluste beschert. Das ist unvermeidlich. Die russische Führung geht davon aus, dass der Westen sich Russland nicht ernsthaft entgegenstellen wird, weil er fürchtet, seiner eigenen Wirtschaft zu schaden. Deshalb wird Moskau nur solche Sanktionen ernst nehmen, die nicht nur die russische, sondern auch die Wirtschaft im Westen treffen. Nur in diesem Fall wird der russischen Führung klar, dass der Westen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten bereit ist, für die territoriale Einheit der Ukraine und für demokratische Werte einzutreten. Er muss bereit sein, etwas dafür zu opfern.

Sergej Gurijew, 42, war Rektor der Moskauer Hochschule für Wirtschaft und einer der wichtigsten Ökonomen Russlands. 2013 verließ er das Land aus Furcht vor Strafverfolgung; nun lehrt er in Paris.

© SZ vom 16.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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